Die Zerstörung BabylonsVon Dahr Jamail - DahrJamail.com / ZNet 18.01.2005 Die Attacke auf Mossul hat begonnen. Die Besatzungstruppen greifen die drittgrößte Stadt des Irak an. Polizisten und Wahlhelfer quittieren massenhaft den Dienst, während ein neuer Polizeichef über die 1000 Mann starke Polizeitruppe der Stadt eingesetzt wird - vor 2 Monaten waren es übrigens noch 5000 Polizisten. In Ramadi kommt es weiter zu wütenden Gefechten zwischen “Demokratie”-Bringern und jenen, die der Besatzung Widerstand leisten. Laut Berichten kam es in einer US-Basis nahe der Stadt zu 5 sehr starken Explosionen. Auch Samarra bekommt die “Demokratie” zu spüren. Hier eröffneten US-Soldaten das Feuer auf ein Fahrzeug mit Zivilisten. Ein Militärsprecher behauptete, es seien Warnschüsse abgegeben worden, bevor man auf das Fahrzeug schoss und zwei Personen verletzte. Demgegenüber sagen irakische Polizisten, bzw. mehrere Zeugen, das Fahrzeug sei von einem Panzer beschossen worden, es habe 4 Tote gegeben. Erst gestern waren in Samarra ein US-Soldat und 4 irakische Soldaten getötet worden. Natürlich wird auch im “stabilisierten” Falludscha weiter gekämpft. Wir erinnern uns: Falludscha wurde im Interesse von Stabilität und Sicherheit im Hinblick auf die “Wahlen” in Grund und Boden bombardiert. Und wir erinnern uns auch: Zur Irak-Invasion war es gekommen, weil das Saddam-Regime angeblich Massenvernichtungswaffen hatte. Zurück nach Bagdad: Südlich der Hauptstadt kam es zu einem Angriff auf eine Patrouille der Irakischen Armee, mit zwei Verletzten. So schlimm das auch ist, die Männer hatten noch Glück - verglichen mit jenen 15 Kameraden, die vor kurzem nahe Hit aus einem Bus entführt wurden. Auch die Benzinkrise ist noch nicht vorbei - sie wird mit jedem Tag schlimmer. 300 Anhänger des Schiiten-Geistlichen Muqtada al-Sadr starteten heute ein Sit-in im Ölministerium. Ihre Hauptanklage formulieren sie in der Frage: “Warum hat das US-Militär - im Gegensatz zu den Irakern - jede Menge Benzin für seine Fahrzeuge zur Verfügung?” Eine gute Frage. Heute morgen, als ich mich gerade fertig machte und Kaffee kochte, ereignete sich ein Mörserangriff auf die ‘Grüne Zone’ - so wie gestern und vorgestern und… na, Sie wissen schon. Ich zähle nur die Gewalt-Highlights auf. Aber auch der Alltag ist voller Geschichten, die von jener neuen “Freiheit” zeugen, die die Iraker heute genießen. Die Frau (meines Übersetzers) Abu Talat arbeitet in einer Bank. Sie erzählte ihm, viele Bagdader Banken hätten ihren Angestellten den Lohn für die nächsten zwei Wochen schon ausbezahlt, weil sie befürchten, es käme während der “Wahl” zu Raubüberfällen. Abu Talat erzählt mir die Story, während wir an der Rashid-Bank, im Bagdader Karrada-Distrikt, vorüberfahren. Soldaten der Irakischen Armee haben die Straße vor der Bank abgeriegelt. Die meisten Soldaten - mit ihren schwarzen Masken - rauchen und halten ihre Kalaschnikow lässig in der Hand. “Meine Frau hat mir erzählt, dass erst kürzlich 4 Milliarden Irakische Dinar ($2,6 Millionen) aus einem Fahrzeug geraubt wurden. Das Fahrzeug war zwischen Kut und Bagdad unterwegs. Drei Bewacher wurden getötet. Sie sollten das Geld in die Bagdader Zentralbank bringen”. Aus Furcht vor einer Welle von Banküberfällen während der “Wahl” heben wir das Geld ab, das ich auf die hiesige Bank überweisen ließ. Fast den ganzen Tag ist unser Handy außer Betrieb: kein Signal. Die irakische “Regierung” kündigt im Interesse der Sicherheit der “Wahlen” am 30. Januar folgende Maßnahme an: Am Tag der “Wahl”, einen Tag davor und einen danach werden Handys und Satellitentelefone außer Betrieb gesetzt und der (private) Autoverkehr “eingeschränkt”. Wenn ich das Wort “Wahlen” in Anführungszeichen setze, dann deshalb, weil die ‘Higher Commission for Elections’ angekündigt hat, die Namen der Kandidaten nicht vor der “Wahl” zu veröffentlichen. 4 der 18 irakischen Provinzen werden nicht an der “Wahl” teilnehmen können. Man schätzt, dass 90% der sunnitischen Wähler ihre Stimme nicht abgeben werden. Ein erheblicher Teil der Schiiten wird die Wahl boykottieren, und sehr viele Iraker wollen aufgrund der höllischen Sicherheitslage nicht zur “Wahl” gehen. Von “Wahlen” zu reden, wäre daher leicht vermessen. Wir verlassen die Bank - mit Apache-Hubschrauber dicht über unseren Köpfen - und beeilen uns, nach al-Dora zu kommen, wo wir Freunde besuchen wollen. Auf der Zufahrt zur Schnellstraße stehen Betonbarrieren, durch die wir uns schlängeln müssen. Am Ziel angekommen trinken wir gemeinsam mit den Freunden Kaffee. Eine Freundin studiert am College. Ich frage sie, wie läuft’s denn so? “Die Probleme enden nie”, sagt sie. “Kein Strom, kein Job und nie genug Geld”. Ihre Schwester erzählt, dass in Dora jeden Tag gekämpft wird. Wenn die Kämpfe aufflammen, werde normalerweise der Strom gekappt. Wir reden noch eine Weile, dann brechen wir auf - bevor es dunkel wird. Vorhin, als mein Handy funktionierte, unterhielt ich mich mit einem Freund in Baquba. Er sagt, auch in Baquba werde jeden Tag gekämpft und es käme zu vielen Razzien in Wohnhäuser. Er selbst wurde 5 Stunden vom Militär festgehalten. “Warum sie mich festhielten, weiß ich nicht”, sagt er. “Das ist eben Freiheit - sie haben die Freiheit, jeden hier grundlos festzuhalten”. Wir fahren langsam aus al-Dora heraus - und kommen an einer schwarzen Fahne (Todesanzeige) nach der andern vorbei. Auf einigen steht die Todesart sowie der Name des Getöteten. Abu Talat liest vor: “Dieser Mann hier starb durch eine Explosion - dieser durch Schüsse”. Die schwarzen Fahnen sind inzwischen allgegenwärtig in Bagdad. Wo man hingeht, verdüstern sie Gebäude, Zäune und Mauern. Seit der Besatzung waren sie eigentlich immer präsent, aber mittlerweile sind sie überall - so wie die Bettler. Vor kurzem berichtete ‘The Guardian’: “Soldaten der US-geführten Streitkräfte im Irak richteten an den Überresten des antiken Babylon ausgedehnte Schäden und massive Verschmutzung an”. Das alte Babylon - südlich von Bagdad - dient während der Besatzung amerikanischen und polnischen Truppen als Militärcamp. Archäologen hatten vergeblich protestiert. In einer Studie von Archäologie-Experten ist von Rissen und Lücken im berühmten Ziegelrelief des Ischtar-Tors die Rede. Jemand hatte versucht, die glasierten Ziersteine, aus denen die Drachen im Tor bestehen, herauszubrechen. “Ein 2600 Jahre altes Ziegelrelief von Militärfahrzeugen beschädigt, archäologische Fragmente über den Platz verstreut, Gräben, die man in antike Felder treibt”. Die Story im ‘Guardian’ geht noch weiter: “Empörung wäre das falsche Wort, es ist einfach abscheulich”, so Lord Redesdale - selbst Archäologe und Vorsitzender der archäologischen Allparteiengruppe im britischen Parlament. “Es handelt sich hier um internationale Stätten. Was die amerikanischen Truppen anrichten, zerstört nicht nur die Archäologie des Irak, es zerstört das kulturelle Erbe der ganzen Welt”. Und Tim Schadla Hall, Dozent für öffentliche Museumsarbeit am ‘Institute of Archaeology at University College London’: “Im vorliegenden Fall haben wir es mit einem internationalen Konflikt zu tun, bei dem die USA die Erfordernisse der Haager Konvention nicht berücksichtigen… nämlich den Schutz der wichtigen archäologischen Stätten - wieder eine Konvention, die sie (die USA) anscheinend leichten Herzens ignorieren”. Babylon wird zerstört - und das irakische Volk. Quelle: ZNet Deutschland vom 22.01.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Orginalartikel: Destroying Babylon Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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