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Aus gegebenem Anlaß: Gedanken zu Friedensgebet und Demonstration

Die Leipziger Montagsdemonstrationen leiteten 1989 die politische Wende in der DDR ein. Sie begannen am 25. September 1989 nach einem Friedensgebet in der Nikolaikirche. Zunächst zogen damals nur etwa 6.000 Menschen durch die Straßen der Innenstadt. Am ersten Oktober-Montag waren es bereits 20.000, dann 100.000 und schließlich mehr als 300.000. Den Demonstrationen stets vorausgegangen waren Friedensgebete. Einer der Initiatoren der Friedensgebete war der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer. Durch seine Rolle bei den Friedensgebeten zu DDR-Zeiten ist er weit über Deutschland hinaus bekannt geworden.

Christian Führer vertrat damals und vertritt heute die Meinung, ohne Friedensgebet sei eine Montagsdemonstration nicht möglich. Er bezeichnet dies als Leipziger Modell ‘89.

Auch jetzt gehört er wieder zu den Mitorganisatoren der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV und Sozialabbau. Dabei bringen ihn die jüngsten Verbalattacken aus Berlin, wonach das gegenwärtige Wiederaufleben der Montagsdemonstrationen eine Verunglimpfung der friedlichen Revolutionäre von einst bedeute, auf die Palme. Der Nikolaipfarrer: “Jetzt, wo wir das Demonstrationsrecht haben, sollen wir die Klappe halten. So geht das nicht.” (siehe auch: Einverstanden mit der Wiederbelebung der Montagsdemonstrationen )

In einer Erklärung versucht Führer verständlich zu machen, warum er in der jetzigen Situation Montagsdemonstrationen gegen den Sozialabbau für geboten ansieht - allerdings nur im Zusammenhang mit vorhergehenden Friedensgebeten.

(Michael Schmid)

Aus gegebenem Anlaß: Gedanken zu Friedensgebet und Demonstration

Von Christian Führer - Pfarrer an St. Nikolai in Leipzig

Ich bitte um Verständnis, dass ich die Flut von Mails, Anrufen und Briefen nur mit einer Erklärung einigermaßen beantworten bzw. mich verständlich machen kann.

Was würde JESUS dazu sagen?

“Wer von euch,”, sagt JESUS, “der hundert Schafe hat und eins von ihnen verliert, lässt nicht die neunundneunzig in der Wüste und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet?” (Luk. 15,4)

Ist es nicht inzwischen irgendwie völlig anders geworden: Sind nicht neunundneunzig infolge der jahrhundertelangen babylonischen Gefangenschaft der Kirche durch Thron und Altar verlorengegangen, und wir hätscheln und streicheln durch unsere Betreuungsstrukturen heute das eine Schäfchen, das “noch” zur Kirche gehört? Haben wir es womöglich nicht mitbekommen, dass die Thron-und-Altar-Zeit und die Ära danach vorbei ist und das jesuanische Zeitalter anbricht, in dem Straße und Altar zusammen gehören? JESUS hat sich sowohl den konkreten Nöten dieser Welt entgegengestellt - Kranke geheilt, Schuldige entfesselt, an den Rand Gedrückte bzw. Geratene wieder mit GOTT und den Menschen zusammengebracht, sich für Arbeitslose eingesetzt, die mit immer größerer Verzweiflung am Markt “müßig herumstehen”, weil sie keiner einstellt - als auch eine unermessliche Hoffnung in die Welt gebracht: “Siehe, ICH mache alles neu!” (Offb. 21,5) Mit SEINEN Himmelreichsgleichnissen hat ER einen neuen Horizont, eine neue Wirklichkeit eröffnet. ER hat Diesseits und Jenseits, Innen und Außen, Himmel und Erde zusammengebracht: “Das Himmelreich, das REICH GOTTES ist mitten unter euch!” (Luk. 17,21b) Wie hat also Kirche heute zu sein? So wie sie JESUS in Gang gesetzt hat.

“Salz der Erde” (Matth. 5,13) soll sie sein, soll das Denken vor der Geschmacklosigkeit, die Gesellschaft vor dem Verfaulen bewahren und die vereisten menschlichen Beziehungen auftauen. “Licht der Welt” (Matth. 5,14) soll sie sein, damit den Menschen das Licht des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung aufgeht, damit die Menschen “helle” werden. Und ist zugleich für die Zukunft verantwortlich, hat die unermessliche Hoffnung JESU auf eine neue Wirklichkeit, das REICH GOTTES, weiterzugeben, damit uns Menschen die Hoffnung nicht ausgeht. Wissend, dass inmitten der Gottesfinsternis dieser Zeit das jesuanische Zeitalter anbricht, in dem Straße und Altar zusammengehören.

So wird verständlich, dass eine Demonstration ohne Friedensgebet zuvor für mich nicht möglich ist, weil nur im Friedensgebet die Menschen zur Besinnung kommen, nicht für parteipolitische oder gruppenegoistische Zwecke missbraucht werden, Hoffnung fassen und Gewalt an Menschen und Sachen ausgeschlossen wird.
Wir müssen im Gebet und in Gesprächen um das verantwortliche Reden und Handeln ringen.

“Gerechtigkeit für alle” wird das Thema unseres Friedensgebetes am 30. August 2004 um 17 Uhr in der Nikolaikirche sein, zu dem wir Teilnehmer von überall her erwarten.

Quelle: Nikolaikirche Leipzig vom 16.08.2004

Pfarrer C. Führer
Nikolaikirchhof 4
Pfarrer an St. Nikolai
04109 L e i p z i g
Tel.: 0341/9610243
Fax: 0341/9605661
mail: c@fuehrer-nikolaikirche.de

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Veröffentlicht am

30. August 2004

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