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Tunesien - die vergessene Diktatur

Von Doug Ireland - DIRELAND / ZNet 27.10.2004

Am 24. Oktober wurde Tunesiens Präsident Zine El Abidine Ben Ali wiedergewählt - mit 94,49 Prozent - ein Ergebnis, das an Nicolai Ceausescu erinnert. Die staatstragenden News-Medien der USA nahmen das Wahlergebnis kaum zur Kenntnis. Selbst die New York Times begnügte sich mit einer kurzen AP-Notiz auf ihrer Website. Eine Nexis-Suche ergibt, die Wahl war den meisten US-Medien allenfalls ein paar Zeilen wert, wenn überhaupt. Und über die vielen politischen Gefangenen wird überhaupt nichts gebracht. Laut eines Berichts von Human Rights Watch lag deren Zahl im Juli bei 500; diese Woche brachte Le Monde einen Report, in dem von 600 die Rede ist - Menschen, die unter Horrorbedingungen in Ben Alis Gefängnissen dahinvegetieren.

Der Lebanon Daily Star (Englisch) erklärt in einem ausführlichen Artikel die Wahltricks - das Ganze sei in erster Linie für den Westen inszeniertes Theater gewesen.

“Moncef Marzouqi, einer der prominentesten Demokratieverfechter Tunesiens und Vorsitzender einer echten (und nicht anerkannten) Oppositionspartei, nämlich der ‘Congress for the Republic’ (CPR), sieht es so: “Das Ganze ist ein gut inszeniertes Schauspiel, der demokratische Prozess wurde gekidnappt, mit dem Ziel, der Diktatur einen gewissen legalen Anstrich zu geben. Der Präsident sucht sich Leute aus, die für seine Regierung die Rolle der Opposition spielen. Es ist derselbe Präsident, der die Verfassung ändert, um alle Macht zu haben.”

Aktuelle Verfassungsänderungen zielen darauf ab, Ben Ali zum Präsidenten auf Lebenszeit zu machen. Sämtliche ‘echte’ Oppositionsparteien boykottierten die Wahlfarce bzw. die drei Marionettenkandidaten Ben Alis, die man gegen ihn antreten ließ. Über diese Kandidaten schreibt der Lebanon Daily Star: Von ihnen

“wird nur erwartet, daß sie ihm (Ben Ali) Gelegenheit geben, sein Image aufzupolieren, vor allem in Hinblick auf die Verbündeten in Europa und den Vereinigten Staaten. (Schon ironisch, dass Washington ausgerechnet in Tunis eines seiner beiden ‘Middle-East-Partnership-Initiative’-Büros in der Region aufmachte, mit Schwerpunkt Förderung politischer und wirtschaftlicher Reformen in der arabischen Welt.)”

Auf den Wahlbetrug angesprochen, stammelte der Sprecher des US-Außenministeriums ein paar Einlullphrasen: “Die Möglichkeiten, politisch an diesem (Wahl-) Prozess teilzunehmen, waren nicht ganz so, wie wir uns das erhofft hatten”. Andererseits ist Präsident Ben Ali natürlich ein wichtiger Verbündeter der USA und Westeuropas - im Krieg gegen den Terror. Der Präsident ging mit aller Härte gegen agitierende islamistische Fundamentalisten vor (Fundamentalisten, die den Volkszorn in Bezug auf Ben Ali kanalisieren könnten und so auch dessen Regime gefährden).

Aber nicht nur Washington ist entschlossen, die Ben-Ali-Repression - was fundamentale demokratische Rechte angeht -, geflissentlich zu übersehen, sondern auch Frankreich und Italien, solange Ben Ali nur den radikalen Islamismus unter Kontrolle hält. (Tunesien war einst eine französische bzw. italienische Kolonie und ist heute ein wichtiger Exportmarkt für beide Länder.) Bei seinem Tunesienbesuch im Dezember 2003 umarmte Colin Powell den Diktator und sagte weitere US-Hilfen zu. Im Februar wurde Ben Ali von Präsident Bush mit offenen Armen im Weißen Haus empfangen.

Tunesien, mit seinen Prachtstränden, ist ein wahres Touristenparadies - mit extrem polizeigesicherten Beachresorts. Jährlich kommen mehr als 5 Millionen Besucher ins Land - das meiste Europäer. Der Tourismus ist ein wesentlicher Wirtschaftszweig. 2003 dankte die Europäische Union Ben Ali für dessen Unterstützung im Krieg gegen den Terror, indem sie das Land zum größten Empfänger von EU-Beihilfen im südlichen Mittelmeerraum erhob. Die Finanzhilfe des Westens floss, die Touristen hatten ihren Spaß, und gleichzeitig erschien in Paris ein Buch, das sich en détail mit der Repression, der Korruption und persönlichen Bereicherung des Ben Ali auseinandersetzte. Titel: ‘L’Europe et ses despotes modernes - Quand le soutien au modèle tunisien fait le jeu du terrorisme islamique’ 1 (erschienen bei Les Editions de la Decouverte). Le Monde feierte das Buch als “unvergleichbar präzise”, was die Darstellung der Ben-Ali-Diktatur angeht. Die Verfasser sind: Sihem Bensedrine und Ko-Autor Omar Mestira. Die Autorin Bensedrine saß mehrere Male in Ben Alis Gefängnissen. Sie ist die kraftvolle Stimme der demokratischen Opposition - als Herausgeberin des Online-Magazins Kalima. Bensedrines Bücher sind in Tunesien verboten.

Viele tunesische Gefangenen befinden sich mittlerweile in Langzeiteinzelhaft - unter Bedingungen, die laut Human Rights Watch psychischer Folter gleichkommen:

“Derzeit befinden sich zwischen dreißig und vierzig Gefangene - die meisten davon führende Köpfe der islamistischen Nahdha-Bewegung Tunesiens - mindestens 23 Stunden am Tag in kleinen Einzelhaftzellen. Einige der Häftlinge verbrachten die letzten 13 Jahre vorwiegend in Isolation. Die Übrigen leben seit Monaten isoliert, viele schon über ein Jahr. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind sie selbst beim kurzen täglichen “Hofgang” sowie beim Duschen von anderen Insassen abgetrennt. Abgesehen vom Gefängnispersonal besteht der einzige direkte menschliche Kontakt, den diese Gefangenen haben, in kurzen Besuchen ihrer Angehörigen. Aber selbst dann sehen sie keine anderen Häftlinge oder deren Familien sondern nur die Wärter, die sich in der Nähe aufhalten und häufig die Gespräche mitschreiben”.

Wer in den USA interessiert sich für diese Folteropfer? Kaum jemand natürlich - sind ja nur “Wogs” 2 . Amerikas Verbündeter Ben Ali schafft neue Märtyrer. Die Verfolgung dieser Leute helfe den Rekrutierungswerbern der islamistischen Terrorgruppen; ihre Argumente fielen auf fruchtbaren Boden - argumentiert Bensedrines/Mestiras Buch. Tunesien - die vergessene Diktatur.

Doug Ireland ist seit vielen Jahren radikaler Journalist und Medienkritiker.

Dieser Text erschien am 26. Oktober 2004 auf Irelands Blog: DIRELAND

Anmerkung d. Übersetzerin:

1 Von Sihem Bensedrine auf Deutsch erschienen: ‘Besiegte Befreite: Eine arabische Journalistin erlebt den besetzten Irak’ (2004). Das im Artikel erwähnte Buch liegt leider (noch) nicht in deutscher Übersetzung vor.

2 Abfällig für Araber

Quelle: ZNet Deutschland vom 31.10.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: THE FORGOTTEN DICTATORSHIP: TUNISIA

Veröffentlicht am

02. November 2004

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