Anklage wegen Aufforderung zur Befehlsverweigerung zugelassen!Ist die nukleare Teilhabe der Bundeswehr rechtswidrig, ja oder nein?Von Hermann Theisen Im März und Juni dieses Jahres haben Friedensaktivisten aus Berlin, Erftstadt, Wetzlar, Stuttgart und Heidelberg vor den Toren des Fliegerhorsts im rheinland-pfälzischen Büchel an die dort stationierten Bundeswehrsoldaten einen Aufruf zur Befehlsverweigerung verteilt. Die Soldaten wurden darin aufgefordert, ihre Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe zu unterlassen. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ließ den Aufruf beschlagnahmen und beantragte den Erlass eines Strafbefehls sowie die Zulassung einer Anklage. Der AufrufIn dem “Aufruf an alle Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33 (Büchel)” heißt es: “Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe!”. Begründet wird dies wie folgt: “Es sind auf Ihrem Arbeitsplatz US-amerikanische Atombomben stationiert, und Sie stellen mit der Wartung, Instandhaltung, Einsatzübung und Bereithaltung ihrer Tornado-Kampflugzeuge die Trägermittel bereit, um im sog. Ernstfall jene Atombomben einzusetzen. Ein solcher Ernstfall könnte künftig auch ein Präventivschlag sein, schenkt man dem Anfang des vergangenen Jahres vom Pentagon veröffentlichten Grundsatzdokument zur militärischen Nuklearstrategie Glauben, welches Planspiele für den präventiven Einsatz von Atomwaffen gegen mindestens sieben Länder, darunter Russland, China, Libyen, Syrien, bzw. die sogenannte ‘Achse des Bösen’ - Irak, Iran und Nordkorea - enthält. Zudem entschied der US-Kongress im November 2003, das Verbot für den Bau von Mini-Atombomben aufzuheben, womit die Ära einer neuen Generation von Atomwaffen eingeläutet worden ist, und gleichzeitig hält die NATO weiterhin an der Ersteinsatzoption von Atomwaffen fest. Auf diesem Hintergrund sollten Sie Ihre Unterstützung der nuklearen Teilhabe neu bewerten und dabei bedenken: A) Die Stationierung von Atomwaffen auf Ihrem Militärflugplatz steht nicht in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes vom 8. Juli 1995. Sie ist völkerrechtswidrig. B) Die durch ihre berufliche Tätigkeit praktizierte nukleare Teilhabe verstößt (spätestens im Kriegsfall) gegen die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 2 Nichtverbreitungsvertrag. Sie ist völkerrechtswidrig. C) Die Stationierung von Atomwaffen auf Ihrem Militärflugplatz und Ihre Einbindung in die nukleare Teilhabe verstoßen gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2, Satz 1 Grundgesetz). Beides ist verfassungswidrig. Eine Beteiligung und Unterstützung der nuklearen Teilhabe ist somit nicht zu rechtfertigen! Deshalb rufen wir Sie auf:
Schließlich folgt eine ausführliche Rechtshilfebelehrung sowie die Namen der bislang 53 Unterzeichner des Aufrufs (unter ihnen auch Konstantin Wecker und Prof. Dr. Joseph Weizenbaum). Die AnklageDie Staatsanwaltschaft Koblenz wertet die Verteilung des Aufrufs als Straftatbestand nach § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) und begründet ihre Anklage folgendermaßen: Die Angeschuldigten “werden angeklagt, am 08.06.2004 in Büchel, gemeinschaftlich, öffentlich und durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich der eigenmächtigen Abwesenheit nach § 15 WStG, der Fahnenflucht nach § 16 WStG, des Ungehorsams nach § 19 WStG, der Gehorsamsverweigerung nach § 20 WStG, der Meuterei nach § 27 WStG und der Verabredung zur Unbotmäßigkeit nach § 28 WStG aufgefordert zu haben. Am 08.06.2004 verteilten die Angeschuldigten vor dem Haupttor des Fliegerhorstes in Büchel Abdrucke eines Flugblattes an ankommende bzw. abfahrende Soldaten und klemmten Abdrucke des Flugblattes unter die Scheibenwischer der dort parkenden Fahrzeuge. Das Flugblatt enthielt einen ‘Aufruf an alle Bundeswehrsoldaten des Jagdbombergeschwaders 33, Büchel; Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völker- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe!’. Weiter wurde ausgeführt, auf dem Bundeswehrstützpunkt seien US-amerikanische Atombomben stationiert. Bundeswehrsoldaten würden mit der Wartung, Instandhaltung, Einsatzübung und Bereithaltung der Tornado-Kampflugzeuge die Trägermittel bereitstellen, um im sog. Ernstfall jene Atombomben einzusetzen. In dem Flugblatt, für dessen Inhalt der Angeschuldigte Theisen presserechtlich verantwortlich zeichnete, wurden die Bundeswehrsoldaten aufgefordert: ‘Verweigern Sie konsequent Ihre entsprechenden Einsatzbefehle!….Ermutigen Sie Ihre Kameraden, sich Ihrem Ungehorsam anzuschließen!’.” Bereits zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz einen Strafbefehlsantrag gestellt, der nahezu identisch begründet worden ist. Erstaunlich hieran ist, dass sich die Staatsanwaltschaft darauf beschränkt, lediglich im Konjunktiv zu formulieren, ohne auch nur im Ansatz zu prüfen, ob denn etwa die nukleare Teilhabe der Bundeswehr vielleicht den Hauch einer Rechtswidrigkeit haben könnte. Eine Anklage derart zu konstruieren, also dabei die Sachprüfung völlig außen vor zu lassen, ist schlechterdings juristisch abstrus und wird so - zumindest vor den Obergerichten - nicht haltbar sein. Bevorstehende GerichtsverhandlungNachdem das Amtsgericht Cochem bereits vor einigen Wochen den Strafbefehl (30 Tagessätze à 30 Euro) erlassen hat, wurde inzwischen auch die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Diese wird vor dem Amtsgericht Cochem am Dienstag, 23.11.2004, 14:00 Uhr, Sitzungssaal 100 (Ravenestraße 39, 56812 Cochem) stattfinden. Damit wird die Frage der Rechtmäßigkeit der nuklearen Teilhabe der Bundeswehr erstmals zum zentralen Gegenstand eines Strafverfahrens vor einem deutschen Gericht werden. Eigentlich geht es ja um die Frage, ob sich die Beschuldigten mit ihrer Aufforderung zur Befehlsverweigerung strafbar gemacht haben, oder eben nicht. Eine Antwort auf jene Frage kann aber nur dann gefunden werden, wenn zuvor die Frage beantwortet ist, ob die Beteiligung an der nuklearen Teilhabe selbst gegen das Völkerrecht (und somit Grundgesetz) verstößt. Wenn ja, dann würde sich kein Soldat strafbar machen, wenn er die auf die nukleare Teilhabe ausgerichteten Befehle verweigern würde und dann bliebe folglich auch ein Aufruf zu einer solchen Befehlsverweigerung straffrei… Insofern verspricht die Gerichtsverhandlung spannend zu werden, ist doch deren Ausgang in keiner Weise vorhersehbar. Besucher der Verhandlung sollten sich unmittelbar vorher den Termin noch einmal bestätigen lassen - 02671/9880-0. Bitte um UnterstützungDas Strafverfahren wird sich wahrscheinlich auf mehrere Instanzen erstrecken. Die Verteidigung wird Rechtsanwalt Otto Jäckel (IALANA) übernehmen. Im Falle einer Verurteilung ist eine Verfassungsbeschwerde geplant. Deshalb ist von hohen Kosten auszugehen, weshalb um Spenden gebeten wird. Kontakt: Hermann Theisen, Moltkestraße 35, 69120 Heidelberg, hermann.theisen@t-online.de Spenden: Sonderkonto Hermann Theisen, Sparkasse Heidelberg, Bankleitzahl 67250020, Konto 1000499036 Artikel zum gleichen Thema: Folgende ErstunterzeichnerInnen haben den Aufruf unterschrieben: Dr. Franz Alt, Baden-Baden; Inge Ammon, Fürstenfeldbruck; Martin Arnold, Essen; Gregor Böckermann, Frankfurt am Main; Michael Bouteiller, Lübeck; Dr. Erika Drees; Stendal; Dr. Bernd Drücke, Münster; Regina Hagen, Darmstadt; Dr. Eva Huenges, Villingen-Schwenningen; Hanna Jaskolski, Erftstadt; Elisa Kauffeld, Schortens; Dr. Elke Koller, Laubach-Leienkaul; Marion Küpker, Hamburg; Armin Lauven, Bonn; Dr. Till Müller-Heidelberg, Bingen; Martin Otto, Wetzlar; Hanno Paul, Bünde; Clemens Ronnefeldt, Waldkirch; Michael Schmid, Gammertingen; Martin Singe, Bonn; Ilse Staude, Staufenberg; Dr. Wolfgang Sternstein, Stuttgart; Dr. Elke Steven, Köln; Hermann Theisen, Heidelberg; Konstantin Wecker, München; Prof.Dr. Joseph Weizenbaum, Berlin; Wolf-Dieter Wiebach, Berlin; Renate Wieland, Kronberg Als UnterstützerInnen haben den Aufruf unterschrieben: Ursula van Aaken, Taunusstein; Hanne Adams, Bedheim; Dietrich Antelmann, Berlin; Irene Breiter, Aarbergen; Ulrich Denkhaus, Wetzlar; Hans Karl vom Dorp, Leun; Christel Engler, Berlin; Thomas Erbe, Braunschweig; Ingrid Fröhlich-Groddeck, Stendal; Prof. Dr. Albert Fuchs, Meckenheim; Thomas Geisler, Bedheim; Johanna Grieger, Stuttgart; Cäsilie Gudopp, Berlin; Susan van der Hijden, NL-Utrecht; Jürgen Horn, Wetzlar, Dr. Fred Klinger, Berlin; Gert Knauder, Wetzlar; Gertrud Köhler, Berlin; Wolfgang Kortlang, Mönchengladbach; Julia Kramer, Stuttgart; Dr. Peter Krause, Dresden; Karlheinz Lipp, Coburg; Frits ter Kuile, NL-Amsterdam; Stefan Lippianowski, Berlin; Johannes Mader, Schneverdingen; Jutta Müller, Berlin; Jutta von Ochsenstein-Nick, Mutlangen; Ernst von der Recke, Schöffengrund; Thomas Reuter, Brombachtal; Helmut Schießer, Königstein; Wolfgang Schlupp-Hauck, Schwäbisch Gmünd; Ute Schmeling, Buchholz; Dieter Schneyinck, Hosskirch; Richard Steinhauser, Sigmarszell; Sabine Teubert, Leipzig; Carsten Topp, Münster; Frank Winkler, München. 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