Wer versteht schon Soldaten? Fragen und Gedanken eines US-SoldatenVon Paul Button
5. Stock. Neurologische Station. Wir verlassen den Aufzug von Washingtons Walter Reed Militärkrankenhaus und ich versuche mir vorzustellen, was dieses Schild bedeutet. Kopfverletzungen? Rückradverletzungen? Lähmungen? Ein Sergeant zeigt uns den Weg durch die Halle zu einer geschlossenen Tür, prüft noch einmal, ob die Zimmernummer die richtige ist, und kopft dann an. “Herein!” Unser Begleiter öffnet die Tür und fragt nach, ob Besuch willkommen ist. Spc. Ken Comstock, 23, sitzt lächelnd in seinem Bett und sieht sich jeden von uns aufmerksam an. Er versucht zu kapieren, wer ihn da wohl besuchen kommt. Versucht zu verstehen. Wir versuchen auch zu verstehen. Alle sieben Sinne laufen auf Hochtouren, nehmen jede Einzelheit wahr. Meine Freunde und ich grüßen Ken, heißen ihn zu Hause willkommen, und begrüßen seine Mutter, die neben seinem Bett sitzt. Sie sieht sehr erschöpft aus, aber auch dankbar dafür, dass sich jemand für ihren Sohn interessiert. Nach kurzer Zeit erzählen Ken und seine Mutter uns von dem schicksalhaften Tag, dem 20. August 2004, als der Humvee, in dem er sich befand, über eine Straßenbombe in der Nähe von Samarra in Irak fuhr. Ken gehörte zur Truppe C, 2. Armeekorps der 108. Infanterie, einer National Guard Einheit aus New York, die zur 1. Infanteriedivision gehört. Laut Ärzten war seine Stirn in 500 Teile gebrochen. “Ken war eigentlich vier mal tot”, sagt seine Mutter. “Er starb viermal bevor sie ihn bis nach Deutschand gebracht hatten. Sie mussten besonders tief fliegen, weil er ihnen immer wieder unter den Händen wegstarb.” “Ich lag zehn Tage lang im Koma”, sagt Ken. “Und meine Mutter saß die ganze Zeit neben meinem Bett, bis ich aufwachte. Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebe. Es gibt noch Wunder!” Ich versuche immer noch zu verstehen. Wenn ich mir Ken betrachte, weiß ich wovon er spricht. Eine Riesennarbe läuft wie eine Bergkette verzackt von einem Ohr zum anderen. Seine Stirn ist ein Spinngewebe von Narben. Ken deutet auf eine Stelle über den Augen und sagt, dass dort Knochen, aber nichts dazwischen ist. Seine Hand ist einbandagiert und geschient, es befindet sich noch Schrapnell darin. Ken ist ein mutiger junger Soldat. Ich bin über seinen Glauben und Mut erstaunt, an denen er trotz seines Zustandes und alles, was passiert ist, festhält. Doch seine größten Kämpfe stehen vielleicht noch bevor: Rehab, dann zurück für Schädelrekonstruktion, dann plastische Chirurgie, Physiotherapie und Rückkehr ins “normale” Leben der Zivilbevölkerung. Und was wird zuerst heilen - sein beschädigter und zerbrochener Körper oder seine traumatisierte Seele? Ich versuche sehr zu verstehen. Seine Mutter merkt es, denn sie gibt mir ein Gedicht, das Ken eine Woche bevor “es passierte”, geschrieben hat.
Und dann erkenne ich, dass dies alles nur dann Sinn machen wird - für Ken, für mich, für feindliche Rebellen und für alle Albträume dieses furchtbaren Krieges - wenn wir an den Mann denken, dessen Narben und Leiden die Quelle aller Heilung sind. Weiterführende Literatur: ©2004 Bruderhof Communities Quelle: Bruderhof Gemeinschaft Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|