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Wirklich schlechte Handelsnachrichten vernebelt man ablenkungstechnisch durch schlechte Nachrichten von anderen Fronten

Von Saul Landau - ZNet Kommentar 18.06.2004

“Den Armen und an den Rand Gedrängten wird Gerechtigkeit in aller Regel vorenthalten, (dabei) würden sie am meisten von der fairen Anwendung von Gesetz und Menschenrechten profitieren. Doch trotz der zunehmenden Debatte um die Unteilbarkeit der Menschenrechte, sieht die Realität so aus, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vernachlässigt werden, so dass die Menschenrechte für die große Mehrheit der Weltbevölkerung auf ein bloßes theoretisches Konstrukt reduziert sind. Es ist nicht nur Zufall, dass im Irak-Krieg der Schutz der Ölquellen Priorität gegenüber dem Schutz von Krankenhäusern zu haben schien”, aus dem Jahresbericht von Amnesty International, Mai 2004.

Am 29. Mai haben Terroristen, die der Al Kaida zugerechnet werden, in Saudi-Arabien westliche Geiseln genommen. Mehr als 20 dieser Geiseln wurden getötet - was Skeptiker in ihrer Ansicht bestätigt, Bushs Krieg gegen den Terror habe die Welt nicht sicherer sondern gefährlicher gemacht. Während aus dem Irak weiter schlechte Nachrichten eintreffen (und Bush sorgt dafür, dass die “Terroristen”, “Aufständischen” oder wie immer man “diese Leute” bezeichnen mag, an Boden und Prestige gewinnen), bezichtigt Amnesty International die USA, an der dauerhaften Erosion der Menschenrechte und des internationalen Rechts schuld zu sein - es sei schlimmer als in den letzten 50 Jahren.

“Die globale Sicherheitsagenda, wie von der US-Administration verbreitet, ist eine visionäre Bankrotterklärung und prinzipienlos”, so der Report. “Im Namen der Sicherheit des eigenen Landes opfert (sie) Menschenrechte, ignoriert Misshandlungen im Ausland und setzt preemptive Militärgewalt ein, wo und wann immer sie will, was weder die Sicherheit erhöht, noch die Freiheit gesichert hat”.

Anstatt dem Irak Freiheit und Sicherheit zu bescheren, resultierte Bushs Krieg gegen den Terror in systematischem Einsatz von Folter im Gefängnis Abu Ghraib - dies ist allerdings nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs, was US-Folter im Irak und in Afghanistan anbelangt. Derweil haben Bushs Männer fürs Grobe versucht, die Öffentlichkeit vom täglichen Trauerspiel in Bagdad abzulenken, indem sie an der Heimatfront Alarmmeldungen verbreiteten. Schon wieder gibt Generalstaatsanwalt John Ashcroft eine dringliche Terrorwarnung aus. Allerdings vergaß er, das Ministerium für Heimatsicherheit (Department of Homeland Security) über die angeblich so imminente (aber wie immer vage) Drohung zu informieren.

Und da ist das allgegenwärtige “Breaking-news”-Gekreische - “neue Entwicklungen” im Gerichtsfall Kobe Bryant, Michael Jackson, Scott Peterson: Massenablenkungswaffen, die von den eigentlich wichtigen Nachrichten ablenken.

Einem Bericht der UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) hingegen wurde in keiner der großen Zeitungen und TV-Nachrichtensendungen ‘prime space’ eingeräumt - leider. Die UNCTAD veröffentlicht zweimal im Jahr einen Report. Mit dem (aktuellen) Dokument zieht sie die gesamte “Globalisierung” bzw. das System der “freien Marktwirtschaft” in Zweifel. Der Anstieg des internationalen Handels, so der Report, habe nicht etwa zum Abbau der Armut in den ärmsten Ländern der Welt geführt. In Wirklichkeit sei die Armut während des Welthandels-Booms angestiegen, ebenso habe die Einkommenskluft zwischen Arm und Reich zugenommen. Laut dieser Studie gibt es wenig, was darauf schließen lässt, dass Handel das Einkommen der ärmsten Menschen in den 50 unterentwickeltsten Ländern der Welt verbessert hat.

Zwar bestätigen die UNCTAD-Offiziellen, der Handel habe dazu beigetragen, einige arme Länder in die Weltwirtschaft zu integrieren; als Folge der neoliberalen Handelspolitik hätten sich deren negative Handelsbilanzen allerdings weiter verschlechtert. Bedeutet das, die Öffnung der Märkte verbreitet keinen Segen?

Um das herauszufinden, hätte es keiner Expertengruppe bedurft, wache Leute haben das schon längst erkannt: Welthandels-Investionen - zoll- und steuerfrei und ohne Regierungsregularien - schaden den mehr als 3 Milliarden bedürftigsten Menschen dieser Welt, und sie nützen den Reichsten. Weitere Daten, die diese Schlussfolgerung belegen, enthält ein aktueller Bericht der ECLAC (UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik). Die Autoren schätzen, dass in den lateinamerikanischen Ländern und der Karibik 227 Millionen Bürger unterhalb der Armutsgrenze leben. Für die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts hat man für diese Region eine Arbeitslosenrate von 10,3% ermittelt - was fast der Depressionszeit der 30ger entspricht. Enrique Iglesias, Präsident der Inter-amerikanischen Entwicklungsbank, bestätigt: 44% der Bevölkerung Lateinamerikas leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Region, gibt Iglesias zu, reflektiere eine hässliche Kluft in punkto Reichtumsverteilung, es herrsche massive Arbeitslosigkeit und “soziale Ausgrenzung, mitbeeinflusst durch ethnische und rassische Faktoren”.

Auf der anderen Seite diskutieren Finanzexperten auf den Kommentatoren- und Wirtschaftsseiten der New York Times und des Wall Street Journals, ob der Ex-Chef der New Yorker Börse Richard Grasso sein “Kompensationspaket” in Höhe von $188,5 Millionen nun verdient hat oder nicht - Grasso musste seinen Posten vorzeitig räumen. Sie diskutieren, ob CEOs, die tausende Arbeiter niederer Lohngruppen entlassen, einen Bonus über $10 oder $20 Millionen erhalten sollten. Prominente, über deren Beitrag zur Weltkultur wir nicht zu diskutieren brauchen, akzeptieren Verträge, bzw. lehnen sie ab, bei denen es um hunderte Millionen geht. Ein gewisser Baseball-Spieler “verdient” Millionen von Dollars damit, Schuhe anzupreisen, die $100 und mehr kosten. $100 Dollar - für die Hälfte der Weltbevölkerung ist das mehr als ein Halbjahresverdienst. Hunderte Millionen Menschen dieser Welt verdienen diese Summe nicht einmal im Jahr.

Hunderte Millionen Menschen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas schaffen es irgendwie, von weniger als einem Dollar pro Tag zu überleben. Für eine Kuh auf einer von der US-Regierung subventionierten Milchfarm wird mehr ausgegeben als für ein Kind in einem nicaraguanischen Slum. Willkommen in der ach so rationalen und demokratischen Welt des Freihandels. In diesem System “testet” man die Bedürftigsten darauf, ob sie sich für Kredite qualifizieren - Kredite, die letztlich die Reichsten reicher machen.

Die Ökonomen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds verlangen von den Regierungen armer Länder routinemäßig, dass sie in “Export-Chancen” investieren. Sie raten den Führern armer Länder der sogenannten Dritten Welt, endlich mit dem “Blödsinn Autarkie” aufzuhören und stattdessen lieber Exportpflanzen anzubauen: Blumen statt Mais, Macadamia-Nüsse statt Bohnen. Es ist typisch für die Offiziellen des IWF (Internationaler Währungsfonds), Kredite solange zurückzuhalten, bis die bittende Regierung bereit ist, ihre harten Regeln zu akzeptieren.

Ein Beispiel: Um sich für einen IWF-Kredit zu qualifizieren, musste die Regierung Jamaicas Mitte der 70ger Jahre nachweisen, dass sie ihre Subventionen für die Armen gekürzt und die Währung abgewertet hat. Auf diese Weise wurden die Armen immer ärmer. Die Sozialausgaben wurden exakt für diejenigen gekürzt, die sie am nötigsten brauchten. “Aber keine Angst”, säuselte der Handelsvertreter des IWF, “bald fließt privates Kapital herein, das schafft neue Jobs und regt das allgemeine Wirtschaftswachstum an”. In Ländern, die diese Ratschläge befolgten, stehen heute Textilfabriken der Marke ‘kleiner Lohn, niedrige Kosten’. Honduras, zum Beispiel, wurde zum Superzulieferer für Walmart. Honduras Dividende allerdings ist alles andere als super. Nur ein sehr geringer Teil des “investierten” Kapitals bleibt tatsächlich im Land, und die Jobs werfen im Allgemeinen weniger ab, als ein Mensch zum Leben braucht. Ein honduranischer Arbeiter verdient rund 70 Cents pro Stunde - und das nach massiven Lohnerhöhungen.

Hinzu kommt: In weiten Teilen der sogenannten Dritten Welt befindet sich die Landwirtschaft auf dem Rückzug - als Folge der “Eingliederung” der Dritte-Welt-Länder in die globale Wirtschaft. Länder, die früher ihren Eigenbedarf decken konnten, sind heute Importeure. So hat das Freihandelsmodell dazu geführt, dass Lebensmittelfabriken aus Watsonville, Kalifornien, nach Irapuato in Mexiko umsiedelten. Auf diese Weise konnte man Sozialleistungen umgehen und weit niedrigere Löhne zahlen. Umgekehrt produzierten die Bauern Irapuatos jetzt nicht mehr Mais und Bohnen sondern Erdbeeren und Brokkoli. Um ihren Bedarf zu decken, sind die Menschen in Irapuato heute auf importierten Mais und importierte Bohnen aus den USA angewiesen.

In anderen Regionen Mexikos ist die Lage so, dass die Bauern sich außerstande sehen, mit den hochsubventionierten Agrobusiness-Giganten der USA zu konkurrieren. Sie gaben ihr Land einfach auf. Aber der Trommelruf nach Abschaffung der Zölle, nach Subventionsabbau in der Landwirtschaft gilt für Lateinamerika nach wie vor - während die Regierung der USA Agro-Unternehmen mit hunderten Milliarden verwöhnt. Die Regierung Nicaraguas - Nicaragua ist nach Haiti das ärmste Land in der Hemisphäre - unterzeichnete Ende Mai CAFTA (zentralamerikanisches Freihandelsabkommen mit den USA). Diese Unterschrift könnte das Ende der nicaraguanischen Landwirtschaft bedeuten. Wie sollen die kleinen Maisbauern mit US-Giganten konkurrieren, die ihre Steuergroschen-Unterstützung dazu nutzen, die Preise zu manipulieren und so die schwächeren Märkte zu entern?

Noch etwas: In Nicaragua wie in Mexiko kommt dem Mais religiöse Bedeutung bei, aber auch biologische. Genveränderter Mais, wie ihn die US-Firmen anbieten, führt zu einer raschen Verseuchung und Zerstörung eingeborener Sorten - die Bauern hätten sie schützen können. Dieser Aspekt der Globalisierung macht Umweltschützer besorgt - so, wie die zunehmende Armut jeden ernsthaften Ökonomen besorgt macht (und alle Menschen, deren Herzen es noch nicht verlernt haben, mit menschlichem Leid mitzufühlen).

Ashley Seagers (‘Guardian’ vom 28. Mai) leitet aus dem jüngsten Amnesty-Report folgende Voraussage ab: “die Zahl der Menschen in den am wenigsten entwickelten Ländern, die in absoluter Armut oder von weniger als $1 am Tag leben, wird bis 2015 auf 471 Millionen angestiegen sein, von heute 334 Millionen” - das heißt, sollte der Trend anhalten.

Denken wir nur an die sich ständig wiederholenden Versprechungen (Lügen) der Regierungsoffiziellen und “Experten”: Freihandel sei etwas Vernünftiges und Gutes; NAFTA, CAFTA, FTAA und ähnliche Freihandelsabkommen schafften Jobs und führten zu einer gesunden Entwicklung, zu Stabilität. Richtig - so, wie die USA den Irak ja nur bekriegten, um Saddam Hussein daran zu hindern, Massenvernichtungswaffen einzusetzen und an Terroristen weiterzugeben und um dem Mittleren Osten Demokratie zu bringen, Freiheit und Stabilität!

Alexander Solschenizyn schrieb einst über die UdSSR: “Zwangsernährung mit Lügen ist inzwischen zum leidvollsten Aspekt des Lebens in unserem Land geworden”. Die Freihandels-Lügen vernebeln die prekären Fakten des Lebens: Statt die Bedingungen für die arme Mehrheit auf Erden zu verbessern, hat der “freie Markt” zur Verschlechterung dieser Bedingungen geführt. Zeit für ‘fair trade’ statt ‘free trade’. Denn, ‘Freiheit’ aus dem Munde der Bushiten ist etwas anderes, als was wir darunter verstehen.

Anmerkungen:

Saul Landaus neuestes Buch trägt den Titel: ‘The Business of America: How Consumers Have Replaced Citizens and How We Can Reverse the Trend’. Sein neuer Film: ‘Syria: Between Iraq and a Hard Place’ (Cinema Guild: 800-723-5522). Landau ist Direktor des ‘Digital Media and International Outreach Programs for the College of Letters, Arts and Social Sciences’ der California State Polytechnic University, Pomona 3801 W. Temple Avenue Pomona, wo Landau lehrt www.saullandau.net

Quelle: ZNet Deutschland vom 23.06.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Really Bad Trade News Obscured By Distractingly Bad News On Other Fronts” .

Veröffentlicht am

25. Juni 2004

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