Durch Geburtsrecht zuhause
Durch Geburtsrecht zuhauseVon Martin Lukacs - The McGill Daily “Willkommen zuhause.” Es ist seltsam, das zu hören wenn man ein Land betritt, in dem man nie gewesen ist. Das sind die Worte die ich hörte, als ich durch den Zoll am Ben-Gurion-Flughafen ging und meine Hand von der warmen, starken Hand von Shlomo (Momo) Lifschitz ergriffen wurde, einem rundlichen, muskulösen früheren Armeeoberst, gegenwärtig Präsident von ‘Oranim Educational Initiatives’. 1 “Da du ein Jude bist, ist dies deine dir zustehende Heimat”, schloss er seine Worte an mich mit einem starken israelischen Akzent, bevor er sich der nächsten Person mit ähnlichen Worten zuwandte. Er erschien immer wieder in den nächsten Tagen, um seine Botschaft zu vollenden: Ich könne, wenn ich wollte, meine israelische Staatsbürgerschaft beanspruchen. Ich würde einen Pass, einen Umschlag voll Geld und die Schlüssel zu einer subventionierten Wohnung erhalten. Am wichtigsten war, dass ich - in seinen Worten - hier war, nicht um sie zu unterstützen, sondern um Unterstützung zu erhalten. Ich war in Israel angekommen mit “Birthright Israel” (“Geburtsrecht Israel”), einem Programm, in dem die israelische Regierung, nordamerikanische jüdische Organisationen und ein Dutzend jüdischer Wohltäter zusammenarbeiten. Es war aufgestellt worden als Verbindung zur jüdischen Diasporagemeinschaft, um das Image von Israel stärken. Seit seinem Anfang wurdem durch dieses Programm 70.000 nordamerikanische Juden zwischen 18 und 26 Jahren, die noch nie in Israel gewesen waren, auf eine 10tägige, voll bezahlte Entdeckungstour genommen. 2 Ich beschloss die Reise zu machen, weil ich mich den Tausenden von Menschen anschließen wollte, die leidenschaftlich eine gerechte und friedliche Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts suchen. Da ich keine vorherige emotionale oder religiöse Bindung an Israel hatte, meinte ich wirklich, die Menschlichkeit hinter den Geschichten beider Völker aufdecken zu können. Ich hoffte, nach meiner Rückreise über die Wirklichkeit zu sprechen, die durch diese Geschichten ausgespart wird. “Birthright Israel”Die zehn Tage waren wie ein Wirbelwind. Wir sahen wunderschönen religiöse Relikte, spazierten durch antike Städte und genossen das israelische Nachtleben. Im Zickzack durch das Land sahen wir aus den Busfenstern, wie die umliegende Landschaft sich in eine Welt verwandelte, die von biblischen Helden und modernen Kriegern bevölkert war. Wir besuchten Kibbuzim, erklommen Masada beim Tagesanbruch, sahen das schöne Haifa und das moderne Tel Aviv. Wir lernten die einmaligen Leistungen des jüdischen Volkes kennen, eine aktive Erinnerung der Geschichte. Für viele war das aufregendste das Treffen und sich Anfreunden mit den acht israelischen Soldaten, die sich uns fünf Tage lang anschlossen. In Israel werden Soldaten in so etwas wie einer zivilen Religion wie Götter emporgehoben. Sitten, Geschichten und Legenden schaffen zusammen einen Schlachtmythos, der ihr Image über die ganze Welt hochhält. Die ganze Reise hindurch wurden wir unterhalten mit den Erzählungen ihrer wunderbaren Triumphe. “Birthright” schloss damit, dass viele Leute die gebotene Gelegenheit ergriffen, den Rückflug zu verschieben. Die meisten wollten in Tel Aviv Parties feiern oder in der Ferienstadt Eilat. Manche gingen in einen Kibbuz arbeiten. Einige schlossen sich einem Programm an, das es ihn ermöglichte, ein paar Wochen in der Armee zu dienen. Die meisten flogen allerdings nach Hause, wie in einem Traum, überzeugt dass Israel wohl und gut war. Die Mehrzahl der TeilnehmerInnen waren, anders als ich, religiös erzogen worden oder zumindest dem weltlichen jüdischen Leben nicht entfremdet. Sie waren mit Erzählungen von den früheren Herrlichkeiten des jüdischen Volkes in ihrem heiligen Land groß geworden. Ihnen war ein Empfinden für das 2000jährige Exil ihres Volkes, für die religiöse Verfolgung, Inquisition, Blutschmähung, Pogrome und die fast totale Ausrottung durch den Holocaust eingeimpft worden. Für sie hatten die Organisatoren “Birthright” zu einer machtvollen emotionalen Bejahung gemacht von all dem, was sie einst gelernt hatten über die Erlösung jener Geschichte des leidenden Israels. Die Mehrheit verließ das Land mit dem feierlichen Empfinden von einer Version Israels: ein Mythos, das sie bereits ihr Leben lang kannten. AuslassungssündenIch wurde zu Tränen gerührt durch den Sabbatgottesdienst an einem heiteren Freitagabend. Er fand vor der Westmauer statt, dieser letzte Rest des Zweiten Tempels. Zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich die Schönheit eines Traums für ein Land, das in seinem Edelmut dem Leid und Tod von Millionen Opfern Würde verleihen sollte. “Birthright” und seine Erzählung verkörpert diesen Traum. Indem es das tut, setzt es aber auch eine Heuchelei fort, die unserer Auffassung nach hinter dem Israel-/Palästina-Konflikt brodelt. Israel ist nicht nur ein Land der Opfer, sondern jetzt auch ein Land, das andere zu Opfern macht. “Birthright” erweist einen schlechten Dienst, indem es sich weigert anzuerkennen, dass die Palästinenser und die Israelis gegenseitig in das Leben des anderen verstrickt sind. Ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft sind miteinander verwoben. Sie teilen einen alptraumhaften Kurs, der nur verändert werden kann, wenn sie zusammen wach werden. In seinen zehn Tagen, erkennt “Birthright” diese Tatsache nicht an. Wir hören nichts über die wachsende Refusnik-Bewegung, die aus Soldaten besteht, welche sich weigern, in der West Bank oder im Gazastreifen Dienst zu tun. Wir wurden auch nicht informiert darüber, viele ehemalige Soldaten die Welt bereisen,um ihr Gedächtnis von den militärischen Jahren zu reinigen, wenn ihre zwei bis drei vorgeschriebene Jahren beim Militär zu Ende sind. Uns wurde nicht erzählt, dass Israel - durch die USA finanziert, mit einer bewaffneten Macht, die mit keiner anderen im Nahen/Mittleren Osten zu vergleichen ist - seit Jahrzehnten nicht mehr militärisch bedroht gewesen ist. Während der Reise hörten wir nichts von den Palästinensern, außer eine Powerpoint Präsentation, die sich tatsächlich “The Middle East in 30 Minutes” nannte, während der ein Experte die Probleme der Region auf die Tatsache reduzierte, dass einem kleinen Land hilfloser Juden ständig von blutrünstigen, irrationalen Araber zugesetzt wurde. Ich versank in Verzweiflung als mir klar wurde, dass der ganze palästinensisch-israelische Konflikt durch diese Unterlassung besteht, die Gegenwart und Bedürfnisse eines anderen Volkes in Betracht zu ziehen - ein Volk mit einer eigenen Leidensgeschichte, das emotional und politisch in das Land investiert hatte. Wir wurden nie dazu aufgefordert “Kill the Arabs” zu skandieren. Es wurde uns auch nicht in Worten gesagt: “Hasst sie.” Und doch wurde mir zehn Tage lang beigebracht, ein anderes Volk zu ignorieren, es nicht zu sehen. Wenn wir uns bedroht fühlen, definieren wir unsere Feinde als Untermenschen. Nur wenn wir die Rechtfertigungen und Entschuldigungen loslassen, die uns die Fähigkeit rauben, andere als im vollen Sinne menschlich zu erkennen, können wir sie als Partner treffen. Ich glaube, es ist notwendig für jeden, der ein Ende des palästinensisch-israelischen Konflikts will - Jude wie Nicht-Jude -, die “Birthright”-Erfahrung anzuerkennen, sich also einzulassen auf diese Art wahrzunehmen, zu wissen und zu fühlen, in was ich eingeführt wurde und schließlich zu begreifen, dass, wenn man dieser Weltsicht verhaftet bleibt, nichts anderes als Stillstand oder gegenseitige Vernichtung jemals möglich sein werden. Die Geschichte von SadaamIn Palästina entdeckte ich die Seite Israels, die mir während “Birthright” nicht gezeigt oder erzählt wurde. Ich arbeitete mit der International Solidarity Movement (ISM) 3 und Taayush 4 , zwei Gruppen, welche die Palästinenser in gewaltfreier, direkter Aktion unterstützen. Ich erwartete, ein Kind nach dem anderen zu treffen, dessen einziger Ehrgeiz war, Selbstmordbomber zu werden. Stattdessen freundete ich mich mit Kindern an, die, obwohl sie so früh im Leben so viel erlitten haben, voll von der natürlichen Vitalität waren, die man in Kindern überall vorfindet. Ich traf künftige Fußballspieler, Ingenieure und Politiker. Ich traf nur einen Jungen, der Selbstmordattentäter werden wollte. Ich mochte den 13jährigen Sadaam sofort. Als ISM durch sein Dorf kam, hat seine Familie mich für die Nacht aufgenommen. Ich hatte ihn nicht beim Protest am Tag gesehen, wo alle Jungen auf die Soldaten mit Steinen warfen. Ich fragte ihn warum, und er vertraute mir scheu an, dass er zu viel Angst hatte. Mir gefielen seine Sensibilität und seine reife Einstellung. Er hatte eine liebenswürdige, ernsthafte Art, Englisch zu sprechen und suchte oft minutenlang in seinem arabisch-englischen Lexikon nach dem genauen Wort, das er brauchte. Ich fragte ihn nach seinen Plänen für die Zukunft und er erzählte mir erst, dass er Obst und Gemüse auf dem Markt verkaufen wolle. Aber in der Nacht, als wir beide erfolglos versuchten, einzuschlafen, erwischte ich ihn bei der Lektüre eines kleinen Blatts Papier. Darauf stand “Wir singen nicht den Lob des Todes, sondern die Lieder des Lebens.” Ich ließ ihn versprechen, mir am Morgen zu sagen, was das bedeutete, obwohl ich das Wesen davon schon vermutet hatte. Gegen Morgen gaben wir beide den Versuch auf, einzuschlafen. Wir schlossen uns seinem Onkel mit einem Glas heißen, zuckersüßen Tee an. Auf meine Bitte spazierten Sadaam und ich hinter dem Haus, an einem brüllenden Esel vorbei, der an einen Feigenbaum festgebunden war, und ins Tal hinab. Nicht mehr als 500 Meter entfernt befand sich der sogenannte Sicherheitszaun, den ich fotografieren wollte. Sein Vater hatte mir am Abend vorher erzählt, dass er durch den Bau seine Stelle in Israel verloren hatte, die er 25 Jahre lang innegehabt hatte (er hatte sich mit seinem Arbeitgeber immer gut verstanden), und dass die Olivenhaine, die Generationen hindurch in der Hand seiner Familie gewesen waren, konfisziert und die Bäume entwurzelt worden waren. Nun fiel es ihm schwer, seine Familie zu ernähren. Ich fragte Sadaam was er meinte, wie sich die Barriere auf die Palästinenser auswirken würde. Mit einer Stimme die über seine Jahre hinaus weise war, antwortete er: “Wir wissen wie es in Gaza zugeht.” Vorsichtig begann ich, ihn über das Hamas-Pamphlet zu befragen, bei dessen Lektüre ich ihn erwischt hatte. Schließlich vertraute er mir an, dass er davon träumte, Selbstmordattentäter zu werden. Ich sagte ihm, dass ich Jude sei. Er dachte kurz nach, zuckte dann die Schultern und zeigte auf die Barriere und sagte, seine Wut richte sich gegen die Menschen, die sie errichtet hatten. Ich zweifele nicht daran, dass es Sadaam gelingen kann, seinen Traum zu erfüllen. Ich sehe ihn schon, wie sein zarter Körper unter den Israelis explodiert und die verschrobenen Glaubenssätze der Hamas erfüllt. Ich sehe, wie er sich vorstellt, das Bewusstsein Israels und der Welt zu wecken für die totale Ungerechtigkeit seiner Lage. Sadaam ist der Terrorist, den ich zu fürchten und zu hassen lernte während “Birthright”, ein sinnloser Ausführender des Hasses. Tatsächlich ist er nur ein Junge, dessen Leben so schmerzhaft ist, dass es ihm nicht lebenswert erscheint. Sein Wunsch, Selbstmordattentäter zu werden, kommt nicht von einem unstillbaren Hass, sondern als direkte Antwort auf eine Besatzung, die ihm keine Chance zu leben gewährt. … Ein Wort für zwei VölkerWo sollen wir jenseits der letzten Grenzen hin? Welcher jüdische Mensch könnte nicht mit den Versen des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwish sympathisieren, welche die Wirklichkeit eines Volkes ausdrücken, von Menschen, die in ein dauerhaftes Exil getrieben werden, die in ihren Herzen eine schmerzvolle Sehnsucht nach ihrer Heimat tragen, einen Traum, der genau wie jeder andere eines Geburtsrechts würdig ist? Aber, nach Ehud Barak, ehemaliger israelischer Premier Minister, ist sein Land für diese Dichtung noch nicht bereit. Bevor ich Sadaam auf Wiedersehen sagte, erzählte ich ihm von einem Gebet, das die Juden leidenschaftlich am Ende von Passah aufsagen, dem Fest, das die Befreiung der Juden aus Ägypten feiert, in dem sie treu versprechen, sich im nächsten Jahr in Jerusalem zu sprechen. Obwohl ich dieses Gebet nie ernsthaft gebetet habe, versprach ich Sadaam, im nächsten Jahr wieder zu kommen. Mein Gebet wird aber etwas anders sein: es wird die Hoffnung zweier Völker ausdrücken, nicht nur von einem, eine Hoffnung auf zwei Heimatländer, die friedlich existieren ohne Betonmauern zwischen ihnen. Es ist, das gebe ich zu, ein Gebet, das auf einem unendlichen Optimismus gründet, das nur aufrechterhalten werden kann durch die Weigerung, sich der Verzweiflung hinzugeben. Dennoch werde ich es im Glauben sprechen, nächstes Jahr in Palästina, Seite an Seite. Quelle: Brief-aus-Israel vom 18.10.2004. Übersetzt von: Anka Schneider, Bearbeitung: Michael Schmid. Anmerkung der Redaktion: 1 “Oranim Educational Initiatives Ltd”: http://www.funtour.co.il/default.asp, eine der größten Reiseagenturen in Israel und gleichzeitig laut eigener Aussage gefragtester israelischer Veranstalter für die “Birthright Israel Mission” seit 2000. 2 “Birthright Israel” ist nicht nur ein Programm für junge nordamerikanische Juden, sondern ein internationales. 3 ISM ist eine Bewegung palästinensischer, internationaler und israelischer Friedens- und Menschenrechtsaktivistinnen, die mit gewaltfreien Mitteln für ein Ende der israelischen Besatzung arbeiten und sich für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina einsetzen. 4 Taayush ist eine jüdisch-arabische Friedensinitiative. Siehe hierzu z.B.: Die jüdisch-arabische Friedensinitiative Taayush: “Es gibt eine andere Zukunft” . Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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