Eritreia: Selbst Schwangere werden rekrutiert
Grausamkeit im eritreischen Militär treibt Tausende in die Flucht
PPR ASYL bemängelt deutsche Rechtsprechung
Im eritreischen Militär sind Folter und Vergewaltigung Alltag. Das berichten junge Deserteure, die aus dem afrikanischen Land geflohen sind und nun für eine asylrechtliche Anerkennung in Deutschland kämpfen.
Von Sabine Hamacher
Sie haben alle viel durchgemacht. Saeed Ibrahim sieht man das auch an. Sein dunkles Gesicht ist von Narben übersät. “Weil ich meinem Vorgesetzten widersprochen hatte, wurde ich für drei Tage an Händen und Füßen gefesselt”, berichtet der eritreische Deserteur. “Mein Gesicht wurde mit einer Milch-Zucker-Mischung übergossen, und man ließ mich drei Tage lang in der heißen Sonne liegen.” Ibrahims Gesicht war danach völlig verbrannt. Das eritreische Militär verweigerte ihm medizinische Behandlung. Er floh, erst in den Untergrund und dann nach Deutschland - wie seine sieben Leidensgenossen, die am Donnerstag in Frankfurt von ihren brutalen Erfahrungen als Soldaten und Soldatinnen berichten.
Zusammen wagen die Deserteure sich jetzt erstmals an die Öffentlichkeit. Sie haben die Eritreische Antimilitaristische Initiative gegründet, fordern asylrechtlichen Schutz in Deutschland und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in ihrer Heimat. Unterstützt werden sie unter anderen von den Flüchtlingshilfeorganisationen Pro Asyl und Connection.
Eritrea hat vier Millionen Einwohner, von denen 350 000 im Kriegsdienst stehen, wie Yohannes Kidane von der Antimilitaristischen Initiative berichtet. Die Zwangsrekrutierung ist für alle 18- bis 40-Jährigen - Männer wie Frauen - üblich. Wer verweigert oder desertiert, muss mit Folter, jahrelanger Haft oder sogar der Todesstrafe rechnen, sollte er dem Militär wieder in die Hände fallen.
Täglich fliehen laut Kidane etwa 30 bis 40 Betroffene in Nachbarstaaten. Bis nach Deutschland schaffen es die wenigsten. Laut Pro Asyl stellten in diesem Jahr 500 Eritreer einen Asylantrag, in den Jahren davor waren es je etwa 300. Im vergangenen Jahr fielen rund 250 Asylentscheidungen. Dabei wurden nur 2,45 Prozent der Menschen als voll asylberechtigt anerkannt, 0,57 Prozent erhielten “kleines Asyl” - also einen Flüchtlingsstatus im Sinne der Genfer Konvention. Bei 4,91 Prozent stellten die Behörden Abschiebungsverbot nach der Europäischen Menschenrechtskonvention fest. Das bedeutet zwar Duldung, ist aber für die Betroffenen keine Lösung, weil sie ihnen keine Zukunft - etwa Ausbildungsmöglichkeiten - bietet. Unterm Strich heißt das: Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder deutsche Gerichte lehnten 82 Prozent der Eritreer wegen “mangelhafter Glaubwürdigkeit” ab.
Verharmlosender Lagebericht
Den Grund dafür sieht Bernd Mesovic von Pro Asyl im Eritrea-Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA), Stand April 2004, den Gerichte und Bundesamt viel zu unkritisch verwendeten. Darin heißt es: “Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse, dass eritreische Behörden Folter anwenden”. Im Mai 2004 habe aber Amnesty International differenziert Foltermethoden und extrem grausame Haftbedingungen benannt. Im Lagebericht des AA heißt es weiter, Berichten zahlreicher Beobachter zufolge “sollen Militärdienstverweigerer langandauernden Handfesselungen und ungeschützten Aufenthalten in der Sonne bei großer Hitze ausgesetzt worden sein”. Dass solche Bedingungen eine ungewöhnlich grausame Methode seien und den Vorwurf der Folter rechtfertigten, werde ausgeblendet, bemängelt Mesovic: “Es handelt sich um politische Verfolgung, weil diese Menschen nach einer erzwungenen Rückkehr sofort weiter zur Ableistung des Dienstes gezwungen werden.”
Den Vorwürfen schließt sich Rudi Friedrich von Connection an. Etwa 80 Prozent aller eritreischen Flüchtlinge verließen ihr Land wegen der Grausamkeiten des Militärdienstes. Ihnen werde vielerorts Asyl verweigert, weil Wehrpflicht als legitim gilt. “Aber was das Militär in Eritrea macht, ist besonders heftig, gerade was Willkür und alltägliche Folter von Rekruten betrifft.”
Bisrat Habte Micael erfuhr das bereits mit 15 Jahren. Sie und ihre Mitschüler zog man mit dem Druckmittel ein, sie würden ihre Schulzeugnisse erst nach der Grundausbildung erhalten. “Sie nahmen sogar 13-Jährige, wenn sie groß genug waren.” Micael konnte fliehen, andere Mädchen wurden von ihren Vorgesetzten vergewaltigt. Von einer Frau, die an der Front bleiben musste, obwohl sie schwanger war, berichtet Senai Mehari. Im achten Monat habe die Soldatin ein totes Kind zur Welt gebracht.
Quelle:
PRO ASYL
vom 27.11.2004.
Hinweis
Neu bei
Connection e.V.
erschienen:
Eritrea - Kriegsdienstverweigerung und Desertion
Broschüre, 64 Seiten A 4, 5 Euro
Die Broschüre enthält nicht nur ausführliche Selbstzeugnisse von DeserteurInnen und KriegsdienstverweigerInnen aus Eritrea, sondern auch eine umfassende Dokumentation zur Menschenrechtssituation in Eritrea und begleitende Artikel. Die Deserteurinnen und Deserteure aus Eritrea berichten über ein Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen an Rekruten, über Razzien und Zwangsrekrutierungen sowie den Einsatz von Kindersoldaten.
Auszüge der Broschüre finden sich
hier
Bezug: Die Broschüre kann online bestellt werden unter
http://www.Connection-eV.de/Materialien.html
(5,00 Euro zzgl. Versandkosten, ab 5 Ex. je 4,00 Euro zzgl. Versandkosten).