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Sie zeigen uns den lila Stinkefinger

Von Naomi Klein - ZNet 12.02.2005

“Das irakische Volk schenkte Amerika ein großes “Dankeschön” - in einer Weise, wie wir es uns nicht besser hätten wünschen können”. Während ich die Wahlanalyse von Betsy Hart, einer Kolumnistin des Scripps Howard News Service, lese, kommt mir meine verstorbene Großmutter in den Sinn. Sie war halbblind und eine Gefahr hinter dem Lenkrad ihres Chevrolet. Beharrlich weigerte sie sich, die Autoschlüssel abzugeben. Meine Großmutter war überzeugt, die Leute winkten ihr zu und lächelten, wo immer sie fuhr (und die Haustiere Philadelphias plattwalzte). “Die Leute sind ja so freundlich!” Wir mussten sie leider aufklären: “Großmutter, sie grüßen nicht mit der ganzen Hand - nur mit dem Mittelfinger”.

Nicht anders ergeht es Betsy Hart und den übrigen kurzsichtigen Wahlbeobachtern: Sie glauben, das Volk des Irak sende Amerika endlich die Blumen und Candies, auf die sie so lange warten mussten. In Wirklichkeit zeigen die irakischen Wähler ihnen den (lila) Stinkefinger. Das ist das Ergebnis der Wahl: Eine überwältigende Mehrheit der Iraker ging zur Wahl, um die von Amerika installierte Regierung Iyad Allawi rauszuwerfen. Diese hatte sich geweigert, die Amerikaner zum Rückzug aufzufordern. Eine entschiedene Mehrheit von Wählern stimmte für die ‘Vereinigte Irakische Allianz’ (UIA).

Ein zweiter Schwerpunkt des UIA-Programms besteht in der Forderung nach einem “Zeitplan für den Rückzug der multinationalen (Streit-)Kräfte aus dem Irak”. Das Parteiprogramm des siegreichen UIA-Bündnisses enthält noch weitere eindeutige Botschaften - hier die Highlights: “Ein Sozialsystem, das jedem gesunden Iraker von staatswegen einen Arbeitsplatz garantiert.. Die Bürger sollen Grund erhalten, um ein Haus bauen zu können”. Die UIA verspricht, “die Schulden des Irak zu ignorieren, die Reparationszahlungen zu canceln, und den Ölreichtum in Wirtschaftsentwicklungsprojekte zu investieren”.

Kurz gesagt, die Iraker haben sich an der Wahlurne gegen jene radikale Politik des ‘freien Markts’ entschieden, die ihnen der damalige US-Chefgesandte Paul Bremer aufzwang - und die das kürzliche Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) weiter zementierte.

Werden jene, die sich nicht mehr einkriegen, weil die Irakis so massenhaft an die Wahlurnen strömten, diese demokratisch legitimierten Forderungen unterstützen? Ich bitte Sie. “Man setzt keinen Zeitplan”, so George W. Bush vier Tage, nachdem die Iraker exakt dafür stimmten. Der britische Premier Tony Blair bezeichnet die Wahlen zwar als “magnifizent”, einen festen Zeitplan lehnt aber auch er rundweg ab. Die UIA verspricht, den öffentlichen Sektor auszuweiten, das Öl zu behalten und die Schulden nicht zurückzuzahlen.

Diesen drei Forderungen dürfte es ähnlich ergehen (wie dem festen Zeitplan) - zumindest, wenn es nach Adel Abd al-Mahdi geht. Al-Mahdi ist der irakische Finanzminister - und plötzlich als neuer irakischer Regierungschef im Gespräch. Al-Mahdi ist sozusagen das trojanische Pferd der Bush-Administration in der UIA (Sie haben doch nicht etwa geglaubt, die wetten nur auf Allawi?). Im Oktober sagte al-Mahdi bei einer Versammlung des American Enterprise Institute, er plane, “die Staatsunternehmen (des Irak) umzustrukturieren und zu privatisieren”. Im Dezember reiste er erneut nach Washington, um seine Pläne für ein neues Ölgesetz bekanntzugeben - ein Gesetz, das “für amerikanische Investoren sehr vielversprechend sein wird”.

Es war al-Mahdi, der wenige Wochen vor der Wahl die persönliche Oberaufsicht über eine Reihe von Deals mit Shell, ChevronTexaco und BP hatte, es war al-Mahdi, der den kürzlichen Einsparungs-Deal mit dem IWF aushandelte. Zum Thema Truppenabzug hört sich al-Mahdi ganz anders an als sein Parteiprogramm - eher wie Dick Cheney, der auf Fox News verkündete: “Wann die Amerikaner gehen werden, hängt davon ab, wann unsere (Streit-)Kräfte bereit dafür sind und davon, wie der Widerstand auf die Wahlen reagiert”. In puncto Scharia soll al-Mahdi andererseits so ziemlich auf der Seite der Geistlichkeit stehen.

Die Wahlen im Irak wurden immer wieder verschoben - während Besatzung und Widerstand immer tödlichere Formen annahmen. Nach zwei Jahren des Blutvergießens, der Bestechung und des Fingerhakelns im dunklen Hinterzimmer scheint man folgenden Deal getroffen zu haben: Die Ajatollahs sind für die Familie zuständig, Texaco kriegt das Öl und Washington seine dauerhaften Militärbasen (man könnte also von einem ‘Öl für Frauen’ Programm sprechen). So gewinnen alle - außer den Wählern natürlich. Sie riskierten bei der Stimmabgabe ihr Leben - zum Dank ist das politische Paket, das sie bekommen, ein ganz anderes.

Aber keine Sorge. Am 30. Januar ging es ja nicht darum, was die Iraker wählen sondern um die Wahl selbst - so wird uns erklärt. Vor allem sollte der bravouröse Mut der Iraker uns Amerikanern wieder zum rechten Gefühl für unseren Krieg verhelfen. Offensichtlich besteht der eigentliche Sinn der Wahl darin, den Amerikanern zu beweisen, dass - um es mit George Bushs Worten auszudrücken -, “das irakische Volk seine eigene Freiheit zu schätzen weiß”. Seltsamerweise scheint das neu. Mark Brown, Kolumnist der Chicago Sun-Times, schreibt: Diese Wahl ist “das erste klare Anzeichen, dass die Freiheit dem irakischen Volk vielleicht wirklich etwas bedeutet”. Anderson Cooper von CNN beschreibt es in der Sendung ‘On The Daily Show’ folgendermaßen: “(Es ist) das erstemal, dass wir irgendeine Vorstellung davon bekommen, ob sie bereit sind, gewissermaßen vorwärtszugehen und die Dinge in Angriff zu nehmen”.

Schwer zu überzeugen, diese Leute. Der Aufstand der Schiiten gegen Saddam im Jahr 1991 reichte offensichtlich nicht aus, ihnen zu beweisen, dass die Iraker “die Dinge in Angriff” nehmen, um frei zu sein. Die Demonstration der 100.000 vor einem Jahr, bei der sofortige Wahlen gefordert wurden, konnte sie ebensowenig überzeugen wie die spontanen Kommunalwahlen, die die Irakis wenige Monate nach der Besatzung zu organisieren versuchten. Beides hatte Bremer rundweg niedergeknüppelt.

Im amerikanischen Fernsehen erscheint die Besatzung des Irak wie eine Endlos-Folge von ‘Fear Factor’ 1 . Die Iraker müssen schwerere und immer schwerere Hindernisse überwinden, um zu beweisen, dass sie ihr Land wirklich, wirklich zurück wollen: Ihre Städte werden eingeebnet, sie werden in Abu Ghraib gefoltert und an Checkpoints erschossen, ihre Journalisten werden zensiert, Wasser und Strom abgeschaltet. Aber das alles ist nur ein Vorgeschmack auf den eigentlichen Härtetest: Zickzacklauf zum Wahllokal unter Kugeln und Bomben.

Zum Schluss gelang es ihnen, die Amerikaner zu überzeugen: Wir Iraker wollen wirklich Freiheit - wirklich, wirklich. Welcher Preis wird ihnen winken? Das Ende der Besatzung, wie von den Wählern gefordert? Machen Sie sich nicht lächerlich - die US-Regierung unterwirft sich keinem “künstlichen Zeitplan”. Winkt als Preis vielleicht “Jobs für alle” - das Wahlversprechen der UIA? Sozialistischen Unsinn dieser Art kann man doch nicht herbeiwählen. Stattdessen bekommen die Iraker die Tränen (des Fox-Talkmasters und Journalisten) Geraldo Riveras (“Ich fühlte mich wie eine Heulsuse”), Laura Bushs mütterlichen Stolz (“Es war so bewegend für den Präsidenten und mich zu sehen, wie die Leute mit ihren lila Fingern [aus dem Wahllokal] kamen”) und Betsy Harts aufrichtige Entschuldigung, dass sie je an ihnen zweifelte (“Wow - wie fühle ich mich widerlegt”). Genügt doch, oder? Schließlich hätten die Iraker ohne die Invasion nie die Freiheit bekommen, für ihre eigene Befreiung zu stimmen - selbst wenn man ihre Wahl auf ganzer Linie ignorieren wird. Denn der eigentliche Preis ist die Freiheit, besetzt zu sein. Wow - wie fühle ich mich widerlegt.

Anmerkung d. Übersetzerin:

1 ‘Fear Factor’ ist eine Reality-Show, bei der 6 Kandidaten teils brutalen Härtetests ausgesetzt werden. Wer sich einem der sich steigernden Stunts verweigert, scheidet aus. Dem Sieger winkt ein Geldpreis.

Quelle: ZNet Deutschland vom 14.02.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Getting the Purple Finger”

Veröffentlicht am

20. Februar 2005

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