Falludscha-FlüchtlingeVon Dahr Jamail - ZNet 23.11.2004 Dahr Jamails Bericht aus dem Irak (siehe: ‘Iraq Dispatches’ auf der internationalen ZNet-Seite ) “Einige Ärzte in Falludscha berichten, die Amerikaner hätten Patienten mit Gewalt aus der Klinik verjagt”, sagt Mehdi Abdulla. Der 33jährige ist Ambulanzfahrer eines Bagdader Krankenhauses. “Einige Ärzte dort (in Falludscha) erzählten mir auch, sie waren gerade in einer großen Operation, als die Soldaten die Ärzte mitnahmen und die Patienten sterben ließen”. Mehdi blickt zu Boden, schaut dann in die Ferne. Das Krankenhaus hat brandneue Tische bekommen. Auf der Straße vor der Klinik überall hupende Autos. Die leeren Kartons liegen draußen verstreut. Die Krankenhausärztin Um Mohammed sitzt hinter ihrem alten Holztisch. “Wie kann ich einen neuen Tisch nehmen, wenn Patienten sterben, weil wir keine Arznei für sie haben”. Sie erhebt ihre Hände. “Sie sollten einen Aufzug liefern, damit Patienten, die nicht gehen können, in den Operationssaal gefahren werden können. Aber stattdessen haben wir jetzt diese neuen Tische”. Ihre Augen sind durchdringend und feurig. Wieder einmal frustriert sie ihre Arbeit. “Es gibt immer noch ein paar Iraker, die glauben, die Amerikaner kamen, um sie zu befreien”, fügt sie hinzu und blickt aus dem zerstörten Fenster. Das Glas liegt zerschmettert davor. Vor dem Krankenhaus war eine Autobombe explodiert. “Aber auch diese Leute werden ihre Meinung über die Befreier noch ändern, sobald die auch einen ihrer Angehörigen töten”. Mehdi bringt uns in ein Lager für Flüchtlinge aus Falludscha. Es liegt auf dem Bagdader Universitätsgelände. Um eine alte Moschee stehen Zelte. Kinder rennen herum; einige kicken einen halbplatten Fußball. An zwei Wasserhähnen stehen Frauen. Sie waschen Töpfe und Kleidung. Viele Leute stehen herum oder wandern ziellos durch die Gegend. Sie warten ab. Wir kontaktieren einen Scheich, fragen um Erlaubnis, mit einigen der Familien zu reden. Er begrüßt uns. “Sehen Sie, wie wir leiden”, sagt er, “Wir haben hier momentan 97 Familien, morgen kommen noch 50 dazu. Es gibt Leute, die Flüchtlingskinder entführen und sie verkaufen”. Abu Hammad, ein 35jähriger Händler aus Falludscha, ist so wütend, daß er nach Luft ringt, während er uns berichtet, was er erlebte. “Die amerikanischen Kriegsflugzeuge kamen ständig, die ganze Nacht, (sie) bombten überall in Falludscha! Es hörte einfach nicht mehr auf, nicht einen Moment! Fanden die amerikanischen Streitkräfte kein Ziel zum bombardieren, setzten sie Lärmbomben ein - nur um die Leute und die Kinder zu terrorisieren. Die ganze Zeit herrschte Angst in der Stadt. Ich kann gar nicht beschreiben, wie panisch alle waren”. Hammad zittert - vor Trauer und Wut. “Am andern Morgen fand ich Falludscha leer vor, so, als lebte hier niemand. Sogar Giftgas wurde eingesetzt in Falludscha. Sie haben alles eingesetzt - Panzer, Artillerie, Infanterie, Giftgas. Falludscha wurde mit Bomben dem Erdboden gleichgemacht. Es ist nichts mehr übrig”. Einige Männer stehen um uns herum - Flüchtlinge wie Hammad. Sie nicken zustimmend und starren in die Sonne, die gerade in Richtung Falludscha untergeht. Hammad fährt fort: “Die meisten Unschuldigen hielten sich in den Moscheen auf, aus Sicherheitsgründen. Aber selbst die Verletzten wurden gekillt. Die Amerikaner töteten selbst alte Frauen mit weißen Fahnen! Die Amerikaner verkündeten, alle Leute, die Falludscha verlassen wollen, sollten in eine bestimmte Moschee kommen, aber sogar Leute, die mit einer weißen Fahne zu dieser Moschee kamen, wurden getötet!” Einer der Männer, die neben uns stehen - ein großer Mann namens Mohammad Ali - fängt an zu weinen. Jede neue Information, die Abu Hammad preisgibt, läßt den massigen Körper des Mannes erzittern. “Es gab weder Essen, noch Elektrizität, noch Wasser”, fährt Abu Hammad fort, “wir konnten nicht einmal eine Kerze anzünden, die Amerikaner hätten es bemerkt und uns getötet”. Er macht eine kleine Pause und stellt die Frage: “Das Leiden der Menschen, ich frage alle in der Welt, habt ihr je solches Leid gesehen? Die Menschen in Falludscha, das waren nur Falludschaner. Ayad Allawi hat gelogen, als er sagte, es befänden sich ausländische Kämpfer dort”. Er fährt fort: “Die Amerikaner haben Leichen in den Fluß geworfen. Das habe ich selbst gesehen! Alle, die blieben, glaubten, die Amerikaner würden sie töten. Also versuchten sie, über den Fluß zu schwimmen. Aber selbst dann schossen die Amerikaner noch auf sie, mit Gewehren vom Ufer aus! Auch die, die eine weiße Flagge oder ein weißes Kleidungsstück über den Kopf hielten, um zu zeigen, daß sie keine Kämpfer waren, alle wurden erschossen! Selbst Menschen, die gar nicht schwimmen konnten, versuchten, über den Fluß zu kommen! Lieber wollten sie ertrinken, als zu bleiben und von den Amerikanern umgebracht zu werden!” An dieser Stelle wird Hammad von Mohammad mit einem Appell unterbrochen. Mohammad stammt aus Falludschas Julan-Distrikt, wo die schwersten Kämpfe tobten und noch toben. “Uns Bewohner der Stadt nennen sie Terroristen. Aber es ist unsere Stadt. Wir sind nicht losgezogen und haben die Amerikaner bekämpft - sie kamen in unsere Stadt, um uns zu bekämpfen. Wir Leute von Falludscha verteidigen unsere Stadt, unsere Häuser, unsere Moscheen, unsere Ehre. Ayad Allawi sagt, wir seien Mitglieder seiner Familie. Allawi, attackiert man seine Familie? Greifst du deine eigene Familie an, Allawi?” Er erhebt die Hände zum Himmel und sagt laut: “Wir fordern den Islam auf - alle islamischen Länder - ihr Gewissen nicht zu belasten und zu sehen, was in Falludscha vor sich geht. Das war die sicherste Stadt - mit Polizei und der Irakischen Nationalgarde ING - ohne die Präsenz der Amerikaner. Wenn du heute nach Bagdad kommst, mußt du Angst haben, daß man deinen Besitz und dein Auto plündert”. Sein massiger Körper zittert immer noch, und er fährt fort: “Dieses Jahr hatten wir nach dem Ramadan nicht das Gefühl des ‘Eid’ (Eid al Fitr - Fastenbrechen [Anmerkung der Übersetzerin]), denn unsere Situation ist sehr schlimm. Uns bleibt nichts übrig, als weiterzufasten. Sie sagen, sie werden Falludscha wiederaufbauen - wann und wie, frage ich. Was taten sie denn in Sadr City, nachdem sie dort aufhörten mit kämpfen? Nichts.” Während Mohammad redet, fällt mir ein Einbeiniger mit Zigarette auf, der neben der Moschee sitzt. Er nickt. Mohammad fährt fort: “Ich möchte die ganze Welt fragen - warum das alles? Den Präsidenten der arabischen und muslimischen Länder sage ich, wacht endlich auf! Bitte, wacht auf! Wir werden umgebracht, wir sind Flüchtlinge, (geflohen) aus unseren Häusern, unsere Kinder haben nichts - nicht einmal Schuhe! Wacht auf! Wacht auf! Seid nicht länger Verräter! Benehmt euch wie Menschen und nicht wie Dummies der Amerikaner!” Sein Weinen steigert sich, und er fügt hinzu: “Gestern habe ich Falludscha verlassen. Ich bin behindert. Ich bat Gott, uns zu erretten, aber unser Haus wurde bombardiert, ich habe alles verloren”. Mohammad hört auf zu reden, und ein 40jähriger Flüchtling namens Khalil ergreift das Wort: “Die Amerikaner kommen in unsere Stadt, aber wir weigern uns zu akzeptieren, daß irgendein Fremder bei uns einmarschiert. Wir akzeptieren die ING aber nicht die Amerikaner. Niemand hat hier irgendeinen Sarkawi gesehen. Wären die Amerikaner nicht in unsere Stadt gekommen, warum hätten die Falludschaner angreifen sollen? Die Leute von Falludscha greifen keine anderen Iraker an. Die Einzigen, die von Falludschanern angegriffen werden, sind amerikanische Truppen, die in unsere Stadt kommen oder sich ihr nähern”. Viele, die ich interviewt habe, weinten, aber Khalil ist zornig. Er verbirgt seine Trauer hinter Zorn. “Wenn wir eine Regierung haben, dann sollte diese Regierung das Leid des Volkes beenden. Aber unsere Regierung tut das nicht - stattdessen werden wir von ihnen fortwährend angegriffen, unsere Regierung ist eine Stellvertreter-Regierung. Sie sind nicht hier, um uns zu helfen. Der Verteidigungs- und der Innenminister sagen, wir seien ihre Familie - warum jagen sie dann die Häuser über unseren Köpfen in die Luft? Warum bringen sie uns alle um?” Dann sehe ich doch noch Tränen in seinen Augen. Er deutet auf einige kleine Kinder in der Nähe und sagt: “Fastenbrechen ist vorbei. Der Ramadan ist vorbei, aber diese Kinder lächeln noch nicht mal. Sie haben nichts und können nirgends hin. Früher gingen wir mit ihnen in den Park, damit sie ihren Spaß haben. Heute haben wir für sie nicht einmal ein Haus”. Er deutet erneut auf die Kinder und einige Frauen in der Nähe. “Was ist mit den Kindern? Was haben sie getan? Was ist mit diesen Frauen? Die Situation in Falludscha, die Lage der Menschen ist unbeschreiblich. Falludscha ist zusehr in Mitleidenschaft gezogen, es ist fast verschwunden”. Er erklärt: “Die guten Menschen Bagdads haben uns einige Versorgungsgüter überlassen, und einige freiwillige Ärzte kommen von sich aus und bringen uns Medikamente. Aber sie bringen jeden Tag zuwenig, die Situation ist schlimm. Vom Gesundheitsministerium haben wir nichts gesehen - keine Medikamente, keine Ärzte, nichts”. Er sagt, als die Menschen Falludscha verließen, dachten sie nicht, daß sie lange wegbleiben würden. Sie hätten nur Sommerkleidung. Aber inzwischen sei es nachts sehr kühl. Das Thermometer geht bei Nacht auf 10 Grad zurück, die ganze Zeit windet es. Khalil: “Wir brauchen Kleidung. Es ist katastrophal, daß wir hier in diesem Lager sind. Wir leben wie die Hunde, die Kinder haben nicht genug Kleider”. Ein Sprecher des Irakischen Roten Halbmonds sagte mir heute, keines ihrer Hilfsteams hätte die Erlaubnis, nach Falludscha zu gehen. Das Militär sagt, es wird mindestens noch zwei Wochen dauern, bis irgendwelche Flüchtlinge in ihre Stadt zurückkönnten. Quelle: ZNet Deutschland vom 27.11.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Fallujah Refugees” . Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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