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Christen sollen Regierungen in Sachen Rüstung widersprechen und widerstehen

Offener Brief zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2005

Von Werner Dierlamm

Ich zitiere den Anfang der Botschaft von Papst Johannes Paul II. zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2005:

LASS DICH NICHT VOM BÖSEN BESIEGEN, SONDERN BESIEGE DAS BÖSE DURCH DAS GUTE! (Röm 12, 21)

Das Böse besiegt man nicht durch das Böse: Schlägt man diesen Weg ein, dann lässt man sich, anstatt das Böse zu besiegen, in Wirklichkeit vom Bösen besiegen.
Der große Apostel zeigt eine Perspektive auf, die eine Grundwahrheit herausstellt: Der Friede ist das Ergebnis eines langen und harten Kampfes, der gewonnen wird, wenn das Böse durch das Gute besiegt wird. Angesichts der dramatischen Schauplätze von gewaltgeprägten Bruderkriegen, die in verschiedenen Teilen der Welt herrschen, angesichts der daraus erwachsenden unaussprechlichen Leiden und Ungerechtigkeiten besteht die einzig wahrhaft konstruktive Entscheidung darin, das Böse zu verabscheuen und am Guten festzuhalten (vgl. Röm 12, 9), wie gleichfalls der heilige Paulus rät.

Der alte und kranke Papst in Rom hat mich durch seine Botschaft ermutigt und auf meinem eigenen Wege bestärkt.

Es ist ja nicht nur die Botschaft des Papstes und des großen Apostels Paulus. Es ist - vor allen Dingen - die Botschaft des Juden Jesus von Nazareth selbst, zu dem sich die ganze Christenheit auf Erden mit ihren Lippen bekennt.

Der Versuch, das Böse in der Welt mit Gewalt auszumerzen, ist nicht nur falsch, er ist selbst böse. Die Produktion von Kriegswaffen und die Ausbildung von Soldaten für den Krieg zur Bekämpfung des Terrors nimmt selbst Zuflucht zum Terror.

Die militärische Rüstung nützt den sechs Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben, nichts, sondern schadet ihnen. Sie dient nicht dem Schutz der Menschheit gegen die vielfachen Gefahren die ihr Überleben bedrohen, sondern sie ist selbst eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit. Nirgends wird das Militär aus Rücksicht, aus Liebe und Barmherzigkeit mit den leidenden Menschen installiert und ausgebaut. Es dient den Interessen der Reichen und Mächtigen. Mit Kriegswaffen und Armeen wird der übermäßige Reichtum und Überfluss der Industriestaaten verteidigt und geschützt, der durch ungerechten Handel, das heißt durch Raub an den Gütern der Armen, zustande gekommen ist. Zuletzt wird durch den Krieg niemand geholfen, auch denen nicht, die ihn zunächst führen und gewinnen.

Diese allgemeinen Sätze müssen konkretisiert, Ross und Reiter müssen benannt werden. Aus abertausend möglichen Beispielen greife ich eines heraus. Ich zitiere aus dem neuesten Flyer des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen stoppen (DAKS):

Heckler & Kochs Aufstieg zur Nummer 1 weltweit

Die US-Army soll mit der neuen H&K-Maschinenpistole XM8 und dem
H&K-Gewehr XM29 (OICW) ausgerüstet werden, das die Gewehrtechnik perfektionieren und die Fähigkeit zur Kriegführung “revolutionieren” wird. Derzeit errichtet H&K eine neue Waffenfabrik in den USA und wird damit zum weltweit führenden Hersteller von Handfeuerwaffen aufsteigen. Werden auch für das G36 erneut eine Vielzahl von Lizenzen vergeben, dann besteht die Gefahr, dass die Kriegsschauplätze in den nächsten Jahren mit H&K -Waffen der neuesten Generation beliefert werden…

Diese Kleinwaffen sind in Oberndorf am Neckar, einer Kleinstadt in Südwestdeutschland, “mitten im Frieden” entwickelt worden. Mit ihnen wurden bis heute mehr als 1,5 Millionen Menschen erschossen, Hunderttausende körperlich verstümmelt und psychisch traumatisiert.

Wie lange wird die westliche Welt, die auf dem Boden des Christentums entstanden ist, selbstgefällig, selbstzufrieden und selbstgerecht über diese und andere Realitäten wegschauen und sie verdrängen können? Wie lange will sie ihre Augen noch vor der Tatsache verschließen, dass sie den Kampf gegen den Terror auf ihre Fahnen geschrieben hat und selbst Terror produziert und verbreitet?

Alle Versuche zur Rechtfertigung der Kleinwaffenproduktion in Oberndorf und anderswo erweisen sich als Ausflüchte vor der Wahrheit, dass dort Geräte mit der Absicht produziert werden, das Töten und Verstümmeln von Menschen zu perfektionieren.

Unsere Regierung, die sich der Friedenspolitik verschrieben hat, kann verhindern, dass die Kleinwaffen aus Oberndorf ins Ausland exportiert und die Exporte womöglich noch durch Hermesbürgschaften abgesichert werden. Sie kann auch die Genehmigung für den Verkauf von Lizenzen ins Ausland verweigern. So würde sie ihre Glaubwürdigkeit wieder herstellen. Wird sie vor der Macht der Konzerne, die ohne Rücksicht auf die Folgen das Wachstum der Produktion steigern und ihr Kapital vermehren wollen, kapitulieren?

Werden die Christen, die sich zum Friedensstifter Jesus bekennen und in allen ihren Gottesdiensten um das Kommen des Reiches Gottes und das Tun seines Willens bitten, vor der “Macht des Faktischen” einknicken und ihre Hoffnung, dass Friede wie im Himmel so auch auf Erden sei, begraben?

Dürfen sich Christen, die nach dem Willen Gottes fragen, damit abfinden, dass Waffen produziert, Soldaten für den Krieg ausgebildet und in Kampfhandlungen geschickt werden, die das Ziel haben, den Feind zu vernichten? Ich hoffe, dass sie lernen, in dieser Sache den Regierungen zu widersprechen und zu widerstehen, nicht in ihrem eigenen Interesse, sondern im wohlverstandenen Interesse aller Völker.

Ich weiß nicht, wer die schwere Katastrophe, die am Ende dieses Jahres Südostasien heimgesucht hat, noch in irgendeiner Weise mit “Gott” in Verbindung bringen kann und will. Für mich ist sie ein unübersehbares Zeichen, eine unüberhörbare Erinnerung an unsere gefährdete Zukunft, eine eindringliche Mahnung, dass alle Politik dem Wohl aller Menschen auf Erden dienen muss.

Werner Dierlamm, Schorndorf, ist evangelischer Pfarrer im Ruhestand und u.a. Initiator der Ökumenischen Aktion Ohne Rüstung Leben

Veröffentlicht am

31. Dezember 2004

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