“Der Tsunami hat deutlich gezeigt, wie teuer es wird”
Von Vandana Shiva (Neu-Delhi) Während die US-Regierung und notorische Umweltskeptiker weiterhin darauf beharren, dass der industrialisierte Norden es sich einfach nicht leisten könne, Maßnahmen zur Verminderung der CO2-Emissionen und zur Linderung der Folgen des Klimawechsels zu ergreifen, hat der Tsunami deutlich gezeigt, wie teuer es werden wird, wenn wir so weiter machen wie bisher. Neben der massiven Hilfe für die Opfer des Seebebens müssen wir bereits jetzt Aktionen starten, um sicherzustellen, dass künftigen Opfern eines Klimawechsels Gerechtigkeit widerfährt. Wie es ein Sprecher der Allianz von kleinen Inselstaaten während der Verhandlungen für das UN-Klimaschutz-Abkommen schon sagte: “Der stärkste menschliche Instinkt ist nicht die Habgier, sondern der Überlebenstrieb, und wir werden nicht zulassen, dass mit unserem heimatlichen Boden, unseren Völkern und unseren Kulturen gehandelt wird, um daraus kurzfristige wirtschaftliche Vorteile zu ziehen.” Das nächste Desaster muss nicht notwendigerweise wieder von einem Seebeben ausgelöst werden. Es könnte auch ein von Erdbeben verursachter Bruch eines Großdammes am Ganges sein. Der in Bau befindliche Tehri-Damm steht auf einer seismologischen Bruchrinne. Der Stausee soll die hunderte von Meilen entfernte Hauptstadt Neu- Delhi mit Wasser versorgen, eine Dienstleistung, die vom Wasserkonzern Suez privatisiert ist. Suez ist der größte Wasserhändler der Welt. Die Staumauer des Theri-Dammes wird 260 Meter hoch sein und 3,22 Millionen Kubikmeter Wasser aufstauen. Das Wasser wird sich bis zu 45 Kilometer zurück in die Täler der Zubringerflüsse stauen. Sollte ein Erdbeben den Damm brechen, würde sich innerhalb von eineinhalb Stunden eine zwölf Mal höhere Flutwelle als der Tsunami über die heiligen Städte Rishikesh und Haridwar wälzen und alles mit sich reißen. Nach acht Stunden würde eine zehn Meter hohe Welle über die 214 Kilometer entfernte Stadt Meerut hereinbrechen und nach zwölf Stunden eine noch immer 8,50 Meter hohe Welle die 286 Kilometer entfernte Stadt Bulanshahar erreichen. Um besser vorbereitet zu sein auf künftige Naturkatastrophen, müssen alle Konsequenzen in Betracht gezogen werden, die sich aus Entwicklungsmodellen ergeben, die ökologische Kosten und Bedenken beiseite geschoben haben, um schnelles Wachstum zu erreichen. In Wirklichkeit kann eine Vorbereitung gegen Desaster nur in der konsequenten Verringerung der ökologischen Verwundbarkeit und in der Stärkung der ökologischen Anpassungsfähigkeit liegen. Genau das Gegenteil wird aber gefördert, wenn man weiterhin die Umweltkosten in der wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung und beim Wirtschaftswachstum ausklammert. Die öffentlichen Güter und die soziale Verantwortung von Regierungen dürfen dem Profitstreben und der Habgier der Konzerne nicht geopfert werden. Wir sehen jetzt, dass Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente die dringlichsten Bedürfnisse der Flutopfer in Südostasien sind. Während die öffentliche Hand gefordert ist, die Betroffenen mit Überlebensgütern und medizinischen Grunddiensten zu versorgen, forciert die Globalisierung auf der anderen Seite die Privatisierung und die wirtschaftliche Integration in ihre Netzwerke. Wenn alle Nahrungsmittel und das Wasser zu Handelsgütern in Händen der globalen Konzerne gemacht werden - wie soll da die öffentliche Hand die Not lindern? In Indien werden dringend billige Medikamente für die Tsunami-Opfer gebraucht, kurz davor hat die Regierung aber den Patentschutz auf Generika (günstige Nachahmerpräparate, Anmerkung der Redaktion) ausgedehnt. Für Millionen Menschen, die unter kritischen Bedingungen leben, sind starke öffentliche Dienste für die Nahrungs- und Gesundheitsversorgung überlebenswichtig. Das steht im offenen Widerspruch mit der international forcierten Politik der Privatisierung und der Kommerzialisierung aller Güter und Dienstleistungen. Das Seebeben in Südostasien erinnert uns in drastischer Weise daran, dass wir Menschen leicht verletzbare Wesen sind, was auch für den Planeten Erde gilt. Wir sollten uns unsere Zerbrechlichkeit eingestehen und unser Handeln danach ausrichten. In Südostasien sind nicht nur die Flutwellen gegen die Küste geprallt, sondern es sind auch zwei Welten zusammengestoßen, die Welt von Kommerzialisierung und freier Vermarktung auf der einen Seite, und die Welt, die für eine globale Demokratie eintritt, auf der anderen. Die eine Welt setzt uns schutzlos und ohnmächtig Umweltkatastrophen aus, an denen sie selbst beteiligt ist - während die andere die Menschheit als Ganzes sieht, die dadurch auch in der Lage ist, das Leben neu auszurichten, um sich auf eine ungewisse Zukunft vorzubereiten. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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