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Wider das Zerrbild des Terrorismus

Die palästinensische Friedensbewegung: Zwischen gewaltloser Veränderung und dem Verdacht der Kollaboration

Von Ludwig Watzal

Es ist für den Frieden im Nahen Osten ungeheuer wichtig, aber dennoch hier zu Lande kaum bekannt: Auch in der palästinensischen Gesellschaft gibt es eine breite Diskussion über die gewalttätige Politik der Regierung Scharon. Die Antwort der radikalen Gruppen wie Hamas, Islamischer Dschihad und Al-Aqsa-Brigaden ist bekannt: Gewalt und Terror als Antwort auf israelische Gewalt und israelischen Gegenterror.

Weit weniger bekannt sind jene Nichtregierungsorganisationen, Intellektuellen und Politiker, die aus der Spirale der Gewalt ausbrechen wollen. Jüngst unterzeichneten über 160 führende palästinensische Intellektuelle und offizielle Repräsentanten eine Verlautbarung 1 , die Ende März in der Zeitung Al-Ayyam veröffentlicht wurde: Auf die Tötung der Hamas-Führer sollte nicht mit Gewalt, sondern mit friedlichen Mitteln geantwortet werden. Die Unterzeichner riefen dabei nicht zu einer servilen Zusammenarbeit mit Israel auf, sondern verurteilten die offene Aggression und die “kriminelle Operation” gegen das palästinensische Volk durch Scharon und seine “rechte Bande”. Trotz der brutalen Unterdrückung durch die Scharon-Regierung fordern die Unterzeichner ihre Landsleute auf, zu einer friedlichen Intifada mit klaren Zielen zurückzukehren. Dadurch könne man Scharons Aggression vor aller Welt glaubwürdig offen legen.

Einen selbstbewussten Weg der Gewaltlosigkeit hat der Arzt Mustafa Barghouti beschritten. Er hat eine Bürgerbewegung, die Nationale Politische Initiative (NPI), ins Leben gerufen. Sie agiert jenseits des religiösen Sektierertums und des traditionellen Nationalismus. Barghuti ist auch der Leiter des Village Medical Relief Committee, das auf dem Land lebende Palästinenser medizinisch versorgt. Er konnte jede wichtige Organisation für sein politisches Programm gewinnen, das sowohl für soziale Reformen eintritt als auch die Befreiung von allen Dogmen verspricht. Auf Grund seiner unkonventionellen Art ist es Barghuti gelungen, eine Solidaritätsbewegung aufzubauen, die den Pluralismus und die Zusammenarbeit vorlebt und praktiziert. Im Gegensatz zur gewalttätigen Intifada bietet die NPI Programme für Arbeitslose und soziale Dienste für Mittellose an. Seine Organisation strebt den Status einer Partei an, welche die Interessen sowohl der Flüchtlinge als auch die der Palästinenser vor Ort vertreten will.

Eine ähnliche Strategie vertritt Sumaya Farhat-Naser. Von Selbstachtung und Selbstbewusstsein getragen, setzt sie auf Kooperation mit gleich gesinnten Israelis. Sie engagiert sich seit vielen Jahren mit israelischen Frauen und Männern für den Frieden. Seit vier Jahren leitet sie ein Frauenzentrum in Ostjerusalem. Nicht der Protest steht im Mittelpunkt, sondern die Ausbildung der nächsten Generation von Friedensaktivisten sowie die Versöhnung mit Israel. Ihr Ziel ist es, die große Kluft zwischen einer kleinen Gruppe politisch aktiver Frauen und der großen Mehrheit der Frauen an der Basis zu überwinden. Dabei waren die politischen Differenzen zwischen den palästinensischen Frauen größer als zwischen deren israelischen Kolleginnen, weil Erstere zu sehr an ihren politischen Sesseln klebten und das gemeinsame Anliegen oft vernachlässigten. Farhat-Nasers wichtigste Botschaft ist die Frage nach einer gewaltfreien Strategie, um zum Ausgleich mit Israel zu kommen.

Äußerst politisch agiert Hanan Ashrawi, eine Mitinitiatorin des Intellektuellen-Aufrufes gegen Gewalt. Die Literaturprofessorin war Ministerin der Autonomieregierung, bis sie diese wegen der grassierenden Korruption verließ. Sie hat sich immer gegen die Selbstmordattentate ausgesprochen, weil sie nur Scharons rechtsnationalistischer Regierung nützten und den Palästinensern enorm schadeten. Die israelische Regierung instrumentalisiere die Anschläge, um alle Palästinenser als Terroristen zu diffamieren und deren legitime Anliegen als illegitim erscheinen zu lassen. Diesem Zerrbild sei auch US-Präsident George Bush aufgesessen. Für Ashrawi ist nicht Arafat, sondern Scharon das Problem. Der PLO-Chef konnte nicht gegen die Widerstandsgruppen vorgehen, weil er sonst den Anschein erweckt hätte, unter dem Druck Israels zu handeln.

Wie schwierig Friedenspolitik in der palästinensischen Gesellschaft sein kann, zeigen die Initiativen des Präsidenten der AI-Quds-Universität, Sari Nusseibeh, und von Yassir Abed Rabbo, ehemaliger Informationsminister der Autonomiebehörde. Ersterer hat zusammen mit dem ehemaligen Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes, Ami Ayalon, eine Erklärung unter dem Titel Stimme der Völker lanciert, in der eine Zweistaatenlösung und der Verzicht auf das Rückkehrrecht der Palästinenser festgelegt worden ist. In eine ähnliche Richtung weisend, obwohl wesentlich detaillierter, ist die so genannte Genfer Initiative, die Yossi Beilin, ehemaliger Justizminister Israels, und Abed Rabbo unterzeichnet haben. Obgleich von guten Motiven geleitet, fanden diese Dokumente nur geringe Resonanz in beiden Gesellschaften und sind politisch ohne Wirkung geblieben. Ihren Initiatoren wirft man Kollaboration mit Israel und die Förderung der Spaltung der palästinensischen Gesellschaft vor.

Diese Schicksale zeigen, dass es in der palästinensischen Gesellschaft schwierig ist, Positionen zu vertreten, die unter den gegenwärtigen Bedingungen einen Ausgleich mit Israel fordern. Unmöglich ist es jedoch nicht. Bündnispartner für die israelische Friedensbewegung gibt es durchaus. 

Ludwig Watzal ist promovierter Politikwissenschaftler. Er arbeitet als Redakteur und freier Journalist in Bonn.

Quelle: Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Oberursel, Nr. 10/2004. Der Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.

Anmerkung:

1 Aufruf palästinensischer Intellektueller zu einer gewaltlosen Intifada - Palästinensische Medien über Gewaltlosigkeit

Veröffentlicht am

09. Juni 2004

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