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Schwer gefolterter Flüchtling aus dem Iran: Vom Bundesamt anerkannt - der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten erhebt Anfechtungsklage

PRO ASYL: Haben wir einen Bundesbeauftragten für organisierte Inhumanität?

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ist angeblich der Vertreter des öffentlichen Interesses in Asylverfahren. Besteht das öffentliche Interesse Deutschlands darin, Folterspuren zu ignorieren und Folteropfer schließlich abzuschieben? Haben wir einen Bundesbeauftragten für organisierte Inhumanität? Diese Fragen stellt PRO ASYL, nachdem der Bundesbeauftragte Anfechtungsklage im Fall eines schwer gefolterten Flüchtlings aus dem Iran erhoben hat. Den mit - später ärztlich attestierten - Folterspuren in Köln aufgefundenen Iraner hatte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im September 2003 als Asylberechtigten anerkannt. Der Bundesbeauftragte - von seiner Funktion her eigentlich nur Korrektiv bei unterschiedlicher Entscheidungspraxis in Grundsatzfragen - legte am 12. September 2003 seine Anfechtungsklage ein - mit skandalöser Begründung, die alle Feststellungen des Bundesamtes ignoriert. Die Klagebegründung liest sich wie eine Bestätigung von Jean Amérys Diktum, wer der Folter erlegen sei, werde nicht mehr heimisch in dieser Welt. Der Bundesbeauftragte arbeitet daran, dass Folteropfer nicht heimisch werden in der Welt: jedenfalls nicht in Deutschland.

Zum Hintergrund:

Der Iraner wurde im Mai 2003 auf einer Kölner Straße aufgefunden. Auf seinem gesamten Rücken, so das Polizeiprotokoll, waren frische und bereits vernarbte Wunden. “Die Verletzungen sahen aus, als sei er ausgepeitscht worden, es waren Striemen erkennbar. Über die linke Rückenseite verteilt waren Vernarbungen erkennbar, die aussahen, als seien brennende Zigaretten auf seinem Körper ausgedrückt worden.” Nach mehrtätiger Krankenhausbehandlung stellte er einen Asylantrag. Er gab an, im Iran für eine Firma gearbeitet zu haben, die mit der Projektierung militärischer Objekte befasst gewesen sei. Während einer Dienstfahrt seien ihm wichtige Dokumente aus dem Fahrzeug gestohlen worden. Man habe ihm diesen Hergang nicht geglaubt, sondern ihm unterstellt, er habe die transportierten Dokumente möglicherweise zu Spionagezwecken verkauft.

Der Iraner schildert detailliert, wie die herbeigerufenen Folterspezialisten des iranischen Informationsministeriums mit ihm umgegangen sind: “Man hat mich auf eine Art gefoltert, die man ?Küken-Kebab’ nennt. Dabei werden einem die Hände gefesselt und dann mit einem Stock unter den Füßen durchgeschoben. So wird man dann aufgehängt. (…) Die haben mich mit Elektrokabeln auf den Rücken geschlagen. Die Leute hier in Deutschland im Krankenhaus haben die Spuren gesehen. Als sie mich aufgehängt hatten, gaben sie mir einen starken Tritt in die Magen- bzw. Nierengegend. Ich bin deshalb kollabiert und man brachte mich ins Krankenhaus.” Der Asylantragsteller spricht über das “Gefühl der völligen Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins” unter der Folter. Er schäme sich auch, über bestimmte Foltermethoden zu sprechen, schildert aber dann dennoch, dass er auch Opfer sexualisierter Gewalt geworden ist.

Vor dem Hintergrund der eindeutigen Sachlage erkennt das Bundesamt den gefolterten Iraner am 2. September 2003 nach einer mehr als vierstündigen Anhörung als Asylberechtigten an. Bestandskräftig wird der Bescheid nicht. Am 12. September 2003 erhebt der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Anfechtungsklage gegen den Bundesamtsbescheid. Dabei wird keine einzige klärungsbedürftige Grundsatzfrage aufgeworfen. Der Bedienstete des Bundesbeauftragten, der den Gefolterten nie persönlich gesehen hat, äußert sich lediglich zur angeblichen Unglaubwürdigkeit des Iraners. Beispiele:

Der Mann habe wohl kaum nach Inhaftierung und Folter nachts aus dem 1. Stock des iranischen Krankenhauses springen können, aus dem ihm nach seinen Angaben die Flucht gelang. Es sei unglaubwürdig, dass er nachts einen Taxifahrer habe anhalten können. Die von dem Iraner als Beleg seines Fluges nach Deutschland vorgelegten Beweisstücke (ein Erfrischungstuch der Airline und ein Stück Seife) seien wertlos, denn derartige Artikel könnten jederzeit nachträglich besorgt oder in den Abfallkörben des Flughafens gefunden werden. Es sei unglaubwürdig, dass der Iraner nach seinen Angaben von einem Fluchthelfer mit dem PKW nach Köln gebracht und dort auf offener Straße alleingelassen worden sei. Mit seinen offensichtlichen Rückenverletzungen habe er doch eine solche Reise ohne ärztliche Hilfe überhaupt nicht ertragen können.

Welches Szenario der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten sich zur Erklärung der ärztlich attestierten Folterspuren vorstellt, bleibt unerfindlich. Glaubt er, der gefolterte Iraner sei das Opfer einer Kneipenschlägerei in Köln? Hält er ihn gar für einen besonders gewieften Selbstverstümmler, der sich nicht nur selbst ausgepeitscht, sondern auch noch Zigaretten auf seinem Rücken ausgedrückt hat?

Die Begründung der Anfechtungsklage durch den Bediensteten des Bundesbeauftragten (Unterschrift: Stechert) ist ein skandalöses Dokument bürokratischer Kälte und Inhumanität. Der Flüchtling, der nach seinen Extremerlebnissen dringend Schutz und Sicherheit benötigt, um seine Erfahrungen verarbeiten zu können, wird in die Ungewissheit der Warteschleife bis zur Entscheidung des zuständigen Verwaltungsgerichts Meiningen geschoben.

Das Amt des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist häufig dadurch aufgefallen, dass es seine Aufgaben missbräuchlich interpretiert. Aufgabe des Bundesbeauftragten und seiner Bediensteten ist es, dafür zu sorgen, dass die Asylentscheidungspraxis und -rechtsprechung in Deutschland möglichst einheitlich ist. Zu diesem Zweck kann er sowohl gegen anerkennende als auch ablehnende Bescheide des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge klagen. In der Vergangenheit hat er diese Aufgabe überwiegend einseitig wahrgenommen: Geklagt wurde vorwiegend gegen anerkennende Entscheidungen.

Presseerklärung von PRO ASYL vom 01.06.2004.

Veröffentlicht am

01. Juni 2004

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