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Friedensnobelpreisträger: Eine geeinte oder eine geteilte Welt?

Die Gorbatschow-Stiftung organisiert jedes Jahr ein Treffen von Friedensnobelpreisträgern. Am fünften Treffen der Friedensnobelpreisträgerinnen und -träger, das vom 10. bis 12. November 2004 in Rom stattfand, beteiligten sich unter anderem Michail Gorbatschow (Friedensnobelpreisträger 1990), Kim Dae-Jung (2000), Lech Walesa (1983), Joseph Rotblat (1995), Jose Ramos-Horta (1996), Betty Williams (1976), Mairead Corrigan Maguire (1976), Carlos Filipe Ximenes Belo (1996). Die versammelten Friedensnobelpreisträgerinnen und -träger gaben folgende Erklärung ab.

Eine geeinte oder eine geteilte Welt?

Erklärung des 5. Gipfeltreffens der Friedensnobelpreisträger, Rom, 12. Novermber 2004

Vor zwei Jahrzehnten schwamm die Welt auf einer Welle der Hoffnung. Von den
Volksbewegungen für Frieden, Freiheit, Demokratie und Solidarität inspiriert, arbeiteten die Nationen der Welt zusammen an der Beendigung des Kalten Krieges. Doch entgleiten die Möglichkeiten, die sich durch diese historische Chance eröffnet haben.

In schwerem Maße sind wir besorgt über das Wiedererstarken des atomaren und konventionellen Wettrüstens, die Missachtung des Völkerrechts und das Unvermögen der Regierungen der Welt, den Herausforderungen der Armut und der Zerstörung der Umwelt angemessen zu begegnen. Weltweit verbreitet sich ein Kult der Gewalt; die Möglichkeit, eine Kultur des Friedens zu schaffen, wie es die Vereinten Nationen, Papst Johannes Paul II, der Dalai Lama und andere spirituelle Führer befürworten, vermindert sich.

Neben den von der Vergangenheit geerbten Herausforderungen gibt es neue, die, falls sie nicht adäquat beantwortet werden, einen Zusammenprall der Zivilisationen, Religionen und Kulturen bewirken könnten. Wir weisen die Vorstellung von der Unvermeidbarkeit eines solchen Konflikts zurück. Wir sind überzeugt davon, dass die Bekämpfung des Terrorismus in allen seinen Formen eine Aufgabe darstellt, die entschieden verfolgt werden muss. Terrorismus kann nur dadurch besiegt werden, dass unsere gemeinsamen ethischen Werte - Respekt für die Menschenrechte und fundamentale Freiheiten - bekräftigt und demokratische Prinzipien innerhalb und zwischen Ländern geachtet werden. Wir müssen uns um die Ursachen des Terrorismus - Armut, Ignoranz und Ungerechtigkeit - kümmern, anstatt Gewalt mit Gewalt zu beantworten.

Frauen und Kinder leiden täglich unter inakzeptabler Gewalt. Die Kinder bleiben unser wichtigster, vernachlässigter Schatz. Ihr Schutz, ihre Sicherheit und Gesundheit sollte für uns höchste Priorität haben. Kinder verdienen es, überall in und für Frieden erzogen zu werden. Es gibt keine Entschuldigung für die Vernachlässigung ihrer Sicherheit, ihres Wohlbefindens und besonders nicht für ihr Leiden im Krieg.

Der Krieg im Irak hat ein Treibhaus für gefährliche Instabilität und eine Brutstätte des Terrorismus geschaffen. Glaubhafte Berichte über das Verschwinden nuklearen Materials können nicht ignoriert werden. Während wir zehntausende von Toten betrauern wurde keines der von der Koalition verkündeten Ziele erreicht.

Den Herausforderungen von Sicherheit, Armut und der ökologischen Krise kann erfolgreich nur durch multilaterale, auf der Herrschaft des Rechts ruhende Anstrengungen begegnet werden. Alle Nationen müssen ihren Vertragsverpflichtungen streng nachkommen und die unersetzliche Rolle der Vereinten Nationen sowie die vorrangige Verantwortung des UN-Sicherheitsrates zur Bewahrung des Friedens bekräftigen.

Wir befürworten eine rasche, friedliche Lösung der Nuklearfrage in Nord-Korea, einschließlich einer überprüfbaren Beendigung des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms, Sicherheitsgarantien und der Aufhebung der Sanktionen gegen Nord-Korea. Sowohl die Sechs-Parteien-Gespräche als auch die bilateralen Bemühungen der USA und Nord-Koreas sollten zu solch einer Lösung beitragen. Wir begrüßen die jüngsten Fortschritte bei den Gesprächen zwischen dem Iran und Großbritannien, Frankreich und Deutschland über die Frage des iranischen Atomprogramms und hoffen, die Vereinigten Staaten werden sich diesem Prozess anschließen, um eine Lösung im Rahmen der Internationalen Atomenergiebehörde zu finden.

Wir fordern die Reduzierung von Militärausgaben und den Abschluss eines Vertrages, der Waffenhandel kontrollieren und den Verkauf von Waffen, die zur Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und humanitären Rechts eingesetzt werden könnten, verbieten würde.

Als Nobelpreisträger glauben wir, dass die Weltgemeinschaft sich dringend um die Herausforderungen der Armut und einer nachhaltigen Entwicklung kümmern muss. Die Beantwortung dieser Herausforderungen erfordert den politischen Willen, der bisher traurigerweise so gefehlt hat. Die Unternehmungen, auf die sich Staaten beim Millenniumsgipfel verpflichtet haben, die Versprechen für mehr Unterstützung bei der Entwicklung, fairen Handel, Marktzugang und Schuldenerlass für Entwicklungsländer, sind nicht in Angriff genommen worden. Armut ist weiterhin die verbreitetste und gefährlichste Geißel der Welt. Millionen von Menschen werden Opfer von Hunger und Krankheit, und ganze Nationen leiden unter dem Gefühl von Frustration und Verzweifelung. Dies schafft fruchtbaren Grund für Extremismus und Terrorismus. So werden Stabilität und Zukunft der gesamten menschlichen Gemeinschaft gefährdet.

Wissenschaftler warnen uns, dass das Versagen bei der Lösung der Probleme von Wasser, Energie und Klimawechsel zu einem Zusammenbruch der Ordnung, mehr militärischen Konflikten und schließlich zur Zerstörung der Lebenssysteme, von denen die Zivilisation abhängt, führen wird. Deshalb bekräftigen wir unsere Unterstützung des Kyoto-Protokolls und die Earth-Charta und unterstützen den rechtlich gesicherten Zugang zum Wasser, wie es sich in der Initiative des Internationalen Grünen Kreuzes widerspiegelt, die Regierungen aufruft, über einen Rahmenvertrag zum Wasser zu verhandeln.

Als Friedensnobelpreisträger glauben wir, dass es besserer globaler Regierung bedarf, um von den neuen, unvorhergesehenen Möglichkeiten der Menschheit zu profitieren sowie den uns konfrontierenden Gefahren zu begegnen. Deshalb unterstützen wir die Stärkung und Reformierung der Vereinten Nationen und ihrer Institutionen. Wir verpflichten uns, für die folgenden unmittelbaren spezifischen Aufgaben zu arbeiten:

  • Ernsthafte Anstrengungen zur Lösung der Nahostkrise. Dies ist sowohl ein Schlüssel zum Problem des Terrorismus als auch eine Chance, ein gefährliches Aufeinanderprallen von Zivilisationen zu verhindern. Wenn das Recht aller Nationen der Region auf sichere, realistische Staatlichkeit respektiert wird und der Nahe Osten in alle globalen Prozesse integriert wird, bei Respektierung der einzigartigen Kultur der Völker dieser Region, ist eine Lösung möglich.
  • Bewahrung und Stärkung des Atomwaffensperrvertrages. Wir lehnen doppelte Standards ab und betonen die juristische Verantwortung der Atomstaaten, für die Abschaffung der Atomwaffen zu arbeiten. Wir fordern die Fortsetzung des Moratoriums für Atomtests und das Inkrafttreten des umfassenden Vertrages über ein Testverbot sowie die Beschleunigung des Prozesses zu einer machbaren und unumkehrbaren Reduktion der Nuklearwaffen. Wir sind höchst alarmiert durch die Schaffung neuer, einsetzbarer Atomwaffen und fordern die Zurückweisung von Doktrinen, die Atomwaffen als gerechtfertigte Mittel der Kriegsführung und Abschreckung ansehen.
  • Effektive Umsetzung der Initiative des UN-Generalsekretärs für eine hochrangige Konferenz im Jahr 2005 zur Belebung der Umsetzung der entwicklungspolitischen Ziele des Millennium-Gipfels. Wir verpflichten uns dafür zu arbeiten, eine Atmosphäre der öffentlichen Verantwortlichkeit zu schaffen, um dabei zu helfen, diese lebenswichtigen Ziele zu erreichen.

Wir glauben, dass Politiker zur Lösung der Probleme, die die Welt heute herausfordern, mit einer mächtig gewordenen Zivilgesellschaft und starken Massenbewegungen zusammenarbeiten müssen. Dies ist der Weg zu einer Globalisierung mit menschlichem Gesicht und zu einer neuen internationalen Ordnung, die brutale Gewalt zurückweist, ethnische, kulturelle und politische Vielfalt respektiert und Gerechtigkeit, Mitgefühl und menschliche Solidarität bekräftigt.

Wir, die Friedensnobelpreisträger und preistragende Organisationen verpflichten uns, für die Realisierung dieser Ziele zu arbeiten, und rufen Regierungen und Menschen überall dazu auf, sich uns anzuschließen.

Michail Gorbatschow, Kim Dae-Jung, Lech Walesa, Joseph Rotblat, Jose Ramos-Horta, Betty Williams, Mairead Corrigan Maguire, Carlos Filipe Ximenes Belo, Adolfo Perez Esquivel, Rigoaberta Menchu Tim;
United Nations Children Fund, Pugtivash-Konferenzen, Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges, Internationales Friedensbüro, Institut de Droit International, American Friends Service Committee, Ärzte ohne Grenzen, Amnesty International, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, International Labour Organisation, Internationale Kampagne zum Verbot der Landminen, Vereinte Nationen.

Quelle: DER PAZIFIST Nr. 9/198 vom Dezember 2004. Übersetzung: Bernd Büscher

Veröffentlicht am

13. Januar 2005

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