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Auf dem Republikanischen Parteitag wird so getan, als sei man nicht in 9/11 verliebt

Von Paul Street - ZNet 01.09.2004

Soviele Lügen wie Republikaner. Es ist wirklich nicht leicht, mit den Täuschungsversuchen Bushs, Roves (Bushs Wahlkampfmanager - Anmerkung d. Übersetzerin), Cheneys und Konsorten Schritt zu halten. Die falschen Behauptungen der Republikaner würden ein ganzes Buch füllen. Der linksliberale Journalist David Corn hat 2003 genau das getan - eine Monographie geschrieben, die sich auf den Oberlügner konzentriert: ‘The Lies of George W. Bush: Mastering the Art of Political Deception’ 1 . Zu den vielen Bush-Statements der Irreführung, die Corn der kritischen Beurteilung anheimstellt, zählen folgende:

“Ich bin mit meiner Vergangenheit sehr offen umgegangen”

“Ich bin ein Einiger, kein Spalter”

“Ich werde daran arbeiten, eine Nation der Gerechtigkeit und der Chancen zu schaffen”. “(Ich treibe) Steuererleichterungen für alle (voran)… während ich weiterhin unsere nationalen Schulden reduziere und wichtige Prioritäten finanziere”. “(Ich denke,) was das amerikanische Volk beim Thema (Energie) braucht, ist eine ehrliche Einschätzung”. “(Ich denke,) wir sollten das Thema globale Klimaveränderung angehen”.

“(Ich denke,) wir müssen jedes Detail des 11. September aufhellen und sämtliche Lehren (aus dem 11. Sept.) ziehen”. “Ken (Lay) habe ich 1994 kennengelernt”. “Ich glaube daran, daß jeder für sein eigenes, persönliches Verhalten verantwortlich gemacht werden sollte”. “Geheimdienstinformationen, die diese Regierung und andere gesammelt haben, lassen keinen Zweifel daran, daß das irakische Regime noch immer einige der tödlichsten Waffen besitzt und versteckt, die je entwickelt wurden”.

Ich wünschte, ich hätte die Zeit und die Energie, Bushs neue Reden und Ansprachen durchzusehen. Sicher wäre ich in der Lage, mindestens 20 weitere Präsidenten-Whopper zu präsentieren. Aber mit den Lügen des herrschenden republikanischen Oberlügners Schritt zu halten, ist nunmal ein Vollzeitjob.

Angesichts der Tatsache, daß es große Lügen und kleine gibt, möchte ich auf drei wirklich wuchtige 11.-September-Whopper kurz eingehen - Lügen, die auf dem Republikaner-Parteitag 2004 sicher immer wieder laut proklamiert werden. Warum der Parteitag ausgerechnet in New York City stattfindet? Aus einem Grund: Damit die Republikaner einen Vorteil aus den Flugzeugangriffen von 2001 ziehen können. Und es steht zu erwarten, daß bevor die Woche um ist, George Bush jede einzelne dieser Master-Lügen wiederholt hat.

“Denn sie hassen unsere Freiheit”

Die erste fette Lüge wird sicher die Behauptung sein, daß wir uns in einem Kampf auf Leben und Tod mit einem terroristischen Feind befänden, der uns haßt, weil wir “so sind, wie wir sind”, nämlich Leuchtfeuer und Heimstatt der Freiheit, der Demokratie und der Moderne - Heimstatt von allem, was auf Erden gut ist. Wir Linken wissen natürlich, diese (Argumentations-)Linie - die vom ersten Tag des neuen “Kriegs gegen den Terror” (also vom 12. Sept. 2001 an) praktisch auf Stichwort ständig wiederholt wurde -, ist aus verschiedenen Gründen Blödsinn. Wichtig vor allem: Sie verdreht das wirkliche Problem, das die islamistischen Terroristen bzw. große Teile der muslimischen Welt mit den USA haben: Amerikas AUßENPOLITIK im Nahen/Mittleren Osten.

Man muß kein Radikaler sein - noch nicht einmal ein Liberaler - um zu wissen, was für einen kompletten Blödsinn Rove, Bush und der Rest des Klüngels von sich geben. Schließlich weist keiner das Standardargument von Bushcon, “sie hassen uns, weil…”, mit mehr Gusto zurück als ‘Anonymous’ - ein konservativer, katholischer CIA-Analyst und Nahost-Experte, der jüngst ein Buch mit dem Titel ‘Imperial Hubris: Why the West is losing the War on Terror’ veröffentlichte. Darin argumentiert Anonymous: “die größte Gefahr für die Amerikaner, angesichts der Bedrohung durch den radikalen Islamismus, besteht darin, daß sie - veranlaßt durch amerikanische Führer - glauben, die Muslime attackierten uns für das, was wir sind und was wir denken und nicht für das, was wir tun. Kein Islamistenführer”, so Anonymus, “hat einen Dschihad zur Zerstörung der partizipativen Demokratie, der ‘National Association of Credit Unions’ oder koedukativer Universitäten ausgerufen”.

Was führende Islamisten (einschließlich Bin Laden) “und ein wachsendes Segment der islamischen Welt” hingegen wirklich störe, so Anonymous, sei eine “spezifische Politik der USA und die damit verbundenen Implikationen auf militärischer, politischer und wirtschaftlicher Ebene”. Diese Politik verleihe Osama Bin Ladens kriegsschreierischem Beharren, der “Islam wird von Amerika und seinen Verbündeten angegriffen”, gewisse Glaubwürdigkeit.

Anonymous ist überzeugt, die offizielle Bush-Linie stelle eine Gefahr für Amerikaner dar - weshalb er mit der imperialen Loyalität bricht und zugibt, die heutige Nahostpolitik der USA “trägt in etwa die gleichen Züge wie der europäische Imperialismus des 19. Jahrhunderts: Militärgarnisonen; wirtschaftliche Penetration und Kontrolle; Unterstützung für (korrupte arabische) Führer, ganz gleich, wie undemokratisch und brutal sie auch sein mögen, solange sie nur der Imperialmacht gehorchen - sowie Exploitation und Erschöpfung natürlicher Ressourcen”.

Ich stimme mit Anonymous allerdings nicht überein, wenn er zwischen “wer wir sind und was wir tun” unterscheidet - denn, eine Nation kann nicht gleichzeitig Imperium und Demokratie sein. Was Anonymous uns abliefert, ist jedoch ein probates Gegenmittel für die fette Lüge Nr. 1 - und das mitten aus dem Herzen des nationalen Sicherheitsstaats heraus.

Daß arabische Fanatiker Washington DC und New York City angriffen, kam nicht überraschend. Die Motive für die Angriffe haben aber wenig bis gar nichts mit der Haltung dieser Terroristen zur amerikanischen Gesellschaft bzw. deren innerer Natur zu tun. Es ging den Terroristen in erster Linie um die US-Außenpolitik - Amerikas Außenpolitik in und um jene Region, die den Tätern primär wichtig ist, der ihre Ambitionen gelten: der Nahe/Mittlere Osten. Und die Terroristen stehen keineswegs alleine da - arabische Menschen jeder erdenklichen Religion und politischen Überzeugung erkennen in der Nahost-Politik der USA viel Hassenswertes, etwa unsere Unterstützung der korrupten Monarchie im übel reaktionären Saudi-Arabien oder unser Sponsering des israelischen Apartheidsstaats und dessen blutiger Besatzung.

Wäre der Haß auf die amerikanische Freiheit und Demokratie tatsächlich Triebfeder für Bin Laden und dessen Gefolgsleute und Unterstützer gewesen, weshalb standen diese Ende der 80ger Jahre dann so fest an der Seite Amerikas? Damals war Amerika innenpolitisch mindestens ebenso frei und demokratisch wie im Sommer 2001 - wenn nicht freier und demokratischer. Hätten Bin Laden und Konsorten tatsächlich eine Wut auf Demokratie und innenpolitische Freiheit der “ungläubigen” westlichen Nationen, warum machen sich Länder wie Kanada, Dänemark, Holland, Schweden, Neuseeland oder die Schweiz (um nur einige demokratische u. nichtislamische Länder zu nennen) dann so wenig Sorgen um mögliche große Al-Kaida-Schläge und zwar berechtigt?

Auch in anderen “Ungläubigen”-Nationen - die von hinterhältigen Terrormassakern der Größenordnung des 11. September verschont blieben -, gibt es demokratische Institutionen, wie sie George W. Bush anzunehmenderweise hervorheben wird. Die demokratischen Institutionen dieser Länder waren (und sind) in vielerlei Hinsicht sogar ‘gesünder’ und entwickelter als ihre US-Pendants. Was diesen Ländern natürlich andererseits fehlt, ist die Terror-Akte der USA - destruktive Interventionen, imperiale Vorherrschaft - im Nahen/Mittleren Osten und andernorts.

Natürlich wird nichts die “talking heads” der Republikaner in Madison Square Garden davon abhalten, sich der ständigen roboterhaften Wiederholung ihrer Doktrin - “weil sie die Freiheit hassen” - hinzugeben, ihrer Version der Story. Diese Doktrin ist notwendig, um die rassistische und imperiale Agenda zu kaschieren, die dem “Krieg gegen den Terror” zugrundeliegt.

“Wir schaffen mehr Sicherheit für Sie und die Welt”

… wird die zweite fette Lüge auf dem Republikaner-Parteitag sein. Man steht dazu, daß das Weiße Haus verantwortlich gehandelt hat - um die Sicherheit der Amerikaner und der Welt zu verbessern, um Demokratie und Freiheit zu fördern und dem Terrorismus einen Rückschlag zu versetzen; eine Behauptung, die schlicht und einfach falsch ist - ZNet-LeserInnen wissen das.

Bushs “Reaktion auf den 11. September” (falls wir das wirklich so nennen wollen - es gibt einige dunkle Gründe, die dagegen sprechen) - war massiv terroristisch. Diese Reaktion hat islamistischen Terror ausgelöst und islamistischen Terror genährt, und sie war ein Glücksfall für die Rekrutierungsbemühungen von Al Kaida, von Al Kaidas Verbündeten und Nachahmern. Im Ausland hat diese Reaktion zu einer Ausweitung des Reaktionären und Autoritären geführt, im Innern der USA zu mehr Ungleichheit und zunehmender Repression. Vor allem die Irak-Invasion war ein großes Geschenk für Bin Laden und seinesgleichen - belegte sie doch scheinbar schlagend deren Argumentation, die muslimische Welt werde von Imperialisten angegriffen - durch Kreuzzugs-Amerika und dessen westliche Verbündete.

Wer Informationen über die islamistisch-terroristischen Vorkommnissen seit dem 11. September sucht, sollte sich die jüngsten Berichte des US-Außenministeriums ansehen (seit Anfang des Jahres sieht sich das Außenministerium gezwungen, frühere Behauptungen, der islamistische Terror gehe zurück, zu korrigieren). Im dritten Kapitel von ‘Imperial Hubris…’ sind mehr als 70 verschiedene terroristische Aktionen aufgeführt, die von Islamisten-Kräften seit dem 11. September ausgeführt wurden.

“Wir haben den 11. September gehaßt”

Die dritte große Lüge auf dem Republikaner-Parteitag wird eine indirekte sein - eine Kollaterallüge zu Lüge 1 und 2: die Behauptung, die Republikaner hielten den 11. September für eine bedauerliche Tragödie nationalen Ausmaßes - für einen tragisch- traurigen Moment in der Geschichte Amerikas. Republikanische Offizielle und Redner werden sicher ständig und hochemotional die Horrorereignisse des 11. September 2001 heraufbeschwören - die Leben, die an jenem furchtbaren Tag verlorengingen.

Aber unter der Oberfläche der Show lauert die dunkle Wahrheit: die Republikaner-Führung, vor allem der außenpolitische Klüngel des Weißen Hauses, hat sich über die Katastrophe sehr gefreut - stellten die Flugzeug-Attacken für sie doch einen großen Glücksfall dar, in den Worten Bushs (und Condoleeza Rices) eine willkommene “Chance”, ein “Segen” (Rumsfeld)… ein “neues Pearl Harbor”; sie ergriffen die sich als enorm nützlich erweisende Chance (viele vermuten, manches sei schon im Vorfeld arrangiert gewesen) und handelten nach Lustprinzip und altbewährtem Muster: Ausdehnung des Imperiums und noch mehr Ungleichheit, daheim wie im Ausland.

Fahrenheit Elf-Neun war die Rettung für die Bush-Administration. Unter dem Schutz der Ereignisse konnten die imperialistischen bzw. konzern-plutokratischen US-“Eliten” ihren “Post-Cold-War”-Traum verwirklichen: totale globale Vorherrschaft. Und sie konnten - was für ein unglaubliches Plus für die Masters -, einen Angriff auf die verbliebenen Seile des sozialen Netzes in den USA starten. Bush und Co können am Rednerpult noch soviele Tränen vergießen: der 11. September war ihr feuchter Traum. Sie reagierten mit einer rassistischen und imperialen Grausamkeit, die die Sicherheitslage der Amerikaner und der Menschheit heute pessimistischer denn je erscheinen läßt.

Die New Yorker (und viele New Yorker hassen schon unter normalen Umständen verlogene, arrogante und dumpfbackige Fundamentalisten wie George W. Bush) empfinden es zurecht als extreme Beleidigung, daß die Rove-Partei den 11. September nun erneut ausbeutet - sie beutet ihn aus, indem sie ihre Ode an den politischen Irrglauben und an ‘Orwell Marke Eigenbau’ im 4-Jahres-Turnus diesmal ausgerechnet im Herzen jener Stadt aufführt, die von den Ereignissen des 11. September in besonderem Maße betroffen ist. Ich hätte mir wirklich gewünscht, den Trip von Chicago hierher machen zu können und bei den Manhattan-Aktionen dabeizusein. So aber erhebe ich mein Second-City-Glas neidvoll zu Ehren derer, die gegen den Republikaner-Parteitag in New York demonstrieren. Mögen die Republikaner es noch lange bereuen, ihren Parteitag nicht nach Atlanta, Miami, Dallas oder Houston verlegt zu haben. Wie wär’s 2008 mit den Azoren?

Paul Streets neues Buch: ‘Empire and Inequality: America and the World Since 9/11’ erscheint 2004 bei Boulder, CO: Paradigm Publishers. (pstreet99@sbcglobal.net)

Anmerkung d. Übersetzerin:

1 deutscher Titel: ‘Die Lügen des George W. Bush’

Quelle: ZNet Deutschland vom 04.09.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Pretending Not to Love 9/11 at the RNC .

Veröffentlicht am

04. September 2004

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