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Vergessen wir Burma nicht

Von John Pilger - ZNet Kommentar 24.01.2005

Kürzlich wollte ich bei ihr anrufen. Ich habe noch ihre Telefonnummer, die sie mir gab, damit ich mich ab und zu melde und wir ein paar Worte wechseln. Diesmal blieb der Versuch fruchtlos. Am anderen Ende machte es sofort klick - Echo der kafkaesken Unterdrückungssituation, in der sie sich befindet.

Im 10. Jahr ihres Hausarrestes ist die Isolation von Aung San Suu Kyis perfekt. Als ich zum letztenmal zu ihr durchdrang, fragte ich sie, was vor ihrem Haus gerade passiert. “Oh, die Straße ist abgeriegelt, überall auf der Straße sind Soldaten… zu meinem eigenen Schutz natürlich”. Sie bedankte sich für die Bücher, die ich ihr geschickt hatte - sie waren von Hand zu Hand durch den Untergrund gewandert. Aber auch der Untergrund hat inzwischen Mühe, den Kontakt aufrechtzuerhalten. “Es ist eine Freude, wieder so breitgefächert zu lesen”. Ich hatte ihr eine T.S. Eliot Sammlung - den liebt sie -, geschickt und Jonathan Coes Politnovelle ‘What a Carve Up!’. Coes leise Ironie dürfte im Rangun der Militärstiefel etwas seltsam klingen.

Suu Kyi sagte mir, sie schätze Biographien von Leuten, die wie sie isoliert leben mussten - Nelson Mandela oder Sacharow. Seither kam nicht mehr viel zu ihr durch. Ich weiß nicht, ob sie ihr altes Kurzwellen-Radio von Grundig noch hat. Inzwischen hat das Regime ihre persönlichen Sicherheitsleute vom Grundstück am Inya-See entfernt. Nachdem man schon ihre engsten Verbündeten gefoltert und ermordet hat, scheint man nun das Gleiche mit ihr vorzuhaben - sobald die Welt wegsieht. “Für die Medien ist Burma nicht sehr oft in Mode”, sagte sie einmal zu mir. “Aber das Wichtige an einem Kampf wie dem unsern, ist, er wird weitergehen und ist nicht mehr rückgängig zu machen - egal, ob der Scheinwerfer an ist oder aus”. Eine heilsame Botschaft von den Lippen einer Frau, die so allein ist. Mögen jene sie zu Herzen nehmen, die schon mutlos werden, wenn die eine Demo, an der sie teilnahmen, die Invasion nicht verhindert.

Ein Glück, dass Aung San Suu Kyi und ihre Demokratiebewegung von einem hartnäckigen internationalen Solidaritätsnetzwerk unterstützt werden. Mein Dank geht an John Jackson und Yvette Mahon von ‘Burma Campaign UK’, die uns stets daran erinnern: Für den oft missbrauchten Ruf nach Demokratie ist Burma der eigentliche Testfall, hier wird sich zeigen, ob ‘Demokratie’ noch etwas heißt. Burma Campaign gibt ein Journal heraus - ‘Metta’. In dessen neuester Ausgabe erinnert Desmond Tutu daran, dass Aung San Suu Kyi bzw. ihre Partei, die National League for Democracy, bei den Parlamentswahlen im Jahr 1990 82% der Parlamentssitze errang. Daraufhin hatte die Militärjunta zur Jagd auf die Sieger geblasen, sie eingesperrt, gefoltert und ermordet. Das Volk wurde zum großen Teil versklavt. “Suu Kyi und das burmesische Volk”, schreibt Tutu, “rufen nach keiner Militär-Koalition, die in ihr Land einmarschiert. Alles worum sie bitten, ist maximaler diplomatischer und wirtschaftlicher Druck, der auf Burmas brutale Diktatoren ausgeübt werden soll.”

Die Reaktion der Öffentlichkeit auf den Tsunami und die Invasion im Irak hat gezeigt: Die Kluft zwischen den Menschen und den Herrschenden, die für sich in Anspruch nehmen, im Namen dieser Menschen zu handeln, ist die weltweit am raschesten sich weitende Kluft überhaupt. Dafür ist Burma ein gutes Beispiel. Die Burma-Politik der EU ist geradezu ekelerregend. Die Europäische Union - Verfechter der “Menschenrechte ‘when the price is right’ - betreibt gegenüber der burmesischen Junta eine schamlose Appeasement-Politik, offensichtlich mit Blick auf den großen asiatischen Markt.

Was passiert heute in Burma? Vergewaltigung ist eine staatliche Waffe gegen Frauen und Kinder bestimmter Ethnien. Zwangsarbeit - laut der ‘Internationalen Labour Organisation’ der UN ein “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” - ist in Burma allgemein verbreitet. Die Junta hält mehr als 1350 politische Gefangene fest - von denen viele routinemäßig gefoltert werden. Bis zu einer Million Menschen wurden gewaltsam von ihrem Land vertrieben. Der halbe Staatsetat geht an das brutale, eitle Militär, das nur einen Feind kennt, nämlich das eigene Volk. Gesundheitsausgaben: fast Null. In Burma stirbt eines von 10 Kindern im Säuglingsalter. Und das alles während die legitime Führung - die einen erdrutschartigen Wahlerfolg errang -, gefangengehalten wird. Jeden Morgen steht Suu Kyi um 4 Uhr früh auf und meditiert über diese schreiende Ungerechtigkeit.

Die EU unterstützt das Regime. Zwischen 1998 und 2002 wurde der Import von Waren aus Burma in die EU auf einen Wert von 4 Milliarden Dollar hochgeschraubt. Im Oktober 2004 fand in Hanoi der Fünfte Asien-Europa-Gipfel (ASEM) statt, an dem 39 Staaten teilnahmen - und zum erstenmal auch Mitglieder der burmesischen Junta. Was taten die Europäer? Boykottierten sie das Treffen? Nein, sie erschienen und hielten den Mund. Frankreichs Präsident Jacques Chirac sagte, er hoffe, es bedürfe keiner massiveren Sanktionen, schließlich “treffen und verletzen sie (die Sanktionen) die Ärmsten” - sprich, die ‘Total Oil Company’, an der die französische Regierung beteiligt ist. Die Total Oil ist der größte ausländische Investor in Burma. Übrigens, die Infrastruktur - Straßen und Schienennetze - für Total Oil entstand, so lauten hartnäckige Beschuldigungen, in Zwangsarbeit. Die Euros von Total Oil Burma erlauben es der Junta, ihre Schreckensherrschaft aufrechtzuerhalten.

“Ich habe noch nie einen EU-Offiziellen getroffen”, so John Jackson, “der geleugnet hätte, dass in Burma ausländische Investitionen und der Militärhaushalt eng zusammenhängen. In derselben Woche, in der das Regime seinen ersten Scheck für eine Gaslieferung an Thailand erhielt - das Gasfeld wird von Total Oil betrieben -, blätterte es 130 Millionen Dollar in bar für den Kauf von 10 MIG-29-Kampffliegern hin”. Jackson weist darauf hin, was für eine Farce die derzeitigen EU-Sanktionen gegen Burma sind.

2003 prügelten Soldaten 100 (!) Suu Kyi Unterstützer öffentlich zu Tode. Daraufhin weitete die EU ihren Visa-Bann auf die Junta aus. Deutschland fror ganze 86 Euro deutschen Vermögens in Burma ein. Im Gegensatz hierzu gelang es der internationalen Burma-Kampagne - mittels ‘direkter Aktion’ - große Firmen wie Premier Oil, Heineken, PepsiCo oder Britisch Home Stores zum Investitionsrückzug aus Burma zu bewegen.

Nach wie vor auf der “dreckigen Liste” stehen Unternehmen wie die Ölgesellschaften Total Oil und Unocal, Rolls Royce, Lloyds of London und sogenannte “Prestige-Reisegesellschaften” wie Bales, Road to Mandalay und Orient Express. Der Reiseführer-Bestseller ‘Lonely Planet’ hat einen Stammplatz auf der Liste. Das Buch ist einfach nur noch lächerlich, seit einer seiner Autoren behauptet hat, Burma “geht es (heute) besser”. Die Junta sei zwar “scheußlich”, aber “politische Gefangene, Folter” sowie “unfreiwilliger staatlicher Arbeitsdienst” seien dort nichts Neues, “das gibt es schon seit Jahrhunderten”.

Das soll er mal den Menschen der antiken Metropole Pagan erzählen. Früher lebten in Pagan 4000 Menschen. Man ließ ihnen ein paar Wochen Zeit, um die Koffer zu packen, dann bulldozerte man ihre Häuser nieder und vertrieb die Leute mit vorgehaltenem Gewehr. Sie wurden auf ein wasserloses Feld getrieben - Staubloch im Sommer und Schlammloch im Winter. Durch diese Enteignung wurde Platz für ausländische Touristen geschaffen. “Ich werde Touristen und Investoren dann begrüßen, wenn wir frei sind”, so Aung San Suu Kyi. Es gibt eine Fülle von Beweisen, dass der ausländische Tourismus dem Regime und keineswegs dem Volk nutzt und dass die touristische Infrastruktur größtenteils durch “unfreiwilligen Arbeitsdienst” (welch idiotischer Euphemismus für Leibeigenschaft bzw. echte Sklaverei) geschaffen wurde.

Vor 9 Jahren ging ich nach Burma, um heimliche Filmaufnahmen zu machen. Es bot sich mir ein Bild wie aus dem England des Charles Dickens. So traf ich bei der Stadt Tavoy, also im Süden, eine Gruppe Menschen, die gerade ein Viadukt für die Eisenbahn bauten. Sie wurden von Soldaten bewacht. Es waren Sklavenarbeiter, darunter auch viele Kinder. Ich beobachtete ein kleines Mädchen in einem langen blauen Kleid, das sich mit einer Hacke abkämpfte, die länger war als sie selbst. Sie hinkte erschöpft hinterher, hatte Schmerzen und hielt sich die Schulter. “Wie alt bist du?” fragte ich. “Elf”, sagte sie. So wie wir die Menschen in Falludscha, in Najaf oder Bagdad, die Menschen in Ramallah und Gaza nicht vergessen dürfen, sollten wir auch dieses kleine Mädchen nicht vergessen. Wir sollten ihr Volk nicht vergessen und dessen Führerin Suu Kyi, die lediglich auf ihre Grundrechte pocht und unsere Unterstützung verdient.

Dieser Artikel erschien im Original in ‘New Statesman’ www.newstatesman.co.uk

www.burmacampaign.org.uk E-mail: info@burmacampaign.org.uk

Quelle: ZNet Deutschland vom 27.01.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: We Should Never Forget Burma

Veröffentlicht am

27. Januar 2005

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