Lasst sie den ‘Cakewalk’ kostenVon Paul Street - ZNet 04.05.2004 Denken wir für eine Sekunde an die 137 amerikanischen Soldaten, die diesen April - es ist der zweite April seit der amerikanischen Besatzung des Irak -, ihr Leben verloren. Sie können sich deren Gesichter auf der Titelseite der ‘USA Today’ vom letzten Wochenende ansehen. Es ist der größte monatliche Bodycount (Leichenzählung) amerikanischer GIs seit Kriegsbeginn. Seit Anfang Mai stieg die US-Todesrate weiter rasant an. Wenn es so weitergeht, wird die Zahl toter Amerikaner dieses Frühjahr oder diesen Sommer die Tausendermarke durchbrechen. In einem illegalen, unmoralischen, arglistig erkauften Krieg befiehlt der Präsident junge Leute - meist aus der Arbeiterklasse - in ihr frühes Grab. Im April lag das Durchschnittsalter der Opfer bei 23 Jahren. Aber für GI-Beerdigungsfeiern - und deren gibt es inzwischen immer mehr -, ist der Präsident nicht zu haben. Dazu scheint er unter anderem zu sehr mit Fundraising beschäftigt. Er füttert die überbordenden Schatullen der größten finanziellen Kriegskasse, die je einer Wahlkampagne zur Verfügung stand - in der Geschichte moderner Plutokratien. Stellen Sie sich vor, Sie sind “Abdul M.”, ein Iraker, dessen gesamte Familie, inklusive Ehefrau und Tochter, sterben musste, weil US-“Verteidigungsplaner” 18 Zivilisten in einem Haus in Al Mansur in die Luft jagten, da man annahm, das Haus beherberge Saddam Hussein. “Ich grub sie aus”, so Abdul letztes Jahr gegenüber ‘Frontline’, “mit meinen eigenen bloßen Händen. Ich trug sie hinaus, auf meinen eigenen bloßen Händen. Ich begrub sie mit meinen eigenen bloßen Händen”. Im “befreiten” Irak gibt es viele Geschichten wie die von Abdul. Abduls tote Angehörige sind nur zwei von vielen tausend Irakern, die im Verlauf ihrer “Befreiung” durch die Vereinigten Staaten von Amerika den Tod fanden. Wie hoch die Zahl dieser Opfer genau ist, bleibt unklar - die Besatzungsbehörden sehen keine Notwendigkeit, die irakischen Toten zu zählen; Schätzungen zufolge sind es viele Zehntausende. Dabei ist das von den ‘guten’ US-Militärs eingesetzte abgereicherte Uran noch gar nicht mitberücksichtigt - es wird seine volle, furchtbare, Langzeitwirkung erst noch entfalten. Oder denken wir an die unbekannte Zahl Iraker, die von amerikanischem Militärpersonal gefoltert und gedemütigt wurden - im Verlauf der ‘Operation Freiheit für Irak’. Die jüngsten Veröffentlichungen über Folter und Misshandlungen durch US-Soldaten in Saddams wichtigstem Gefängnis sind sicher nur die Spitze des Eisbergs. Denken wir an das strategische Imperial-Desaster - beziehungsweise den moralischen Abgrund - zu dem sich die Besatzung entwickelt hat. Hinsichtlich der jüngsten Aufdeckung von US-Folter schrieb das Editiorial Board der New York Times kommentierend: “die Invasion des Irak, die (uns) in vielerlei Hinsicht als schlechter Traum zu erscheinen begann, kann (nun) nicht mehr sehr viel alptraumartiger werden”. Oder denken wir an den antiamerikanischen Hass, der inzwischen - verständlicherweise - in der gesamten arabischen Welt hochbrodelt. Für islamische Terrorgruppen stellt die Besatzung einen wahren Glücksfall hinsichtlich Rekrutierung dar. Neue, noch größere Terrorangriffe auf Amerikaner - daheim wie im Ausland - sind sehr wahrscheinlich. Vergessen wir nicht, wir Amerikaner werden nach neuen Anschlägen kaum auf globale Sympathie zählen können, die Besatzung hat eine globale Entfremdung von Amerika geschaffen - von bemerkenswertem Ausmaß. USA - Schurken-Supermacht der Welt. Können Sie sich noch an die vielen Gruppen, Persönlichkeiten und Einzelne erinnern [wenn Sie diesen ZNet-Artikel hier lesen, sind Sie wahrscheinlich eine® davon], die sich vehement gegen den Einmarsch im Irak wehrten? Zu den (Kriegs-)Gegnern zählte damals auch eine ansehnliche Zahl Prominenter und Gruppen des Establishment, die besorgt waren, ein Einmarsch im Irak wäre eine Katastrophe für die globale Macht der USA. Begleiten Sie mich auf eine Tour durch das Privatleben einiger wichtiger Herren des Kriegs. In Bob Woodwards neuem Buch ‘Plan of Attack’ 1 (New York, NY: Simon und Schuster 2004) - das behauptet “die definitive Erklärung zu liefern, warum und wie George W. Bush und dessen Kriegsrat und Verbündete einen präemtiven Angriff durchführten, um Saddam Hussein zu stürzen und den Irak zu besetzen” -, steht auf Seite 409 bis 411 Folgendes. Da ist die Rede von einer grandiosen Dinner-Party in der Residenz des Superfalken, Ex-Haliburton-Chef und Vizepräsidenten Dick Cheney. Es ist Sonntagabend, der 13. April 2003. Zu den Gästen zählen Kenneth Adelman, ein Freund Cheneys, der in den 70gern Assistent Donald Rumsfelds im Verteidigungsministerium war. Ebenfalls anwesend der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz - oberster Kriegsverteidiger - sowie Cheneys Kriegsfalke und Stabschef Lewis “Scooter” Libby. Drei Tage vor dem Dinner hatte Adelman in der Washington Post eine Op-ed publiziert, die Cheney entzückte. Titel: ‘Cakewalk Revisited’ 2 . Adelmans Kommentar zog über jene Leute her, die eine Katastrophe im Irak prophezeit hatten. Adelman behauptet darin, die Invasion würde zum “Spaziergang” (cakewalk), er selbst habe das schon im Februar 2002 vorhergesagt. Zum Dank lud Cheney ihn großzügig zum Dinner - Cheneys Art, sich zu bedanken. Adelman brach seinen Paris-Urlaub vorzeitig ab und kam. Woodward schreibt: “Als Adelman an diesem Sonntagabend in die Residenz des Vize-Präsidenten ging, war er so glücklich, dass er in Tränen ausbrach. Er umarmte Cheney das erste Mal, und er kannte ihn seit 30 Jahren”. Während des Dinners habe “Wolfowitz sich ausführlich über den Golfkrieg von 1991 ausgelassen”. Sicher äußerst spaßig. Cheney hätte geäußert, “dass ihm nicht bewusst gewesen sei, welches Trauma diese Zeit für die Irakis war”. Nun - über hunderttausend Tote können schon mal ein paar kleine traumatische Folgen nach sich ziehen. Dann brachte Adelman die Diskussion auf die Gegenwart. “Stopp! Stopp!” sei er (so Woodward) dazwischengefahren. “Reden wir lieber über DIESEN Golfkrieg. Es ist so toll zu feiern”, “sagte er”, laut Woodward. “Er war ja nur ein Ratgeber von außen, einer, der den Druck in der Öffentlichkeit erhöhte. “Es ist so einfach für mich, einen Artikel zu schreiben, in dem ich sage, macht das. Paul (Wolfowitz) hat es da viel härter, er muss es vertreten. Paul und Scooter (Libby), ihr gebt Ratschläge, und der Präsident hört zu. Dick (Cheney), dein Rat ist der wichtigste, er ist der Cadillac. Eine sehr viel ernstere Sache (für dich), das zu vertreten. Aber letztendlich war alles, was wir gesagt haben, nichts als Rat. Der Präsident ist derjenige, der entscheidet. Ich bin ganz hin und weg, wie entschlossen er ist.” Der Krieg sei einfach grandios gelaufen, so Adelman. “Also möchte ich hier einen Toast ausbringen, ohne zu pathetisch zu werden. Auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten.” Alle erhoben ihr Glas. Hört! Hört! Und Adelman sagte, je länger es ging, desto mehr habe er Todesängste ausgestanden, es könnte keinen Krieg geben” (Woodward, ‘Plan of Attack’, Seite 409-410). Später auf dem Treffen in festlichem Rahmen “sagte Cheney, er habe gerade mit dem Präsidenten geluncht. “Demokratie im Mittleren Osten hat große Bedeutung für ihn. Das treibt ihn an.” Dann hätte Adelman einen delikaten Punkt berührt: “Bevor das Fest allzu lieblich wird, lassen Sie mich eine Frage stellen (P.S.: zu spät!). Was mich sehr wundert, wir haben keine Massenvernichtungswaffen gefunden.” “Wir finden sie”, sagte Wolfowitz. “Es sind ja wirklich erst vier Tage”, sagte Cheney. “Wir werden sie finden”” (Woodward, ‘Plan of Attack’, 409-411). Wieviele Menschen starben im Irak - durch die US-Invasion - seit jenem Tag, als Cheney, Wolfowitz, Adelman und Libby ihr Glas erhoben, in einer streng bewachten Villa, die ein unglaubliches Privileg darstellt? Diese Villa befindet sich nur eine kurze Taxifahrt von Szenen des - mit - schlimmsten städtischen Elends in der ganzen industrialisierten Welt entfernt. Aus Gründen, die ich oben nannte, ist die genaue Zahl der Toten unbekannt - sicher ist sie hässlich hoch, sodass man sich fragen muss, was geht in der Seele eines Menschen vor, der Todesängste” aussteht, aus Sorge, “es könnte keinen Krieg geben”? Können Sie sich vorstellen, dass jemand aus so einem Grund nachts wachliegt? Hoffentlich ersticken sie jetzt an ihrem “Spaziergang” (cakewalk). George W. Bush, sein übler Klüngel und sein bösartiges Imperium gehören in die Wüste geschickt! Anmerkung d. Übersetzerin1 Deutscher Titel: ‘Der Angriff’, erscheint demnächst bei DVA 2 Der Bedeutung nach: ‘Wieder ein Spaziergang’ Paul Street (pstreet99@sbcglobal.net) ist ‘Urban Social Policy Researcher’ in Chicago, Illinois. Artikel von ihm erschienen in ‘These Times’, ‘Monthly Review’, Z Magazine, ‘Dissent (USA)’, ‘Dissent’ (Australia)’, ‘Black Commentator’, ‘Dissident Voice’, ‘The Journal of Social History’ und vielen anderen Zeitschriften. Quelle: ZNet Deutschland vom 08.05.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Let them eat cakewalk” . Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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