Wer ist der Nächste?Von Uri Avnery, 20.11.04 George W. Bush ist ein Produkt des Mythos vom Wilden Westen. Er sieht sich selbst als schlagfertiger Sheriff, der schnell auf böse Kerls schießt, um die Ordnung in der Stadt wieder herzustellen. Tatsächlich ähnelt er eher einer anderen Figur der Wildwest-Filme: den Zylinder tragenden Verkäufer von Allheilmedizin, die gegen Zahn- und Bauchschmerzen, Cholera und Impotenz, Schusswunden und Herzattacken hilft. Bushs Patentmedizin heißt “Demokratie”. Demokratie wird alle Übel im Nahen Osten und auf der ganzen Welt heilen. Wenn nur die muslimischen Nationen seine kleine Flasche kaufen würden, dann wären alle Probleme gelöst und vor allem der israelisch-palästinensische Konflikt. Und da Israel schon eine beispielhafte Demokratie ist, geführt vom großen Demokraten Ariel Sharon, so ist es nur noch nötig, den Palästinensern die Demokratie aufzuerlegen. Das bedeutet freie Wahlen eines Präsidenten und Parlamentes. Eine Person mit begrenzter intellektueller Kapazität braucht einfache Lösungen, eine eindimensionale Lösung, die nicht verlangt, sich mit der Vielschichtigkeit anderer Gesellschaften und Zivilisationen näher zu befassen. Was für seine kleine Stadt in Texas gut ist, ist auch gut für Bagdad und Gaza. Seit er die Wiederwahl gewonnen hat, ist sein Selbstvertrauen himmelhoch gestiegen. Er warf den unglücklichen Colin Powell hinaus und setzte eine garantierte Jasagerin ins Amt des Außenministeriums. Ab jetzt wird keiner mehr seine Entscheidungen hinterfragen. Auch dann nicht, sollte er auf die Idee kommen, sein Pferd zum Präsidenten des Obersten Gerichtes zu ernennen. Wer macht sich Sorgen? Ausgerechnet Ariel Sharon, sein großer Freund, Lehrer und Führer. Das Schicksal wollte es, dass Bush seinen großen Sieg einen Tag vor dem plötzlichen mysteriösen Zusammenbruch von Yasser Arafats Gesundheit errang. Sharons Alibi wurde in Ramallah beerdigt. Alle israelischen Regierungen haben Arafat in ein Monster verwandelt und seine Ungeheuerlichkeit als Ausrede verwendet, um jeden Versuch, einen Frieden mit den Palästinensern zu schließen, zu vermeiden. Frieden bedeutet, sich mehr oder weniger auf die Grenzen von vor 1967 zurückzuziehen und die Siedlungen aufzugeben. Frieden bedeutet auch, Ost-Jerusalem, mehr als die Hälfte von ” Israels ewiger Hauptstadt “, aufzugeben. Gott behüte! Die Dämonisierung Arafats half dies zu verhindern. Man kann doch nicht mit einem Monster Frieden schließen. Das verstand sogar Bush. Deshalb half er Sharon, die Wahlen für die palästinensische Behörde zu verhindern, bei der Arafat mit riesiger Mehrheit sicher wiedergewählt worden wäre. Aber nun gibt es Arafat nicht mehr - aber Bush gibt es. Sharon ist beunruhigt. Zu Recht. Seit vier Jahren heißt das Mantra in Washington: Kampf dem internationalen Terror! Das passte Sharon ins Konzept; denn er ritt ja auf dem Pferd der Terrorismusbekämpfung. Während der nächsten vier Jahre mag das Mantra in Washington “Demokratie dem Nahen Osten!” heißen. Das wird Abu-Mazen passen, der das Pferd der Demokratie reitet. Abu-Mazen ist zum Vorsitzenden der PLO ernannt worden. Abu-Mazen trägt den Anzug eines Geschäftsmannes, keine Uniform. Er trägt auch eine Krawatte und keine Keffiye. Er sieht wie ein normaler demokratischer Führer aus. Er ist für seine Opposition gegen Selbstmordattentate in Israel bekannt. Entgegen allen israelischen Voraussagen fand die palästinensische Machtübergabe in geordneter Weise stand, so wie in jedem zivilisierten Land. Innerhalb zweier Monate sollen Neuwahlen stattfinden. Genau das bringt Sharon aber in Verlegenheit. Er kann sich nicht gegen diese Wahlen stellen. Sie sind Bushs Augapfel. Er darf nicht den leisesten Verdacht aufkommen lassen, er wolle sie zum Scheitern bringen. Jede Beschwerde, die israelische Armee hindere die Wahlen durch militärische Einfälle, Straßensperren und “gezielte Attentate”, kann im Weißen Haus Zorn erregen. Sharon hofft, die Palästinenser würden ihre Wahlen selbst sabotieren. Bewaffnete Fraktionen können den ordentlichen Prozess stören. In der letzten Woche gab es beim Besuch Abu- Mazen in Gaza eine Schießerei - was in Israel riesige Schadenfreude auslöste. Doch der Zwischenfall ist vorbeigegangen; alle palästinensischen Fraktionen zeigten Zurückhaltung. Das Volk ist sich in seinem Wunsch einig, die Wahlen friedlich durchzuführen. Für Sharon ist es ein Alptraum. So wie es jetzt aussieht, werden tatsächlich Wahlen stattfinden - verschiedene Kandidaten werden aufgestellt - und Abu-Mazen wird zum Präsidenten gewählt werden. Für Bush wird dies ein großer Erfolg sein: die erste arabische Demokratie ist auf dem Weg. Selbst wenn Anarchie im Irak herrscht, Palästina wird beweisen, dass seine Vision wahr wird. Bush wird Abu-Mazen herzlich umarmen. Der Weg zu einem “freien palästinensischen Staat” wird innerhalb von vier Jahren offen sein. Für Sharon gibt es keine größere Gefahr. Sein Plan - 58% der Westbank zu annektieren - wird von der Agenda gestrichen. Er wird aufgefordert werden, die meisten Siedlungen aufzulösen und vorher noch ihren Ausbau einzufrieren. Was noch schlimmer ist, die exklusive Beziehung zu Bush wird in Brüche gehen. Das Paar wird zu einer Dreiecksbeziehung und drei ist eine Menge. Condoleeza ist dabei, sich mit Abu-Mazen zu treffen. Was kann dagegen getan werden? Klar, Abu-Mazen muss vernichtet werden, bevor er die Möglichkeit erhält, Wurzeln zu schlagen. Doch ist auch klar, dass Sharon nicht offen gegen ihn vorgehen kann. Eine indirekte Strategie wäre angesagt. Noch bevor Arafat seine Seele seinem Schöpfer zurückgab, erklärte Sharon, es werde keine Verhandlungen mit seinem Nachfolger geben, solange dieser nicht mit dem Terrorismus ein Ende gemacht habe. Er hoffte, das Zauberwort “Terrorismus” lasse Bush aufschrecken. Und nachdem sogar Arafat mit seiner gewaltigen Autorität die Hamas und den Jihad nicht entwaffnet hat, gibt es nicht die geringste Aussicht, dass Abu-Mazen dies gelingen würde. Die Amerikaner werden nicht in diese primitive Falle stolpern. Und darum entschied Sharon, noch etwas raffinierter vorzugehen. In dieser Woche verkündigte er, er werde mit Abu-Mazen nicht sprechen, solange er nicht die Hetze gegen Israel in allen Medien und Schulen gestoppt habe. Genau so gut könnte man von Abu-Mazen verlangen, den Mond vom Himmel zu holen. Wie kann der neue demokratische Vorsitzende die Redefreiheit im Fernsehen und in der Presse verbieten - während die Hetze gegen die Palästinenser in den israelischen Medien auf Hochtouren weiterläuft, ganz zu schweigen vom Tanz auf Arafats Grab? Und wie verändert man Schulbücher (die meisten von ihnen auf jeden Fall ägyptisch und jordanisch) innerhalb von zwei Monaten - während in Israels Schulen, besonders in den religiösen - mündlich und schriftlich - das Recht der Palästinenser auf ihr Land völlig abgestritten wird? Unmögliche Forderungen als Vorbedingung für Verhandlungen zu stellen, ist Sharons alter Trick. Man kann annehmen, dass die Amerikaner auch nicht in diese Falle stolpern. Irgendetwas Schlimmeres müsste bald geschehen, z.B. blutige Angriffe, Akte von “Terrorismus”, die dem neuen Führer angelastet werden können, Bürgerkrieg und Anarchie. Abu-Mazen und seinen Kollegen ist das vollkommen bewusst. Sie bemühen sich darum, dies zu verhindern. Da sie aus Mangel keine Mittel der Gewalt anwenden können, versuchen sie es mit Überzeugung. Die traditionelle arabische Methode ist “Idschma” - eine Runde von Diskussionen, die solange geht, bis jeder überzeugt ist, und keine Minorität sich von einer Majorität besiegt fühlt. Arafat war ein Meister dieser Strategie. Wenn dies gelingt, dann wird es bis zu den Wahlen eine vorübergehende Waffenruhe geben. Aber das Hauptproblem bleibt bestehen. Abu-Mazen wird nicht in der Lage sein, sein Volk davon zu überzeugen, die bewaffnete Intifada zu beenden, wenn er nicht einen anderen Weg aus der Besatzung und zur palästinensischen Unabhängigkeit aufzeigen kann. Wenn die Amerikaner wollen, dass die neue Regierung bleibt, müssen sie für schnellen Beginn von Verhandlungen sorgen und zwar mit dem klaren Ziel, einen palästinensischen Staat innerhalb eines strikten Zeitplans zu errichten. Sharon wird alles nur Mögliche tun, um Abu Mazen zu vernichten, bevor dies geschieht. Er stürzte die erste Abu-Mazen-Regierung vor zwei Jahren, indem er alles, was politischen Fortschritt gebracht hätte, verhinderte, (und wie gewöhnlich, Arafat dafür die Schuld gab) Nun muss er Abu-Mazen unter sehr viel schwierigeren Umständen stürzen. Machen wir uns keine Illusionen: Sharon wird jedes Mittel anwenden - offene genau so wie verdeckte - um eine “moderate” palästinensische Führung zu Fall zu bringen. Sein natürlicher Verbündeter ist HAMAS, der jede Verhandlung mit Israel ablehnt. Im Augenblick ist Abu-Mazen der Feind Nummer eins. Übersetzung aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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