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Folter als Normalzustand: Im Bildersturm von Abu Ghraib

Von Konrad Ege

In den USA hält sich die Empörung über die Misshandlung irakischer Gefangener in Grenzen

Schrieb man in den vergangenen zwei Wochen etwas über die Schrecken im irakischen Abu Ghraib-Gefängnis, war das Geschriebene am Tag darauf fast schon Schnee von gestern. Schlag auf Schlag werden sie enthüllt, die Gräueltaten der Soldaten und Soldatinnen, der Geheimdienstler und der privaten Sicherheitsleute im Dienst des Verteidigungsministeriums. Ein Ende ist nicht abzusehen: Selbst Donald Rumsfeld warnte vor dem US-Senat, “Schlimmeres” werde noch kommen, auch Videos. Schon räumt das Ministerium ein, 25 irakische und afghanische Häftlinge seien in den vergangenen 17 Monaten im US-Militärgewahrsam ums Leben gekommen. Die Fälle würden untersucht. Für das Weiße Haus sind die Vorgänge ein Public Relations Desaster ohnegleichen. Eine Regierung, die es auch mit Hilfe professioneller P.R.-Firmen meisterhaft verstanden hatte, die Kriegsnachrichten zu gestalten, wird unter den Fotos vom Abu Ghraib begraben.

Donald Rumsfeld vor dem Streitkräfteausschuss des Senats und der Präsident bei seinen Entschuldigungen klammern sich zu ihrer Verteidigung nur noch an einem fest: Die “Misshandlungen” seien das Werk einiger weniger, sie seien geradezu “unamerikanisch”. Und als Sprachregelung gegen das Wort “Folter” gilt: Hunde hetzen auf gefesselte Gefangene, nackte Männer zu sexuellen Handlungen zwingen und von Soldatinnen verspotten lassen, das falle nicht in die Rubrik der völkerrechtlich geahndeten Folter - das sei nur Misshandlung (“abuse”).

In der Realität lässt sich die Schuldzuweisung an die Adresse der Fuß-Soldatinnen und Soldaten allein schon längst nicht mehr halten. Das Rote Kreuz klagt - wie bekannt wurde - schon seit einem Jahr über die schlechten Haftbedingungen im Irak. In Guantanamo wurde die Taktik eingeführt, das Wachpersonal die Häftlinge terrorisieren zu lassen, um sie dadurch auf das Verhör “vorzubereiten”. Am Wochenende veröffentlichte die Washington Post einen Bericht über “20 Verhörmethoden” in Guantanamo, angefangen mit Schlafentzug, die teilweise einer “angemessenen ärztlichen Beobachtung” bedürften. Die Methoden seien von hochrangigen Vertretern des Verteidigungsministeriums abgesegnet. Die Genfer Konvention schreibt freilich vor, Gefangene müssten menschlich und mit Achtung vor der Menschenwürde behandelt werden. Amnesty International und Human Rights Watch berichten schon seit mehr als einem Jahr über Klagen irakischer und afghanischer Häftlinge.

In der Regierung, den meisten Zeitungen und Fernsehkanälen und in der Öffentlichkeit wurden diese Klagen gegen die US-Militärs ignoriert oder nicht geglaubt. Die “politische Klasse” und die meinungsmachenden Publizisten hat das auch nicht sonderlich interessiert. Es war ja Krieg, erst der gegen die Terroristen, dann der gegen Saddam. Und beide Kriege wurden kombiniert. Von den demokratischen Politikern wollte kaum einer für die mutmaßlichen Terroristen eintreten. Selbst seit die nicht weg zu redenden Fotos überall abgedruckt werden, hält sich die Kritik der Oppositionspartei in Grenzen: Manche fordern Rumsfelds Rücktritt. Einen Truppenabzug verlangt kaum jemand, die Senatoren John Kerry und Hillary Clinton fordern mehr Soldaten für den Irak.

George W. Bush machte vergangene Woche heftig Wahlkampf. Und wurde umjubelt von vielen tausend Anhängern, auch als er in Cincinnati sagte, dass “wegen unserer Taten” im Irak “Saddam Husseins Folterkammern geschlossen worden” seien. Nach Umfragen ist noch immer etwa die Hälfte der US-Amerikaner der Ansicht, der Irak-Krieg habe sich im Grunde gelohnt. Im konservativen Flügel der Republikanischen Partei erklingen bereits Stimmen, die Abu Ghraib und die Fotos rechtfertigen. Er verstehe die ganze Aufregung nicht, sagt Rush Limbaugh, der meist gehörte Radio-Talksmaster der USA. “Diese Leute wollten uns doch umbringen”.

Der Journalist Seymour Hersh, der die Folterepisoden in Abu Ghraib aufgedeckt hat und anscheinend über außerordentlich gute Verbindungen zu hochrangigen Militärs verfügt, berichtet über eine wachsende Opposition unter den Männern in Uniform zu den Ideologen um Rumsfeld, die eine “Demokratisierung” im Irak wollen und dabei über Leichen gehen und Leichen ignorieren: Der Krieg im Irak gehe nicht gut, und die Ideologen, die ihn angezettelt hätten, lebten in einer Traumwelt. Mit den Folterungen in Abu-Ghraib sollten die dort gefangenen Iraker anscheinend dazu gebracht werden, diese Traumwelt mit “Fakten” über die Aufständischen und Terroristen zu untermauern. Generalmajor Charles Swannack von der 82. Airborne Division, einer Eliteeinheit, die das vergangene Jahr im Irak zugebracht hat, sagt der Washington Post, die USA würden den Krieg verlieren, obwohl sie im Kampf gegen die Aufständischen viele taktische Gefechte gewonnen hätten.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 21 vom 14.05.2004. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.

Veröffentlicht am

15. Mai 2004

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