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Westsahara - eine endlose Geschichte

Von Axel Goldau 1

Nach sieben Jahren hat James Baker Mitte Juni seinen “Mediatoren-Job” im lang anhaltenden Konflikt um die ehemalige spanische Westsahara-Kolonie niedergelegt. Einen neuen “Persönlichen Gesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Westsahara” wird es nicht mehr geben: Kofi Annan hatte erwartungsgemäß bald den “Offiziellen Beauftragten für die Westsahara”, den peruanischen Diplomaten Alvaro de Soto, zusätzlich mit Bakers Job betraut. De Soto löste erst im Sommer 2003 den US-Amerikaner William Swing ab. Damit ist kein US-Diplomat mehr in der Mission der Vereinten Nationen für eine Volksabstimmung in der Westsahara (MINURSO) vertreten.

Noch vor Bakers Rücktritt hatte der Weltsicherheitsrat Ende April sein seit 1991 bestehendes Westsahara-Mandat wieder einmal um 6 Monate verlängert und damit zum drittlängsten UN-Einsatz nach Zypern und Palästina gemacht. Kurz darauf - am 11. März - erfolgten die Terroranschläge in Madrid, die der konservativen spanischen Regierung ihr Ende und der Sozialistischen Arbeiter-Partei Spaniens (PSOE) den völlig überraschenden Sieg brachten.

“moneda de cambio”

Von “Wechselgeld” ist in der spanischen Öffentlichkeit oft die Rede seit der als “Freund Marokkos” geltende José Luis Rodriguez Zapatero neuer Regierungschef in Madrid wurde: Was bisher nur für den französischen Staatspräsidenten galt - nämlich als Ziel seiner ersten Auslandsreise zeitnah nach seiner Wahl gleich Marokko zu besuchen - hat der neue spanische Ministerpräsident bereits absolviert.

Immer wieder ist aus der spanischen Öffentlichkeit die Mahnung an die neue Regierung zu vernehmen, die Westsahara nicht als “Wechselgeld” gegen Fisch und Ruhe um die nordafrikanischen Enklaven Ceuta und Mellila einzulösen, wie z.B. kürzlich in einem offenen Brief, den über 200 Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens unterschrieben haben.

In der Tat muten Regierungsäußerungen zur Westsahara wie ein absurdes Theater an: Unisono versichern Regierungschef und sein Außerminister Miguel ÿngel Moratinos, man stehe zum Friedensplan des zurückgetretenen James Baker. Gleichzeitig erklärt Trinidad Jiménez, Generalsekretär der PSOE, ein Referendum momentan für undurchführbar, und Moratinos ergänzt, der Baker-Plan müsse modifiziert werden. Dasselbe erklärte auch Außenamts-Staatssekretär Bernardino León, der immerhin Anfang August den Sahrauis im algerischen Flüchtlingslager einen Besuch abstattete. Um sicher zu gehen, damit Marokko nicht zu verstimmen, nahm dessen Chef Moratinos zur gleichen Zeit an einem Seminar über mediterrane Angelegenheiten in Asilah teil, das von seinem marokkanischen Amtskollegen Mohamed Benaissa ausgerichtet wurde.

Da findet man sich dann schon in feiner Gesellschaft - nämlich mit dem nördlichen Nachbarn Spaniens, dem Wortführer “des alten Europas”, - wieder: Es war vor allem Frankreich, das als Ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrats seit 1991 stets dafür gesorgt hat, Sicherheitsrats-Resolutionen zu Gunsten Marokkos abzuschwächen und Ideen, Marokko wegen seiner ständigen Verstöße gegen Rats-Resolutionen mit Sanktionen zu belegen, erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Selbsterklärtes Ziel der neuen spanischen Regierung ist die Verbesserung der Beziehungen zu dem nördlichen (Frankreich) und dem südlichen Nachbarn (Marokko). Mit dem Ausstieg aus der “Koalition der Willigen” beim Krieg gegen den Irak hat Spanien den ersten Schritt zurück “ins alte Europa” schnell vollzogen.

Auch König Mohamed VI von Marokko, der gerade sein fünf-jähriges Kronjubiläum feiert, erklärte die Verbesserungen der Beziehungen zu Spanien zu einem seiner großen politischen Erfolge, ohne allerdings den völkerrechtswidrigen Anspruch über die Westsahara auch nur vage in Frage zu stellen. Offensichtlich schließt dies für die marokkanische Seite keinesfalls aus, auch weiterhin gegen Spanien zu sticheln: So hat kürzlich Marokko Öl-Förder-Lizenzen an britisch-australische Prospektionsfirmen für die Küstenregion vor Mellila vergeben, die schließlich von Spanien beansprucht werden. Und im alten “Villa Cisneros”, dem heutigen Dakhla im Süden der besetzten Westsahara, sollen alt ehrwürdige spanische Kolonialgebäude kurzerhand dem Umbau zum hoch modernen marokkanischen Umschlagplatz für ganz Westafrika weichen.

Die Töne werden schärfer

Die deutlichen Annäherungen Spaniens an Frankreich und Marokko werden von den Sahrauis aufmerksam mit Argwohn verfolgt. So warf der sahrauische Präsident Mohamed Abdelazis kürzlich Frankreich und Spanien öffentlich vor, “die internationale Gemeinschaft vom Friedensplan wegführen zu wollen”. Auch Algier hat allen Versuchen, den Westsahara-Konflikt jenseits des Völkerrechts durch Verhandlungen zwischen Marokko und Algerien sowie Frankreich und Spanien lösen zu wollen, eine klare Absage erteilt und verwies auf die Zuständigkeit der Vereinten Nationen für diesen Kolonialkonflikt.

Selbst die Bush-Administration klammert die Westsahara beim “Freihandelsvertrag” zwischen den USA und Marokko, der im Juni in Kraft trat, ausdrücklich aus. Und aus dem US-Kongress waren noch viel schärfere Töne zu vernehmen: In ihrer gemeinsamen Presse-Erklärung vom 18. Juni weisen die beiden Abgeordneten Joe Pitts und Donald Payne Marokkos Versuche, die Besetzung der Westsahara als Beitrag zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu deklarieren, entschieden zurück.

Krieg gegen den Terror

Die Entführungen von zumeist deutschen Sahara-Touristen Ende letzten Jahres können als erster ernster Hinweis gedeutet werden, dass sich in den instabilen Regionen der Sahara neue terroristische Herde mit islamistischem Hintergrund gebildet haben. Vor allem die USA nehmen dies als Bedrohung sehr ernst und entwickeln intensive militärische Kontakte zu den Staaten der Region: Die spanische Presse wusste z.B. von einem geheimen Treffen in Deutschland im März zwischen Vertretern des Oberkommandos im Pentagon mit höchsten Militärs aus Algerien, Mali, Marokko, Mauretanien, Niger, Senegal, Tschad und Tunesien zu berichten. Versuche seitens Marokkos bei dieser Gelegenheit, die Frente Polisario auf die Liste terroristischer Vereinigungen zu setzen, seien von den Vertretern der USA mit dem Hinweis auf diesen Kolonialkonflikt zurückgewiesen worden. Vor allem hat der Kampf gegen den Terror zu einer deutlichen Annäherung zwischen den USA und Algerien geführt. 2

Gute Beziehungen zu den USA zahlen sich aus

Der alte und neue algerische Präsident Abdelazis Buteflika, der die Öffnung zu den USA eingeleitet hatte, dürfte es neben dem grandiosen Wahlergebnis, mit dem er im April im Amt bestätigt wurde, vor allem den engen Beziehungen zu den USA verdankt haben, dass er als erster Präsident sogar den Heereschef entlassen und durch einen Offizier seines Vertrauens ersetzen konnte. Der offizielle Grund für die Entlassung: Versagen im Kampf gegen den Terror! Bisher galten Algeriens Präsidenten eher als Marionetten bzw. Befehlsempfänger der übermächtigen Militärs.

Im vorigen Sommer hatte die Polisario überraschend dem “Bakerplan-II” zugestimmt - Marokko lehnt ihn nach wie vor ab, weil am Ende ja vielleicht doch die Unabhängigkeit der Westsahara-Kolonie dabei herauskommen könnte. Zwar führt dieser Plan weg vom Völkerrecht, schließt aber ein Referendum ausdrücklich nicht aus. 3 Die Sahrauis sind von Algerien, ihrem wichtigsten Verbündeten, zur Zustimmung gezwungen worden, aber auch die sahrauische Diplomatie setzt seit langem auf gute Beziehungen zu den USA und eine Ablehnung des Bakerplans durch sie hätte diese schwer belasten können.

Die Sahrauis handeln sicher klug, diese Beziehungen zu den USA weiterzuentwickeln und zu pflegen: So war der sahrauische Präsident Ende Januar ein wohl gesehener Ehrengast auf dem Jahresparteitag der regierenden Republikaner. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass der Schlüssel zur Unabhängigkeit überhaupt nicht in Europa, sondern - allenfalls - in Washington zu finden ist - von Europa haben die Sahrauis außer “humanitärer Hilfe” keine politische Unterstützung für ihr Recht auf Selbstbestimmung zu erwarten.

Die UNO wird zum Papiertiger gemacht

Die endlose Geschichte der MINURSO zeigt die strukturelle Unmöglichkeit der Vereinten Nationen, den Sahrauis zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung zu verhelfen. Mächtige Nationen - hier allen voran Frankreich - haben den Friedensprozess blockiert, weil sie die Stabilität des Makhzen, des Machtapparats der königlichen Familie in Marokko, für die Stabilität des Maghrebs ausgeben. Mit dem politischen Schwenk Spaniens hin zur französisch-marokkanischen Position hat Marokko bis Ende des Jahres auch noch einen weiteren wichtigen Befürworter seiner Annexionspläne im Weltsicherheitsrat erhalten.

Im Oktober wird der Sicherheitsrat das MINURSO-Mandat wahrscheinlich um mindestens drei weitere Monate verlängern, um dem neuen Chef-Diplomaten Alvaro de Soto “mehr Zeit für weitere Gespräche mit den Konfliktparteien” einzuräumen. De Soto wird aber niemals über das politische Gewicht seines Vorgängers James Baker verfügen können: Einmal ist er “nur” der “Offizielle Beauftragte der Vereinten Nationen für die Westsahara” und nicht der “Persönliche Gesandte des Generalsekretärs”, zum anderen ist er “nur” Staatsbürger eines Landes, das bereits 1996 seine Beziehungen zum Königreich Marokko insofern “normalisierte”, indem es seine diplomatische Anerkennung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara von 1984 zurückzog. Marokko weiß das und wird weiterhin versuchen, die UNO an der Nase herumzuführen. Auf tatkräftige Unterstützung seitens des nun erstarkten “alten Europas” kann Marokko dabei vertrauen.

Und Deutschland? Hätte Deutschland im April, als es den Ratsvorsitz inne hatte, nicht wenigstens die von Kofi Annan gewünschte 10-monatige Mandatsverlängerung durchsetzen können, die der Generalsekretär mit Blick auf den Präsidentschafts-Wahlkampf in den USA so langfristig terminiert sehen wollte?

Ausblick

Unter den gegebenen Umständen wird die UNO den Konflikt nicht im Sinne des Völkerrechts lösen können. Andere Akteure drängen sich auf: Da ist einmal die neue spanische Regierung, die davon träumt, im Quartett mit Frankreich, Marokko und Algerien das Problem in sechs Monaten vom Tisch haben zu können. Dies aber macht Algerien nicht mit. Zum anderen sind da die USA, die ihren Einfluss in Nordafrika und überall dort, wo es noch Öl und Gas zu holen gibt, ausdehnen möchten. In Nordafrika haben sie in Algerien bereits einen wichtigen Partner gefunden, der sie nicht nur mit Öl- und Gas versorgt, sondern sich auch zunehmend als äußerst verlässlich beim “Kampf gegen den Terror” erweist.

Realitätssinn wird allerdings erst - wenn überhaupt - nach den Präsidentschaftswahlen in den USA in die internationale Politik einkehren können. Dann besteht Anlass zur Hoffnung, dass die Ursachen für islamistisch motivierten Terror erkannt und diese Erkenntnisse Eingang in den “Kampf gegen den Terror” finden. Zumindest in den USA dürfte bereits aufgefallen sein, dass die sahrauische Volksbefreiungsarmee ELPS besser im “Kampf gegen den Terror” eingebunden wäre, als ihren völligen Zerfall zu riskieren - mit der Konsequenz, dass noch mehr schwer Bewaffnete selbstorganisiert in den Weiten der Sahara herumgeistern.

Anmerkungen:

1 In leicht redigierter Form erschien dieser Artikel in der aktuellen INAMO (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten): ISSN 0946-0721 - Abos inamo, Postfach 3613 - 90018 Nürnberg: Axel GOLDAU: Westsahara - UNO. Never ending Story; INAMO 39 3 : 38f. 2004.

2 Ausführlich hierzu: Ruf, Werner: Algerien - USA: Eine ganz besondere Beziehung. In: INAMO 35/2003, S. 19-22.

3 Ausführlich hierzu: s. Ruf, Werner: Die Polisario am Ende? In: INAMO 36/2003, S. 42 - 43.

Quelle: Kritische Ökologie/ifak e.V. - auf Kritische Ökologie/ifak e.V. geht die Initiative “Stärke des Rechts” zurück, die anlässlich der Mitgliedschaft der BRD im Weltsicherheitsrat 2003 mit dem Ziel gestartet wurde, den letzten Kolonialkonflikt auf afrikanischem Boden zu beenden und durch eine Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung im Maghreb zu ersetzen.

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Veröffentlicht am

15. Oktober 2004

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