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Die Wahl verursacht eine Spaltung, zu der selbst Saddam nicht in der Lage war

Von Robert Fisk - The Independent / ZNet 22.01.2005

Sonntag, der 30. Januar ist der Tag, an dem der Mythos mit der Realität konfrontiert wird, wobei es - so meine Befürchtung - buchstäblich zum Knall kommen wird. Zweifellos wird jener magische Tag, an dem der Irak sich angeblich zur Demokratie wandelt, als ein weiterer Meilenstein begrüßt werden - ein Meilenstein des amerikanischen Abenteuers - und Lord Blair of Kut al-Amara wird von einem neuen “großen Tag im Irak” sprechen. Selbstverständlich wird Blair in keinem Wahllokal in die Luft gesprengt oder auf dem Nachhauseweg Opfer eines Selbstmordattentäters. Solche Toten wird man - dessen bin ich mir sicher -, “Märtyrer der Demokratie” nennen, Iraker, die sich für eine Wahl entschieden, die ein so großes physisches Risiko darstellt, daß die internationalen Beobachter sie lieber von Amman aus “beobachten”.

Das größte Problem dieser Wahlen ist aber nicht die Gewalt (vor, während und sicher auch nach dem 30. Januar). Die größte Gefahr für die “Demokratie” geht von der Tatsache aus, daß sich 4 irakische Provinzen - in denen rund die Hälfte der irakischen Bevölkerung lebt -, im Aufstand befinden. Viele Städte dieser Provinzen werden von Rebellen kontrolliert. Durch die Wahl wird sich die Kluft zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden weiter verstärken - nicht einmal Saddam Hussein hätte dies vermocht. Wenn die Sunniten also nicht zur Wahl gehen - außer jene, die an so exotischen Orten wie Amerika oder Syrien leben -, wird die schiitische Bevölkerungsmehrheit (rund 60% der Bevölkerung) den Großteil der Sitze im künftigen ‘Nationalen Übergangsparlament’ einnehmen.

Anders gesagt: Die Schiiten kämpfen nicht gegen die US-Besatzung im Irak und werden an den Wahlen unter den Auspizien der USA teilnehmen. Die Sunniten wiederum, die gegen die Besatzung kämpfen, werden sich weigern, an Wahlen teilzunehmen, die von den Aufständischen als “Quisling-“Wahl bezeichnet wird. Die 4 Millionen Kurden werden zur Wahlurne gehen. Aber unabhängig davon, wieviele Sitze sie erlangen, die Kurden werden ihre Quasi-Unabhängigkeit auch nach der Wahl nicht aufgeben.

So wird die von Amerikanern und Briten übertriebene Gefahr eines Bürgerkriegs durch dieses Experiment, für das soviel geworben wurde, sogar noch verstärkt und keineswegs verringert. Aber der Irak ist eine Stammesgesellschaft - keine religiöse. Der eigentliche Krieg wird sich also weiter zwischen sunnitischen Aufständischen und US-Soldaten abspielen - und nicht, wie es manche im Westen gern hätten, zum Bürgerkrieg werden.

Dennoch dürfte wohl keinem die Bedeutung der Ermordung Mahmoud al-Madaens entgehen. Al-Madaen starb letzte Woche zusammen mit seinem Sohn und 4 Bodyguards in Salman Pak, südlich von Bagdad, wo er ein persönlicher Repräsentant Ajatollah Ali al-Sistanis, des führenden Schiiten-Geistlichen des Irak, war. Am gleichen Tag fand man al-Sistanis Assistenten Halim al-Moaqaq “ertrunken in seinem eigenen Blut” - so ein Sprecher in Najaf. Ajatollah al-Sistani hat die Wahlen abgesegnet. Sie könnten den Schiiten - zum erstenmal - Macht in die Hand geben, zumindest theoretisch.

Die Schiiten im Irak wurden von den Ottomanen an den Rand gedrängt bzw. bekämpft, dann von den Briten, den Königen und schließlich von den Sunniten-Diktatoren. Wiederholt rief die schiitische Führung die Schiiten auf, sich nicht für die Anschläge zu rächen. Und die Schiiten hielten sich erstaunlich zurück. Selbst als im letzten Jahr der Vorsitzende des Obersten Rats der Islamischen Revolution im Irak, Mohamed Baqr al-Hakim, bei einem Autobombenanschlag starb, verübten sie keinen einzigen Racheakt.

Gleichzeitig ist ihnen die Drohung sehr wohl bewußt, die in den Worten Osama bin Ladens liegt: Eine Teilnahme an den Wahlen stelle einen Akt der Abtrünnigkeit dar, denn die Verfassung des Irak sei eine “von Menschen gemachte Jahliyya-Verfassung”. Wörtlich bedeutet das Wort “unwissend”. Bin Laden spielt damit auf die Araber in vorislamischer Zeit an, die bis zur Geburt des Propheten angeblich in “Unwissenheit” lebten. Eines steht fest: Jeder irakische Mann und jede irakische Frau, der/die an dieser Wahl teilnimmt, ist mutig. Ob sie auch klug handeln, ist eine andere Frage.

Aber selbst wenn die Schiiten die meisten Parlamentssitze gewinnen (von insgesamt 275) - der Krieg wird weitergehen. Schließlich haben die Sunniten nichts zu verlieren, wenn sie den Kampf weiter unterstützen. Die Wahl selbst ist so kompliziert, daß wer in den Sunni- Gebieten den Mut aufbringt, daran teilzunehmen, sein blaues Wunder erlebt.

Es gibt 75 Parteien und 9 Bündnisse. Insgesamt kandidieren 7471 Leute für 275 Sitze - wobei proportional gewählt wird. Wer als Kandidat Einzweihundertfünfundsiebzigstel der Stimmen auf sich vereint, erhält einen Parlamentssitz. Eine Partei mit 20% der Stimmen würde demnach 20% der Sitze erhalten, ihre 55 stärksten Kandidaten zögen ins Parlament ein.

Das neue Parlament hat die Aufgabe, einen Verfassungsvorschlag zu erarbeiten, über den anschließend in einem Referendum entschieden wird. Diese zweite gefährliche Stimmabgabe (Referendum) soll bis 15. Oktober 2005 erfolgen. Am 15. Oktober soll die neue irakische Regierung gewählt werden - wir werden sehen. Dieser herrlich optimistische Fahrplan wurde von Amerikanern und Irakern in der ‘Grünen Zone’ entwickelt. Die ‘Grüne Zone’ ist jenes unter Mörserbeschuß liegende Fort in Zentral-Bagdad, dessen Bewohner die Wirklichkeit vor ihren Toren nur selten in Augenschein nehmen - offene Abwasserleitungen, Stadtrandviertel ohne Strom, Verfall.

Da die Wahlbeobachter lieber in Amman Gintonics schlürfen, kann natürlich nicht sichergestellt werden, daß die Wahlergebnisse nicht manipuliert sind. Zum Thema Korruption: Die Tatsache, daß die Wahlkommission unter Leitung des jetzigen “Interims-“Ministerpräsidenten und Ex-CIA-Mitarbeiters Iyad Allawi letzte Woche dabei ertappt wurde, wie sie unbeschriftete Umschläge mit $100 Scheinen unter irakische Journalisten verteilte, legt den Schluß nahe, daß die Wahl nicht ohne Korruption verläuft.

Natürlich werden Amerikaner und Briten die Tatsache hochjubeln, daß tausende Auslands-Iraker ihre Stimme abgeben und in den Schiitenstädten und den Kurdengebieten im Norden eine hohe Wahlbeteiligung herrscht. Immer wieder werden wir zu hören bekommen, das Volk des Irak habe seinen demokratischen Willen zum Ausdruck gebracht, die Freiheit sei endlich im Irak angekommen, die Bomben konnten den Einzug der Demokratie nicht verhindern, usw..

Alles schön und gut. Aber wenn die Sunniten nicht wählen, wird das neue Parlament das irakische Volk sowenig repräsentieren, wie das bei jenen glorreichen Wahlen in früherer Zeit der Fall war. Und es gibt einen weiteren Grund zur Besorgnis. Zwar dauert der Aufstand weiter an, aber die Zahl der Selbstmordattentate ging in den letzten Tagen merklich zurück. Warum, so frage ich mich. Finden sich keine Freiwilligen mehr? Oder sammeln sich die Selbstmordregimenter, spart man sich die Selbstmordattentäter etwa für den großen Tag auf?

Quelle: ZNet Deutschland vom 24.01.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Not even Saddam could achieve the divisions this election will bring

Veröffentlicht am

25. Januar 2005

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