Der Faschismus konnte nur militärisch besiegt werden, ist also heute Pazifismus absurd?Von Andreas Buro und Arno Klönne 1 >> Der Artikel als PDF-Datei “Nur die Waffengewalt der Alliierten hat uns vom Faschismus befreit. Pazifistische Politik hätte Hitler nicht stoppen können.” So oder ähnlich formuliert, wird heute Pazifisten argumentativ entgegen getreten, wenn sie sich gegen militärische Zugriffe und für zivile Konfliktbearbeitung einsetzen. Dabei bedient sich diese Behauptung der Deutung einer spezifischen historischen Situation, um aktuell eine Begründung für militärische Gewalt als unabdingbare Voraussetzung für eine freie und demokratische Entwicklung zu liefern. Die Argumente lauten etwa so:
Die hier kurz skizzierten Argumente mit ihrem historischen Hintergrund wurden auch eingesetzt, um die Angriffe der NATO auf Jugoslawien und dann der USA sowie Großbritanniens auf den Irak zu legitimieren; ein “neues Auschwitz” habe verhindert, ein “neuer Hitler” entwaffnet werden müssen. Anzumerken ist: Die gedankliche Vorgehensweise der meisten Pazifismus-Kritiker ist sehr fragwürdig. Vorhandene Verhältnisse in der Weltgesellschaft werden als “gegeben” betrachtet und hingenommen. Wenn dann gewaltträchtige Probleme auftreten, wie Terrorismus, gescheiterte Staatlichkeit, Bedrohlichkeit von Waffenpotenzialen “in falschen Händen” wird, wenn die Konstellation der Kräfte es erlaubt, militärische Intervention als notwendig ausgegeben. Wer dies nun unter Kritik stellt, wie Pazifisten es tun, zieht sich den Vorwurf zu, dem Inhumanen “tatenlos” zuzusehen. Nicht gefragt wird jedoch nach der Vorgeschichte des Bedrohlichen - die Betrachtung wird auf eine Momentaufnahme verkürzt. Diese Verkürzung geschieht nicht versehentlich, sondern hat Methode. Wird doch durch sie ausgeblendet, dass die “schurkischen” Gewaltpotenziale in aller Regel nicht in den jeweiligen Ländern eigenwüchsig zustande gekommen sind. Sie sind vielmehr meist “Systemimporte” aus angeblich zivilisierten Staaten und durch deren Machtinteressen bedingt. Afghanistan und der Irak sind hierfür jüngste Beispiele. Diese Art der “Globalisierung von Gewalt” wird bis heute systematisch auch durch den Handel mit Rüstungsgütern weiter betrieben. Das Grundmuster der pro-militärischen Argumentation hat bestimmte, meist nicht ausgesprochene Voraussetzungen, die zu überprüfen sind:
Zu 1: Die Frage des “Gerechten Krieges”1.1 Herrschaftssysteme haben in der bisherigen Geschichte fast immer letztlich mit militärischer Gewalt ihre Interessen verfolgt. Waren sie damit erfolgreich, bekamen die Herrscher den Beinamen “der Große”, erlitten sie Niederlagen, wurden sie eher als schurkisch oder als unfähig angesehen. Bewaffnung wurde häufig zum Angriff verwendet, wenn sich Siegeschancen ausrechnen ließen. Zur Legitimation solcher Angriffe wurde allerdings häufig das Argument der Durchsetzung von “gerechten” Ansprüchen oder hehren Zielen vorgetragen. Weitere Rechtfertigungen waren die der angeblich erforderlichen Verteidigung gegen Bedrohungen und möglicherweise bevor stehende Angriffe von außen, denen man vorbeugen müsse. Das Wort “Der Angriff ist die beste Verteidigung” bringt dies auf den Punkt. Militär war und ist immer ein “dual-use”-Instrument für Angriff und Verteidigung. Im Grundgesetz der Bundesrepublik ist freilich nur Verteidigung vorgesehen. 1.2 Da die tatsächlichen Ziele der Kriegspolitik in der Gesellschaft entweder nicht ausreichend mit Akzeptanz rechnen konnten oder von der Art waren, dass man sie besser nicht öffentlich machen wollte, bedurfte es zusätzlicher Legitimationsideologien, um die Hirne und Herzen der Menschen für den militärischen Kurs zu gewinnen. Diese stützen sich - unter welchem Namen auch immer, ob als Kreuzzug oder “humanitäre Intervention” - im Kern immer wieder auf die Behauptung eines “Gerechten Krieges”. 1.3 Der in der europäischen Tradition zunächst theologisch begründete Begriff des “Gerechten Krieg” geht auf das 4. Jahrhundert zurück, als kirchliche und weltliche Macht sich einander zuwandten. Dabei wurde die urchristliche Verweigerung des Kriegsdienstes zum Störfaktor. Das Konstrukt des “Gerechten Krieges” sollte die Christen zur Teilnahme am Krieg veranlassen und sie dazu bringen, ihre pazifistischen christlichen Grundsätze zu verlassen. Die Kirche ermöglichte durch den Begriff des “Gerechten Krieges” den Christen, das Morden im Krieg mit ihrer Religion vereinbaren zu können. Schon 314 belegte die Synode in Arles die Fahnenflucht mit der Strafe des Ausschlusses von den Sakramenten. (Konstantinsche Wende) “In dem Maß, in dem der Kaiser der Kirche Anteil an der politischen Macht vermittelte, mit deren Hilfe sie ihren Monopolanspruch durchsetzen und die Häretiker zurückdrängen konnte, erwartete er auch von der Kirche die Legitimation und Unterstützung seiner Machtausübung. Diese veränderte Situation wird in der Lehre vom ‘Gerechten Krieg’ verarbeitet.” ( s. Evang. Staatslexikon, Stuttgart 1987, 3.Aufl., S.1873/4) Das Konzept von der Möglichkeit des “Gerechten Krieges” hat also von Beginn an den Charakter einer Legitimationsideologie. 1.4 Augustin und die scholastische Theologie entwickelten die Lehre vom “Gerechten Krieg” und nannten folgende Bedingungen:
1.5 Implikationen des “Gerechten Krieges”
Fazit: Ein Wechsel der Mittel bei Konfliktlösungen vom militärischen zum zivilen Instrumentarium erscheint menschenrechtlich geboten. Die Mittel müssen menschenrechtlichen Kriterien entsprechen. Einen ‘Gerechten Krieg’ gibt es nicht. Zu 2: Kriegsziele der Alliierten im Zweiten Weltkrieg2.1 Die beiden Weltkriege des vorigen Jahrhunderts waren imperialistische Konkurrenzkriege, in denen “verspätete” Industrienationen versuchten, ein koloniales/neokoloniales Imperium für sich zu gewinnen. Im ersten Weltkrieg trifft dies insbesondere für Deutschland zu. Im zweiten Weltkrieg traten Italien und Japan als Bündnispartner an die Seite des Deutschen Reichs. Dieser Versuch stieß auf die Abwehr der imperialen Altbesitzer und großen Kolonialmächte, insbesondere Englands und Frankreichs. Er verstieß ferner gegen die Interessen der USA, Weltmarktöffnung und -offenheit für ihre auf Wachstum angewiesene Industrie durchzusetzen. Die von den imperial nachholenden Staaten angestrebten neuen Imperien, sei es in Osteuropa, Afrika oder in Asien, sollten protektionistisch abgeschottet werden und damit andere Industrieländer, nicht zuletzt die USA, wirtschaftlich ausschließen. Das war der Kern des Konflikts, um den herum sich selbstverständlich noch viele Nebenziele der verschiedenen Akteure rankte 2.2 Die alten europäischen Imperialmächte, aber auch die USA, hatten ihre Kolonien und Einflussgebiete mit großer Brutalität und Menschenverachtung erobert und regiert. Genocide, direkt oder strukturell betrieben, begleiteten Eroberung und Ausbeutung. Das begann beim Sklavenhandel, führte über Massenausrottung der nord- und südamerikanischen Urbevölkerung, zeigte sich in der spanischen, portugiesischen, französischen, belgischen, holländischen und englischen Kolonialpolitik auf vielen Kontinenten und mündete in die Brutalitäten, die eine Befreiung von den Kolonialmächten verhindern sollten. Man kann also nicht von friedfertigen Nationen sprechen, die in den beiden Weltkriegen angegriffen wurden. Zivilisatorische Fortschritte und brutale Machtpolitik schlossen und schließen sich nicht aus. 2.3 Der Kriegszielsetzung nach bestand eine Kontinuität zwischen dem deutschen Kaiserreich und seinem Militarismus und dem zu allem entschlossenen Hitler-Deutschland, das alle Kräfte für den Krieg faschistisch bündelte. Das nationalsozialistische Regime hatte seine spezifischen Herkünfte in deutschen Traditionen, Ideologien und Kräfteverhältnissen und seine Singularität in der staatlich organisierten rassistischen Vernichtungspolitik. Doch der Weg des Nationalsozialismus zur Macht und in den Krieg verlief nicht in einer “pazifistischen” Umwelt anderer Nationen. Er war vielmehr eingebettet in eine Weltlage, in der imperialistische Zugriffe und militärische Aggressionen weithin als normal galten - dies entgegen allen Hoffnungen, die sich auf den “Völkerbund” richteten. Opfer der deutschen, faschistischen Imperialpolitik sollten insbesondere Polen und die Sowjetunion sein. In Rußland war durch die Revolution 1917 ein Systemwechsel eingetreten, durch den innergesellschaftliche soziale Klassenkämpfe eine internationale Dimension bekamen. Vermeintlich hatte die Arbeiterklasse nun, vertreten durch das “Vaterland der Werktätigen”, auf der internationalen Ebene mitzureden, und das in der Zeit der 1930er Jahre, in der die bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften durch die Weltwirtschaftskrise innenpolitisch äußerst gefährdet erscheinen mussten. Nicht zuletzt durch die Macht- und Militärpolitik und die militärischen Interventionen der großen kapitalistischen Industriestaaten während der russischen Revolution hatte die Militarisierung der Sowjetunion einen beträchtlichen Anstoß erhalten. Es gab also zwei Feinde der westlichen Alliierten: Den imperial-expansiven Faschismus mehrerer Nationen unter deutscher Führung und den sowjetisch-expansiven bürokratischen Sozialismus, der ein Interesse haben musste, sein System zu exportieren, um seine eigene Machtbasis abzusichern. Faschismus wie Sowjetismus waren beide sehr brutal in der Durchsetzung ihrer Ziele. 2.4 Wer in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts spekuliert hatte, Faschismus und Sowjetismus würden sich gegenseitig so vernichtend bekämpfen, dass anschließend die Hegemonie der westlich-kapitalistischen Staaten wieder hergestellt wäre, wurde zunächst durch die militärischen Erfolge der faschistischen Staaten enttäuscht. Die West-Mächte rüsteten auf und nahmen sich den im Augenblick weniger gefährlichen Feind zum Kriegspartner, nämlich die Sowjetunion. Mit einer Politik der Menschenrechte hatte dies nichts zu tun, sondern mit Machtkalkül. Durch den Eintritt der USA in den Krieg konnte auch endlich die wirtschaftliche Stagnation überwunden werden, was die New Deal Policy des US-Präsidenten Roosevelt nicht erreicht hatte. 2.5 In den 30er Jahren rüsteten die faschistischen Staaten, und insbesondere Deutschland mit aller Macht auf. Frankreich, England und die USA, die Sieger des vor eineinhalb Jahrzehnten zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieges reagierten darauf zum Teil mit erheblicher Verzögerung durch eigene Aufrüstungsschritte. Nationale Differenzen blockierten entschlossene Schritte des Völkerbunds. Als die Aufrüstung Deutschlands weit voran geschritten war, praktizierten England und Frankreich die so genannte Appeasement-Politik, eine Politik der Besänftigung Hitler-Deutschlands bei gleichzeitiger Hinnahme der Vertragsbrüche und Aggressionen, die von ihm ausgingen. Diese Periode wird oftmals fälschlicherweise als eine erfolglose pazifistischer Politik bezeichnet. Sie zeige das Versagen pazifistischer Politik gegenüber rücksichtslosen Gewaltregimes. Die Wahrheit ist jedoch, dass es damals keine pazifistische Politik gegeben hat. Es gab nur eine Politik ehemaliger Siegermächte, die sich in Bezug auf die Bereitschaft ihrer faschistischen Gegner zur Revision der Ergebnisse des ersten Weltkrieges verkalkuliert hatten - oder vielleicht hofften, dass die geballte Macht Deutschlands sich nach Osten entladen würde. 2.6 Von den West-Ost-Alliierten wurden vor und während des Krieges so gut wie keine Anstrengungen unternommen, die vom Faschismus verfolgten Juden, Roma, Sinti, politischen Gegner des Faschismus und andere Verfolgte zu retten. Ein Befreiungskrieg für sie wurde nicht geführt. Dies gilt auch für die sowjetischen Truppen, die im Rahmen ihres Vormarsches nach Deutschland die SS-Henker von Auschwitz vertrieben. Die so genannte “Befreiung vom Faschismus” war also eine siegreiche militärische Reaktion auf einen imperialen Gegner gefährlichster Art, die sich aller Vernichtungsmittel der damaligen Kriegsführung bis hin zur gerade neu entwickelten Atombombe bediente. In Deutschland und Japan, in denen sich keine breite in der Bevölkerung verankerte anti-faschistische Widerstandsbewegung entwickelt hatte, wurde der Sieg der Alliierten überwiegend durchaus als eine Niederlage und nicht als eine Befreiung erlebt. Man hatte einen Krieg mit fürchterlichen Opfern auch auf der eigenen Seite verloren. Man muss leider davon ausgehen, dass in diesen Ländern einem siegreichen Faschismus von der Bevölkerung zugejubelt worden wäre, selbst wenn dieser andere Völker weiter grausam unterdrückt und entrechtet hätte. 2.7 Kriege bewirken nicht nur “Kollateralschäden”, sie haben auch “Kollateralnutzen”. Es kann sein, dass belagerte Städte und Zonen entsetzt, eroberte Gebiete/Staaten befreit und Besatzungsregime zerschlagen werden. Die Befreiung Frankreichs, der Niederlande, Belgiens, Dänemarks, Norwegens, von Teilen der Sowjetunion, Jugoslawiens, Griechenlands, Polens und so weiter von der faschistischen, deutschen Besatzung ist in ihrer Bedeutung für die Menschen dieser Länder nicht hoch genug einzuschätzen. Ein solcher”Kollateralnutzen” kann allerdings nicht zur Legitimation eines kriegerischen Grundmusters von Politik erhoben werden, und zwar aus zweierlei Gründen: Erstens haben militärisch ausgerichtete Politik und der daraus folgende Krieg erst zu den Besetzungen geführt, die später kriegerisch beseitigt wurden. Zweitens stehen “Kollateralschäden” zu den “Kollateralnutzen” in einem eklatanten Missverhältnis. Argumente zugunsten von Kollateralnutzen setzen stets voraus, dass die präventive friedliche Lösung von Konflikten historisch verfehlt wurde - eben weil keine pazifistische Politik betrieben wurde. Zu 3: Die “Kosten” des Zweiten Weltkrieges3.1 Der zweite Weltkrieg hatte mit vermutlich etwa 50 bis 60 Millionen Toten und riesigen Zerstörungen der Infrastruktur für menschliches Leben in vielen Teilen der Welt ungeheure “Kosten” zur Folge. Er hat ferner das technische Niveau der Kriegführung auf eine bisher nicht gekannte Höhe der Zerstörungskraft und der gegenseitigen Bedrohung gehoben. Er schuf damit die Voraussetzungen für barbarische Zerstörungen in den Folgekriegen des West-Ost-Konflikts und für die weltweite Verschwendung von Ressourcen, die nicht mehr der Entwicklung menschlichen Wohlstandes zur Verfügung standen und stehen. 3.2 Bald nach 1945 aktualisierte sich der Gegensatz zwischen den westlichen und dem östlichen Alliierten des zweiten Weltkrieges. Der West-Ost-Konflikt mit dem Kaltem Krieg in Europa, nuklearer Overkill Abschreckung und vielen heißen Stellvertreterkriegen in der ganzen Welt - die Kriege in Korea, Vietnam und Afghanistan sind Zeichen dafür im Bewusstsein vieler Menschen geworden - nahm die Feindseligkeit zwischen den bürgerlich-kapitalistischen und den ?real-sozialistischen’ Gesellschaftssystemen aus den 20er und 30er Jahren erneut auf. Die sowjetische Planwirtschaft ließ in ihrem Bereich keine sich globalisierende Marktwirtschaft, also keine ungehinderte Kapitalexpansion, zu. Eine Überwindung zentraler Konfliktinhalte zwischen dem “Westen” und dem “Osten” wurde also durch den Krieg und die angebliche “Waffenbrüderschaft” nicht erreicht. Die ungeheuerlichen Kosten des dem Zweiten Weltkrieg folgenden Ost-West-Konflikts müssen den Gesamtlasten imperialer Macht- und Militärpolitik des 20. Jahrhunderts hinzu gerechnet werden. 3.3 Der wieder aufbrechende West-Ost-Konflikt war auch die Voraussetzung für die deutsche Teilung mit der folgenden West- und Osteinbindung der jeweiligen deutschen Staaten. Die Bundesrepublik wie die DDR hatten im neuen Kampf des West-Ost-Konflikts mit ihrem industriellen und geostrategischen Potential jeweils an der Seite der Kontrahenten zu stehen. Das hatte auch sozialpsychologisch enorme Kosten. In Westdeutschland konnte die Grundtendenz der faschistischen Legitimationsideologie für den Kampf gegen die Sowjetunion - möglichst unausgesprochen - beibehalten und in den Kalten Krieg überführt werden. Dem entsprach, dass zum großen Teil die ehemaligen faschistischen Eliten in ihren gesellschaftlichen Positionen weitgehend ungestört verblieben. Die Gründe für den Hitler-deutschen Kampf gegen den “Westen” mussten nicht mehr untersucht und konnten verdrängt werden, denn Westdeutschland war ja nun mit seinen ehemaligen Gegnern in der neuen Waffenbrüderschaft der NATO gegen den “Osten” verbündet. Die DDR und ihre Bevölkerung hingegen wurden dem sowjetischen Dogmatismus und der damit verbundenen Repression unterworfen. 3.4 Niemand kann sagen, welche Ergebnisse eine rechtzeitige und präventive pazifistische Politik, die nach den mörderischen Erfahrungen des Ersten (“modernen”) Weltkrieges1918 hätte einsetzen müssen, gehabt hätte und ob durch sie die Durchsetzung des Faschismus hätte verhindert werden können. Unvorstellbar ist dies nicht. Es ist nicht einmal unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, an welchen dünnen Fäden die Machtergreifung des deutschen Nationalsozialismus hing und wie leicht sie hätte scheitern können. Der deutsche Nationalsozialismus aber war der Kern der faschistischen Koalition. Ohne ihn wäre ein derartiger imperialistischer Angriffskrieg nicht zu führen gewesen. Die Vorstellung, Geschichte habe stets so verlaufen müssen, wie sie in allen ihren Scheußlichkeiten verlaufen ist, zeugt von gedanklicher Beschränktheit und sie wirkt lähmend, wenn es um politische Alternativen in der Gegenwart geht. 3.5 An jeden Krieg und jede Nach- und Vorkriegszeit, so auch an Weltkrieg II und die Zeit zwischen 1918 und 1933, lassen sich Fragen über einen möglichen anderen Verlauf stellen. Sie können selbstverständlich nur hypothetisch beantwortet werden. So z.B. die Frage: Hätte der deutsche Faschismus verhindert werden können, wenn die deutsche Sozialdemokratie 1914 eine anti-militaristischen Politik vertreten hätte? Hätte nach 1918 die zunächst bestimmende Sozialdemokratie durch friedenspolitische Entschlossenheit Militarismus und Nationalismus zurückdrängen, Revanchismus verhindern und statt dessen eine Politik der europäischen Kooperation - wie sie nach Weltkrieg II von der Adenauer-Regierung nach Westen hin betrieben wurde - einleiten können? Hätten die siegreichen Alliierten des Weltkriegs I mit einer pazifistischen Politik in diesem Sinne dem Faschismus den Weg zur Macht verlegen können? Fragen über Fragen, die im Nachhinein nicht zu beantworten sind, die aber doch den Blickwinkel für Alternativen erweitern können. Zu 4: Pazifismus - was ist das eigentlich?4.1 Antimilitarismus bedeutet Protest gegen weltpolitische Verhältnisse, in denen Rüstung und Kriegsbereitschaft das gesellschaftliche Leben bestimmen. Wer massenmörderische Kriege nicht hinnehmen will, wird nach den Chancen einer pazifistischen Politik fragen. Pacem facere ist die Menschheitsaufgabe, den gewalttätigen Konfliktaustrag zugunsten ziviler Konfliktbearbeitung zu überwinden. Die Möglichkeiten hierzu werden von den jeweiligen historisch gesellschaftlichen Konstellationen maßgeblich bestimmt. Wie Konflikte friedlich zu lösen sind, ist also nicht allein ein anthropologisches Problem, sondern auch eines der gesellschaftlichen Systeme und ihrer Formen der Reproduktion. Ein Herrschaftssystem, das vorwiegend auf der Eintreibung von Tributen beruht, und dazu immer wieder Unterwerfung abfordert, wird nicht auf Gewalt verzichten wollen. Entgegen der verbreiteten These, parlamentarische Demokratien seien besonders friedfertig, stellt sich so auch die Frage nach dem systemimmanenten “Gewaltbedarf” der hoch entwickelten “westlichen” Länder, deren Wohl und Wehe von wirtschaftlicher Expansion abzuhängen scheint - und zugleich die nach den Spielräumen für zivile Konfliktbearbeitung. 4.2 Pazifisten können nicht damit rechnen, dass die Welt von heute auf morgen auf Waffen verzichtet. Pacem facere heißt deshalb, die Welt in einem Prozess dem friedlichen Konfliktaustrag näher zu bringen. Das verlangt realistische Konzepte, um Umschwünge von der gewaltsam-militärischen zur zivilen Konfliktbearbeitung zu erreichen. Dabei gehen Pazifisten von der Annahme aus, dass dieser Prozess innerhalb der gegenwärtig global dominierenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung beginnen muss. Es geht also um Systemkritik und zugleich um systemimmanente Spielräume, in denen sich Politik für den Frieden zu bewegen hat. 4.3 Pazifistische Politik ist auf Kriegsvermeidung, auf den rechtzeitigen (präventiven) Abbau von Konfliktursachen und die Deeskalation spannungsreicher Situationen gerichtet. Sie ist nicht zuletzt “methodische” Politik durch Festlegung von Verfahren, Normen, Institutionen und Strategien des zivilen Umgangs mit Konflikten. Dies ist als ein gradueller Prozess in vielen Schritten - mit möglichen Rückschritten - zu verstehen. Pazifisten warten nicht auf eine heile und friedliche Welt ohne Waffen und Bedrohung, sondern versuchen auf allen Ebenen Prozesse der zivilen Konfliktbearbeitung und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu fordern und zu fördern. 4.4 Es gilt dabei, sowohl gesellschaftliches Bewusstsein zu verändern, als auch die Politik der Staaten. Diese sind nach wie vor die wichtigsten, wenn auch nicht die alleinigen Träger von Aufrüstung, Kriegsdrohungen, Verherrlichung militärischer Gewalt und militärischer Unterdrückung. Sie sind vorherrschend in fast allen wichtigen internationalen Gremien wie den UN, OSZE, IWF, Weltbank, WTO usw. Die in den staatlichen Handlungen sich ausdrückenden Interessen sind oft nicht identisch mit den Interessen der jeweiligen Gesellschaften und ihrer Bevölkerungsmehrheiten. 4.5 Pazifistische Politik wendet sich gegen den weiteren Ausbau von Militärpotentialen und fordert Abrüstung, weil sie sich der Eigendynamik des militärischen Aufbaus und seiner Machtoptionen bewusst ist. Am Beispiel der unipolaren Militärmacht USA, ihrer Militarisierung der Außenpolitik und ihrer globalen Durchsetzungsansprüche auf dem Hintergrund von Kriegsbereitschaft wurde diese Problematik gegenwärtig in der Auseinandersetzung um den Angriffskrieg gegen den Irak nur allzu deutlich. 4.6 Pazifistische Politik “von unten” besteht also darin, ausgehend von dem weltgesellschaftlichen Entwurf friedlichen Konfliktaustrages, die Wege aufzuzeigen, auf denen aus der Gesellschaft heraus diesem Ziel näher gekommen werden kann. Dieses auch, um graduell einen Kurswechsel staatlicher Politik in Richtung zivile Konfliktbearbeitung zu erreichen. Nicht nur manifeste Gewalt, sondern auch strukturelle Gewalt stellt den friedlichen Konfliktaustrag in Frage. Sie muss als eine Ursache von manifester Gewalt in den auszuarbeitenden Konzepten mit bedacht werden. Diese Sichtweise verbindet Friedensbewegung und Globalisierungskritiker. 4.7 Pazifistische Konzepte müssen für verschiedene Sektoren, in denen Friedenspolitik vorankommen kann, entwickelt werden. Die wichtigsten sind:
Schlussbemerkungen zur Ausgangsfrage
1 Wir danken Volker Böge für Kritik und Anregungen Wir bedanken uns bei Andreas Buro für die freundliche Veröffentlichungsgenehmigung dieses Artikels. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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