Die Opfer des Tsunami zahlen den Preis für den IrakkriegVon George Monbiot - ZNet Kommentar 06.01.2005 So etwas gab es noch nie im britischen Fernsehen. Es ist Silvester, und auf der Mattscheibe läuft ‘The Vicar of Dibley’ - eine unserer milderen Sitcoms - die üblichen Späße eben. Plötzlich werden wir mit einer Szene wie aus einer anderen Welt konfrontiert: Zwei weinende afrikanische Kleinkinder, deren Mutter an Aids gestorben ist, versuchen, einander zu trösten. Um Himmelswillen, frage ich mich, wie kann uns die Show anschließend wieder zum Lachen bringen? Sie versucht es erst gar nicht. Ein Darsteller nach dem andern - bekannt als derbe Kirchentypen - tritt vor die Kamera. Alle tragen eine weiße Armbinde, als Zeichen ihrer Solidarität mit der Kampagne ‘Make Poverty History’ (‘Sorge dafür, dass Armut der Vergangenheit angehört’). Ein Stein, wer angesichts dieser Szene nicht weint. Es war das perfekte Timing. Im Oxfam-Shop meiner Stadt standen die Menschen letzte Woche Schlange, bis vor die Tür. Sie wollten für den Tsunami-Fonds spenden. In einem anderen Stadtteil nahm ein Pub Samstagnacht 1000 Englische Pfund an Spenden ein, und im Spendentopf auf dem Tresen des örtlichen Zeitungsladens liegen mittlerweile fast 100 Pfund. Die Frau im Bäckerladen erzählt, sie habe auf der Bank einen Obdachlosen getroffen, der seine Taschen leerte und sagte: “Ich möchte auch meinen kleinen Beitrag leisten”. Die Kundenschlange habe mit den Tränen gekämpft. Während der letzten Monate fragte ich mich: Haben wir es verlernt, uns in die Lage anderer Menschen hineinzuversetzen? Das fragte ich mich auf dem Hintergrund des absoluten öffentlichen Desinteresses an den Geschehnissen in der Demokratischen Republik Kongo und angesichts der Tatsache, dass im Westen kein effektiver Protest gegen die nicht endenden Gräuel im Irak mobilisiert werden konnte. Inzwischen stelle ich mir diese Frage nicht mehr. Die Reaktionen auf den Tsunami beweisen: Und wenn wir noch so vehement versuchen, unsere Empathie zu unterdrücken, wir können sie nicht auslöschen. Die Frage liegt auf der Hand: In einer Welt, die reicher ist als je - warum hängt in so einer Welt ‘Hilfe für Leidende’ von der Laune der Bürger ab bzw. von Spendenaufrufen von Popstars und Komödianten? Selbst extreme Armut könnte der Vergangenheit angehören - durch leichte Umschichtungen bei den öffentlichen Ausgaben. Warum sollte die arme Welt also darauf angewiesen sein, dass Obdachlose aus der reichen Welt ihre Taschen umkrempeln? Die Antwort ist offensichtlich: Unsere Regierungen setzen andere Prioritäten. Eine Priorität, die sofort ins Auge springt, ist der Krieg. Die den Tsunami-Opfern versprochenen Summen verblassen angesichts des Bedarfs. Zum Teil liegt das daran, dass die Eventualfonds, auf die man in Krisenzeiten normalerweise zurückgreift, dazu verwendet wurden, Leute im Irak zu zerfetzen. Bis dato verpflichtete sich die US-Regierung, den Tsunami-Opfern $ 350 Millionen zu spenden, die britische Regierung verpflichtete sich zu $ 96 Millionen. Für den Irakkrieg gab die US-Regierung bislang $ 148 Milliarden aus, die britische $11,5 Milliarden. Der Krieg ist 656 Tage alt. Also könnte man sagen, die Summe, die die USA angesichts der Tsunami-Katastrophe versprochen haben, entspricht der Summe, die Amerika in anderthalb Tagen im Irak ausgibt; der finanzielle Beitrag Großbritanniens (für die Katastrophe) entspricht fünfeinhalb Tagen des britischen Irakeinsatzes. Auf dem Hintergrund unseres gesamten Entwicklungshilfe-Budgets wirkt der Vergleich mit den Kriegskosten noch mieser: Demnach investiert Großbritannien fast doppelt soviel in die Erzeugung irakischen Leids als es jährlich in die Linderung von Leid investiert (andernorts). Die USA stellen etwas mehr als $ 16 Milliarden an Auslandshilfe-Geldern bereit - das sind weniger als 1/9 der Summe, die Amerika bislang im Irak verpulverte. Der Vergleich - Kriegskosten einerseits und Hilfsgelder andererseits - lohnt. Nachdem alle anderen Entschuldigungen für die Irakinvasion sich in Luft auflösten, erklärten beide Regierungen, man führe den Krieg zum Wohle der Iraker. Nehmen wir einen Moment an, diese Behauptung stimme. Nehmen wir an, der Einmarsch und die Besetzung des Irak hätten rein gar nichts mit Macht, Innenpolitik oder Öl zu tun. Nehmen wir an, Einmarsch und Besatzung waren vielmehr Teil eines riesigen Hilfsprogramms. Und seien wir so gnadenlos großzügig zu unterstellen, die Zahl der Iraker, die von dem Programm profitieren, liege höher als die der Verlierer. Selbst unter diesen - mehr als anfechtbaren - Voraussetzungen käme dabei für George Bush und Tony Blair nur dann eine Rechtfertigung für den Krieg heraus, falls sie durch Kosten-Nutzen-Analyse belegen können, dass die von ihnen ausgegebenen Summen tatsächlich dazu beitrugen, menschliches Leid zu lindern. Ein Ding der Unmöglichkeit - schließlich leben weltweit 2,8 Milliarden Menschen in absoluter Armut. Der Irak hat aber nur 25 Millionen Einwohner. Abgesehen von allem andern - man denke nur an die ‘lächerliche Tatsache’ des Massenmords - machen bereits die Kosten den Irakkrieg zur humanitären Katastrophe. Die Berechnungen zeigen: ‘Humanitärer Krieg’ - das ist ein Widerspruch in sich, schon allein aus Kostengründen. Unsere Führer scheinen den Unterschied zwischen helfen und killen nicht mehr zu kennen. Blairs diesjährige Neujahrsbotschaft klang fast wie sein rührseliges Beharren damals: Wir sollten begreifen, dass man das irakische Volk zu seinem eigenen Besten bombardieren muss. Und jene US-Marines, die jetzt nach Sri Lanka abkommandiert wurden, um Hilfsoperationen zu unterstützen, mordeten noch vor wenigen Wochen in der irakischen Stadt Falludscha Zivilisten (nicht zu vergessen, es handelt sich um einen illegalen Krieg), sie zerstörten Wohnhäuser und vertrieben die gesamte Bevölkerung aus der Stadt. Aber selbst in den offiziellen Entwicklungshilfe-Budgets werden die beiden Zielsetzungen vermengt: So fließen $ 8,9 Milliarden der von den USA bereitgestellten Hilfsgelder in Militärhilfe, in Antidrogen-Operationen, in Gegenterror oder beispielsweise in den Irak-Wiederaufbau-und-Hilfefonds (auch ‘Trust zur Unterstützung Halliburtons’ genannt). Für Bush und Blair sind die Tsunami-Hilfsaktionen und der Irakkrieg zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Es geht um Rettung: Die zivilisierte Welt reitet los, um die Fremden aus ihrer Dunkelheit zu erretten. Diese Leute investieren das Geld, das wir ihnen geben, weil wir wollen, dass sie Leid lindern und richten ein Blutbad unter den Armen an. Im Katastrophenfall ist die Welt daher auf Obdachlose angewiesen, die ihre Taschen umkrempeln. Unsere Führer töten Menschen großzügig; wären sie ähnlich großzügig, wenn es darum geht, Menschen zu helfen, keiner müsste mehr hungern. Wenn Sie sich für die Kampagne gegen globale Armut interessieren und mitmachen wollen, gehen Sie auf www.makepovertyhistory.org Quelle: ZNet Deutschland vom 07.01.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “The Victims Of The Tsunami Pay The Price Of War On Iraq” Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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