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Falluja in ihrem Fadenkreuz

Von Patrick Graham - Guardian / Znet 23.10.2004

Sobald die britischen Truppen verlegt sind, werden die Vereinigten Staaten die Stadt wieder in ein Blutbad verwandeln*

Da die britische Regierung sich darauf vorbereitet, ihre Soldaten nach Norden zu schicken um die US-Armee freizusetzen und Falluja anzugreifen, ist es nötig sich darauf zu konzentrieren, was dieser kommende Angriff für die Stadt und ihre Leute bedeuten wird. Falluja wird bereits jetzt täglich bombardiert, um es für die lang ersehnte Belagerung weich zu machen.

Es war ein zermürbendes Jahr für seine Bewohner. Zuerst wurden sie durch die 82. Luftlandeeinheit der US-Armee besetzt, eine inkompetente Gruppe von Rüpeln, deren Vorstellung von kultureller Sensibilität darin bestand, eine Tür einzutreten anstatt sie in die Luft zu jagen. Innerhalb von acht Monaten nach der Invasion hatte die Zweiundachtzigste über 100 Zivilisten in dem Gebiet getötet und die Kontrolle über Falluja verloren. Daraufhin überließ sie den US-Marines die Rückeroberung der Stadt. Nachdem sie 600 Zivilisten getötet hatten, zogen sich die Marines zurück und überließen die Stadt achtzehn bewaffneten Gruppen, bestehend aus Stammesangehörigen, Islamisten, Ba’athisten, ehemaligen Kriminellen und einer bunten Mischung von arabischen nichtirakischen Kämpfern, die durch den Jordaner Abu Musab al-Zargawi geleitet worden sein sollen.

Fallujas Einwohner wurden nun vor die Wahl gestellt, die Außenstehenden zu übergeben, die sie nicht mögen (vor allem Araber), die sie aber vor den Außenstehenden beschützen, die sie wirklich hassen (die Amerikaner), oder zerfetzt zu werden durch die tödlichste Kriegsmaschinerie der Welt, die US-Marines. Zargawis Einfluss auf den Widerstand wurde maßlos übertrieben - in der Tat glauben viele Leute in Falluja nicht einmal, dass er existiert und die meisten finden, dass die nichtirakische arabische Sorte des Salafi-Fundamentalismus nicht mit ihren lokalen Sufi-Traditionen übereinstimmt.

Heutzutage haben viele Einwohner Fallujas ihre eigenen Mudschaheddin satt, aber sie vertrauen der US-Armee noch weniger und das mit gutem Grund. Vor kurzem teilte ein Beamter der Bushregierung der New York Times mit, dass die Bombardierung einen Keil zwischen die Bürgerschaft und die nichtirakischen Kämpfer treibt. Wenn die zivile Bevölkerung tatsächlich zu diesem Zweck bombardiert wird, ist das ein schweres Kriegsverbrechen.

Wir haben einen Eindruck von dem, was in der Stadt während der kommenden Attacke passieren wird. Falluja, Teil eins. Wie bei allen Fortsetzungen wird die nächste Folge blutiger sein. Im letzten April fand ich mich in der Situation, mich langsam über eine Brücke in Falluja vorwärts zu schieben und dabei ein altes weißes T-Shirt hochzuhalten. Vor mir Marines, die die Brücke blockierten und mich anschrieen, zurück zu gehen; hinter mir eine große Gruppe von Irakern, die mir zuriefen, vorwärts zu gehen, damit sie mir durch die Straßensperre folgen und ihre Familien retten könnten. Nach einer Weile öffneten die Marines die Brücke und erlaubten hunderten von Frauen und Kindern hinauszuströmen, aber sie hielten die Jungen, die älter als 16 waren, und die Männer, die jünger als 60 waren, davon ab die Stadt zu verlassen. Es ist gegen die Genfer Konventionen, zu verhindern, dass Zivilisten einen Kampf verlassen können - obwohl “Kampf” nicht erfasst, was für ein Fleischwolf die Stadt in dieser ersten Woche des Angriffes geworden ist, als die Mehrheit der Zivilbevölkerung getötet wurde, zerfetzt durch präzise und oft grundlose Luftangriffe.

Die Toten wurden in Gärten oder in Massengräbern auf dem Fußballfeld der Stadt begraben. Für drei Wochen umzingelten 5.000 Marines die Stadt von 340.000 Einwohnern. Die Marines erschufen eine fahrende Front aus Humvees und Panzern, die Falluja von der Außenwelt abschnitt. In der Luft bombardierten Helikopter und Kampfflugzeuge eine Stadt ohne Luftverteidigung, während unbemannte Drohnen ununterbrochen kreisten und nach Zielen Ausschau hielten.

Während dieser ersten Woche wurde mir von irakischen Kämpfern gesagt, dass die Marines nahezu die Stadt eingenommen hatten, nachdem sie einige Waffenlager der Rebellen erobern konnten: Vorräte von Landmienen und selbstgebaute Panzerfäuste, angeschlossen an Zigarettenanzünder im Auto. Ölfässer, auf denen Entfernungen aufgemalt waren, säumten die Straßen, so dass die Rebellen Granatwerfer registrieren können. Die Mudschaheddin waren mehr als ein Häufchen fremder Kämpfer und Ba’athisten, wie es die US-Armee jedem zu erzählen pflegte.

Zunächst kam die Mehrheit ziviler Opfer von Bombardierungen, die “verschiedene Wunden durch Explosionen, verlorene Gliedmaßen und zerfetzte Unterleibe” verursachten, wie mir Ärzte aus Falluja berichteten. Gemäß der Genfer Konvention muss Gewalt in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen, und als diese Bilder im arabischen Fernsehen erschienen - übereinander gestapelte tote Familien - sah es ganz und gar nicht so aus; es sah aus wie Massenmord. Gegen den Rat der Marinekommandanten ordnete das Weiße Haus eine Feuerpause an. Der Widerstand formierte sich erneut, rüstete sich neu aus und kämpfte weiter.

Während der zweiten Woche des Kampfes schaffte ich es zurück nach Falluja, indem ich eine falsche irakische Identität benutzte. Ich wurde von einem Übersetzer begleitet, der den Leuten erzählte, dass ich ein Bruder von ihm sei, der unter einem Gehirnaneurysma leide. Wir verließen Bagdad und fuhren Straßen entlang, die von Guerillakämpfern bewacht wurden. Das Land von Ost-Ramadi über Falluja bis Bagdad revoltierte. Wir mussten durch die Reihen des Widerstandes, um zu den Marines, und dann durch Reihen von Aufständischen, um in die Stadt zu gelangen. Es waren die Marines, die umzingelt waren, nicht die Rebellen. Aus diesem Grund braucht die US-Armee britische Truppen, um ihre Soldaten zu entsetzen.

Die Amerikaner haben mehr als genug Truppen um Falluja anzugreifen, aber sobald sie es tun, wird das Gebiet ein weiteres Mal explodieren und es wird alles brauchen, was die Amerikaner haben, um die umliegenden Dörfer Habbaniya, Khaldiya und Al Kharma zu kontrollieren. Laut dem irakischen Präsidenten Ghazi Al-Yawar ist es recht wahrscheinlich, dass, wenn die Marines Falluja noch einmal angreifen, sogar Mosul, wo drei Millionen Sunniten wohnen, explodieren wird. Im Gegensatz zu der US-Armee weiß Herr Yawar, worüber er redet, und kennt die Art, in der die Stämme im Nordirak gruppiert sind. Es ist ein komplexes Netz aus Familien, das sich durchs Sunnitische Dreieck zieht. Wenn es in Mosul zum Aufstand kommt, wird der Versuch, den Norden zu halten, dem Versuch gleichkommen, den Deckel eines Schnellkochtopfes mit der bloßen Hand festhalten zu wollen.

Als wir erst einmal in Falluja ankamen, wurden wir mit vorgehaltener Waffe zu einer Moschee gebracht, wo wir von jeder Menge Leute verhört wurden - ehemalige irakische Geheimpolizisten und Islamisten - bevor wir von einem Freund meines Übersetzers gerettet wurden, der uns später erzählte, dass dort 18 Geiseln in einem anderen Zimmer festgehalten wurden. Beides, Geiseln zu nehmen und eine Moschee als eine Militärbasis zu nutzen, ist - wie die Flucht von Zivilisten zu verhindern - gegen das Kriegsrecht. Man kann gelegentlich Schüsse von Heckenschützen hören, die kreisenden Drohnen, Panzerfeuer und Granatwerfer. In einer Klinik rollten die Ärzte mit den Augen, wenn man die Mudschaheddin erwähnte, aber ihr meister Hass war auf die Amerikaner gerichtet. Das Krankenhaus, das auf der anderen Seite des Euphrat liegt, wurde von den Marines vom Rest der Stadt abgeschnitten - eine weitere fragwürdige Handlung unter den Genfer Konventionen.

Schlimmer noch, die Ärzte sagten, dass verschiedene von ihren Kollegen und Krankenwagenfahrern von Heckenschützen erschossen wurden, was beides eine grobe Verletzung des Kriegsrechts darstellt. Zu diesem Zeitpunkt hatten die meisten Zivilisten, die ins Krankenhaus gebracht wurden, Kopf- und Oberkörperverletzungen, hauptsächlich von Heckenschützen der Marines. Nichts davon, was ich während der Bombardierung von Bagdad gesehen habe, hätte mich auf Falluja unter Besatzung vorbereiten können. Es war, als ob die Marines fähig gewesen wären, die Stadt von der Vorstellung von Sicherheit selbst abzuschneiden.

Während der Verhandlungen, die Stadt denen zu überlassen, die die Falluja-Brigade werden sollten, kam ich das dritte Mal nach Falluja. Die Mudschaheddin waren damit beschäftigt, in Straßenecken Drähte an Bomben zu befestigen, falls die Verhandlungen scheitern sollten.

Heute ist die Stadt ein riesiger improvisierter Sprengsatz. Aber es sind die Heckenschützen, vor denen die Einwohner von Falluja mehr Angst haben als vor irgendetwas anderem.

Ich habe Zeit mit Widerstandskämpfern wie auch der US-Armee verbracht und es steht außer Frage, dass die Marines die Stadt einnehmen können. Aber die Vereinigten Staaten haben eine Angewohnheit entwickelt Kampfhandlungen zu gewinnen, während sie den Krieg verlieren - während sie derweil die Kriegsgesetze brechen. Das ist es, was Britanniens Truppenverlegung unterstützen wird erneut in Gang zu setzen.

Patrick Graham ist ein Journalist, der vom November 2002 bis August 2004 für den Observer, Harper’s und die New York Times im Irak gearbeitet hat. Er schreibt momentan ein Buch über seine Erfahrungen.

pwgraham@mailblocks.com

Quelle: ZNet Deutschland vom 02.11.2004. Übersetzt von: Larissa und Benjamin Brosig. Leichte Bearbeitung: Michael Schmid. Orginalartikel: Falluja in their sights .

Veröffentlicht am

03. November 2004

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