Nach US-Wahlen: “Zeit für Trennung und Polarisierung und für Widerstand …”
“… vor uns liegt die lange, beschwerliche Arbeit des Aufbaus einer neuen Welt”Von Brian Terrell “UND WAS JETZT?” … fragt jeder im Nachhall der Wahlen von 2004. In Widerspruch zu seiner Adoption von Bruce Springsteens “No Surrender” (“Nicht aufgeben!”) als inoffiziellen Wahlkampfsong, ruft der demokratische Kandidat John Kerry zur Heilung auf und verspricht George W. Bush, ihn dabei zu unterstützen, das Land nach einem spaltendem Wahlkampf wieder zusammenzubringen. Man kann Kerry dafür, dass er sich als ein so guter Verlierer zeigt, für einen Gentleman und fairen Sportler halten, doch lassen seine jetzigen guten Manieren gegenüber einem Mann, der vor wenigen Tagen noch eine Gefahr für die Welt war, die Frage aufkommen, warum Kerry dann überhaupt kandidiert hat. Die Heilung, nach der er ruft, ist keine wirkliche Heilung und für dieses Land ein disaströser Gedanke. Jetzt ist nicht die Zeit für Heilung, nicht die Zeit, um Differenzen zurückzulassen und zu versuchen, einfach miteinander auszukommen. Es ist Zeit für Trennung und Polarisierung. Jetzt ist nicht die Zeit, um Differenzen zu überdecken. Es ist jetzt wichtig, diese Differenzen zu artikulieren und zu definieren, keine Zeit für Kooperation, sondern für Widerstand. Die Spannung, die zwischen den sich streitenden US-Amerikanern existiert, muss nicht abgebaut, sondern um jeden Preis verstärkt werden. Es mag seltsam erscheinen, dass ich als “Friedensaktivist” Polarisierung und Verstärkung von Spannung fordere, doch zur Zeit könnte für Aktivisten nichts gefährlicher sein, als sich zur Inaktivität im Namen eines falschen Friedens einlullen zu lassen. 1963 wurde Dr. Martin Luther King Jr. vom respektableren und verantwortlicheren Klerus in Birmingham, Alabama, beschuldigt, ein Unruhestifter zu sein, weil die Märsche, die er anführte, Spannung und Gewalt in dieser ansonsten friedlichen Stadt schaffen würden. In seiner Antwort an jene, die in dieser Zeit des Aufruhrs nach Einigkeit riefen, sagte Dr. King, er habe keine Angst vor dem Wort “Spannung”, bestreite aber, dass die Verursacher von Spannung und Gewalt jene seien, die Widerstand leisteten. “Wir bringen lediglich die versteckte Spannung, die schon existiert, an die Oberfläche”, schrieb er an seine Verleumder aus dem Stadtgefängnis von Birmingham. “Wir bringen sie ins Freie, wo sie gesehen und behandelt werden kann. Wie ein Furunkel, das so lange nicht geheilt werden kann, wie es bedeckt ist, sondern mit all seiner eitrigen Hässlichkeit der natürlichen Medizin von Luft und Licht ausgesetzt werden muss, muss auch die Ungerechtigkeit mit aller Spannung, die dadurch entsteht, dem Licht des menschlichen Bewusstseins und der Luft der nationalen Meinung ausgesetzt werden, bevor sie geheilt werden kann.” Ich möchte aus einem Artikel aus der New York Times vom Tag nach der Wahl zitieren, der folgende Analyse bietet: “Es ist unmöglich, in Präsident Bushs Wiederwahl etwas anderes zu erkennen als die Bestätigung, dass dies ein Mitte-Rechts-Land ist.” Vielleicht wäre ein Sieg Kerrys die Bestätigung gewesen, dass die Vereinigten Staaten ein “Mitte-Rechts-Land” sind, doch der Sieg Bushs bestätigt nur, dass dies ein Land der äußersten Rechten ist. Wir müssen klar sehen: Der Mann, der zum zweiten Mal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, ist ein Faschist und Kriegsverbrecher, und wir können mit George W. Bush keine Gemeinsamkeiten finden, ohne zu Komplizen seiner Verbrechen zu werden. Wie sind wir hierhin gelangt? Umfragen zeigen, dass die, die für Bush gestimmt haben, Dinge glauben, die einfach die Unwahrheit sind, und sie trotz aller Gegenbeweise und Bushs eigener Widerrufe glauben. Bush wäre niemals ohne die Stimmen derer, die glauben, es gebe Beweise dafür, dass der Irak El Khaida unterstützt, Massenvernichtungswaffen besessen, sowie kurz davor gestanden habe, Atomwaffen zu produzieren, gewählt worden. Auch die Kirchen tragen Verantwortung, weil sie Bushs blasphemische und regelmäßige Verletzungen des zweiten Gebots (“Du sollst den Namen Gottes nicht unnütz führen”) als Frömmigkeit und sein Beharren auf die Kriminalisierung von Abtreibung als Einsatz für das Leben missverstanden haben. Der Demokratischen Partei muss vorgeworfen werden, einen Kandidaten angeboten zu haben, der nur um Nuancen (wenn überhaupt) ein kleineres Übel als Bush darstellte. Indem er den Irakkrieg einen “Fehler” nannte, den er beheben könne, und einen Krieg, den er “gewinnen” könne, anstatt ihn als das Verbrechen und den unentrinnbaren Sumpf zu bezeichnen, den er darstellt, half Kerry dabei, einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit den Anstrich von Legitimität zu geben. Nachdem ich wegen Protestes gegen einen Krieg, den beide Kandidaten verlängern wollten, verhaftet worden war, konnte ich mir keinen besseren Ort vorstellen als die Wahlnacht im Gefängnis von Polk County zu verbringen. Deshalb erfuhr ich von den Ergebnissen später als die meisten, erst als ich am späten Mittwochnachmittag entlassen wurde. Von einer Nacht auf Betonboden mitgenommen, waren die Nachrichten für mich ein Schlag in den Magen, aber ich weiß nicht, ob sich die Nachricht von einem Sieg Kerrys sehr viel besser angefühlt hätte. Die Frage stellt sich wieder: “Und was jetzt?” Jetzt gilt dasselbe, als wenn die Wahl anders ausgegangen wäre. Wir gehen auf die Straße. Wir protestieren. Wir gestalten unser ganzes Leben als Widerstand gegen Krieg und Unterdrückung. Wir bemühen uns, uns gegenseitig zu lieben und jene, die der Staat zu unseren Feinden erklärt. Am Abend dieser unglücklichen Wahl fragte der australische Journalist John Pilger: “Was wird geschehen, wenn der Alptraum im Irak weitergeht? Vielleicht werden diese Millionen von besorgten Amerikanern, die gegenwärtig dadurch gelähmt sind, dass sie Bush um jeden Preis loswerden wollen, ihre Ambivalenz abschütteln, ganz gleich, wer am 2. November gewinnt. Wird dann ein Riese erwachen, wie es während der Bürgerrechtskampagne, des Vietnamkriegs und der großen Bewegung zum Einfrieren der Atomwaffen geschehen ist? Man muss darauf vertrauen; die Alternative wäre ein Krieg gegen die Welt.” Die Wahlen sind hinter uns - vor uns liegt die lange, beschwerliche Arbeit des Aufbaus einer neuen Welt. ——- Frank Cordaro, Pflugscharaktivist, Mitglied der Catholic Worker-Gemeinschaft in Des Moines, schreibt in derselben Ausgabe von “Pointblank”: Wachsende Zahl von Individuen sieht “Spaltung” als eine zwischen Kriegstreibern und FriedensstifternVon Frank Cordaro Die größte Herausforderung, der dieses Land gegenübersteht, unterscheidet sich nicht von der, die vor der Wahl bestanden hat. Wir müssen aufhören, die dunkle Seite unseres nationalen Verhaltens zu verleugnen. Während es viele, viele gute Dinge gibt, die wir als Nation tun, gibt es auch viele, viele schlechte. Wenn wir unser schlechtes Verhalten nicht sehen und zugeben können, bleiben wir für immer darin gefangen, die gleichen Fehler wieder und wieder zu begehen. Jeder Ausbruch aus diesem nationalen kollektiven Zustand der Verleugnung wird einen tieferen Blick auf die ökonomischen, politischen und sozialen Strukturen, auf denen unsere Gesellschaft basiert, erfordern. Wir werden ehrlich unsere nationalen Mythologien untersuchen müssen - z.B. dass wir die einzigen Hüter der Wahrheit sind; dass wir nur rechtmäßige Aktionen unternehmen; dass wir unseren Weg zum Frieden weitergeben oder aufzwingen können. Die Lösung übersteigt jede Wahlperiode und jede einzelne politische Partei. Die Lösung muss von innen kommen, aus jeder einzelnen Person, basierend auf einer kritischen Selbstuntersuchung dieser gesellschaftlichen Systeme und Strukturen. Jede und jeder von uns muss persönliche Verantwortung für unsere Ansichten und Handlungen übernehmen, und wir müssen kritische und unabhängige Denkerinnen und Denker werden. Von einer christlichen und Catholic Worker-Perspektive aus gesehen liegt die Lösung teilweise darin, ob wir es schaffen, unser Verständnis von Jesus zu rehabilitieren. Das meiste von dem, was heute als Christentum gilt, steht im Widerspruch zu dem, worum es bei Jesus und der frühen Kirche ging. Wir haben eine Religion, die ursprünglich auf einer Perspektive “von unten”, der Sicht der Armen, Schwachen und gesellschaftlich Randständigen gründete, genommen, sie von den Füßen auf den Kopf gestellt und aus ihr eine Religion für die Reichen, die Mächtigen und die soziale Elite gemacht. Das hat dazu geführt, dass das Christentum zum Partner “von oben” der Weltreiche geworden ist, von denen die USA nur das bisher letzte darstellt. Weiterhin nimmt das Christentum heutzutage staatlich sanktionierte Gewalt an. Die meisten Kirchgänger in den USA unterstützen die Todesstrafe. Die Frage von Gewalt gegenüber Gewaltlosigkeit ist für US-Christen zentral, sowohl was das Überleben der Menschheit angeht als auch darin, was es bedeutet, Jesus wahrhaft nachzufolgen. Jesus war ein Opfer der Todesstrafe. Für die frühe, prä-konstantinische Kirche war es undenkbar, die Todesstrafe zu unterstützen. Warum treffen wir dann heute eine solche Wahl? Eine der Antworten liegt vielleicht darin, dass wir unsere angeblichen religiösen Glaubensgrundsätze unkritisch betrachten. Wir sollten uns auch in Bezug auf John Kerry nichts vormachen. Er war kein Kandidat des Friedens. John Kerry nannte den Irakkrieg “den falschen Krieg, zur falschen Zeit, am falschen Ort.” Doch ignorierte er die unrechtmäßige, unmoralische und illegale Natur unserer Rolle in diesem Krieg. Sein Hauptpunkt war, der Krieg würde schlecht geführt. Auf die Frage, was er nach seiner Wahl in bezug auf den Krieg tun würde, erzählte Kerry uns, er würde einen besseren Job als Bush machen. Was für ein Friedenskandidat ist das? Die friedensbewegten Kerry-Unterstützer, mit denen ich gesprochen habe, glaubten Kerrys kriegsunterstützende Falkenrhetorik sei nicht das, was er wirklich glaube, sondern ein Standpunkt von dem er annahm, er sei politisch vorteilhaft. Wenn ein Präsidentschaftskandidat glaubt, er müsse seine eigenen Überzeugungen verleugnen, um gewählt zu werden, spricht das Bände über unser eigenes kollektives Verleugnen. (…) In Bezug auf die große nationale Spaltung, von der wir immer hören, müssen wir zunächst einmal fragen, ob diese Spaltung tatsächlich existiert. Wenn dem so ist, besteht diese Spaltung, politisch ausgedrückt, nicht zwischen blauen und roten Staaten, Demokraten und Republikanern, Sozialkonservativen und Liberalen oder Kirchenmitgliedern und Nichtkirchlichen. Wenn wir über die nationale politische Struktur hinausblicken, erkennen wir eine wachsende Zahl von Individuen, die die “Spaltung” als eine zwischen Kriegstreibern und Friedensstiftern, zwischen Gerechtigkeitssuchern und “nur ich allein”-Leuten, zwischen den Einstellungen “wir sind alle eins” und “wir gegen sie” sowie zwischen der machtlosen armen Mehrheit und der mächtigen reichen Mehrheit sehen. Für jene auf der sanften, gerechtigkeitssuchenden Seite des großen Spalts gibt es kein Allheilmittel. Persönlich habe ich Trost darin gefunden, die Werke der Barmherzigkeit auszuführen - die Armen zu nähren und den Obdachlosen zu dienen - und unbeirrt an meinen persönlichen Überzeugungen festzuhalten und ihnen gemäß zu handeln im Wissen, dass niemand sie mir nehmen kann. Quelle: DER PAZIFIST Nr. 9/198 vom 15.12.2004. Übersetzung: Bernd Büscher. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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