Guten Morgen Gruß an die israelische LinkeVon Gideon Levy - ZNet 16.02.2005 Einen wunderschönen Guten Morgen an die israelische Linke. Nach einer halben Ewigkeit im Winterschlaf, hört man nun, wie sie langsam erwacht. Erst wenn ihr der Wind wieder ins Gesicht weht - nicht etwa, weil sie aufgrund eigener Aktionen dafür verantwortlich wäre - wagt es die außerparlamentarische Linke aus ihrem Bau herauszukommen, in den sie sich vor mehr als vier Jahren verkrochen hatte. Vielleicht sollte man die Anzeichen dieses Erwachens begrüßen. Eins aber ist unabdingbar: sie zur Rechenschaft ziehen, für ihr langes, beschämendes und feiges Schweigen, wodurch sie die Straßen den Rechten und Siedlern überließ. Seit mehr als vier Jahren nun, konnte der Staat Israel in den besetzten Gebieten tun und lassen was er wollte. Kritik aus dem eigenen Land gab es dabei so gut wie gar nicht. Es wurde gemordet, zerstört, entwurzelt und mit einer Brutalität vorgegangen, ohne dabei auf merklichen Protest zu stoßen. Die Welt sah, was vor sich ging und machte sich lautstark bemerkbar. Nur wir nicht. Als für Israel eine alternative Sicht der Dinge, ein deutlich hörbarer Aufschrei des Protests, zwingend notwendig gewesen wäre, war, mit der Ausnahme einiger kleiner und mutiger Organisationen, praktisch nichts dergleichen zu vernehmen, nicht mal ein Mucks. Demnach tut man sich also schwer denen zu vergeben, die wegsahen und sich in Gleichgültigkeit hüllten und dadurch ein Israel abzeichneten, das in geschlossen Reihen hinter seiner Regierung steht. Das dumpfe Geräusch, das man nun von Seiten der linken Zionisten hört, kommt zu spät, als dass es sie aus ihrer Verantwortung entlassen könnte. Indem sie sich bis jetzt ausschwiegen, sind sie zum Helfer dessen geworden, was die Regierung in diesen grässlichen Jahren veranlasst hat. Nachdem sich die Arbeiterpartei praktisch in Luft aufgelöst hatte und die anderen Organisationen der zionistischen Linken vor Angst erstarrt und zum Handeln nicht mehr fähig waren, blieben die Siedler der einzig aktive Teil in der Gesellschaft. Dadurch war die Regierung im Stande, mit ihrer brutalen Politik fort zufahren und die Siedler konnten sich ununterbrochen ihrer Sache widmen. Hinter der Deckung eines Premiers aus dem rechten Lager, hat nun die Linke, als schwacher, blasser Schatten Ariel Sharons, plötzlich bemerkt, dass sie auch noch etwas zu sagen hat. Wie immer waren die Schriftsteller der Avantgarde, an der Spitze der Friedensbewegung, die ersten die sich zu Wort meldeten. In einem Aufruf vor ein paar Tagen plädierten Amos Oz, A.B. Yehoshua, David Grossman, Meir Shalev, Agi Mishol und einige weitere zur obersten Garde gehörenden Schriftsteller für einen “Gewissens- und Sinneswandel”. Welcher Wandel? Welches Gewissen? Sie forderten außerdem die Wiederaufnahme der politischen Verhandlungen, was nach Sharm el-Sheikh schon ein sehr waghalsiger Schritt war, und schlugen vor, die Regierung solle das Leid des palästinensischen Volkes anerkennen, das, selbstverständlich im Gegenzug, das unsrige anerkennen würde. Eine Gruppe Filmemacher und Musiker schloss sich ihnen darin an, allerdings mit einem Unterschied. Zumindest in dem gemeinsamen Aufruf von Daniel Barenboim, Pinhas Zuckerman und Zubin Mehta findet sich das Eingeständnis, dass das Leid der palästinensischen Bevölkerung direkte Folge der Besetzung ist, deren Ende sie unmissverständlich fordern. Die Schriftsteller hingegen, waren nicht bereit so weit zu gehen. Es ist kaum zu glauben, dass nach fast 38 Jahren der Besetzung und vier Jahren Intifada, die führenden Schriftsteller der Friedensbewegung die Verantwortung für das, was geschieht, immer noch zu gleichen Teilen zwischen den beiden Seiten aufteilen. Selbstgerecht schrieben sie: “Wir sind der Ansicht, dass beide Seiten einen Teil der Verantwortung für das Unrecht, das Leid und die tragische Situation tragen, in der beide Nationen gefangen sind.” Der Ansatz “wir sind alle schuldig” ist genauso empörend wie das ewiglich andauernde Schweigen, das einfach nicht aufhören wollte. Wie bricht man das Schweigen der Friedensbewegung? Sowohl Besatzungsmacht als auch Besetzten, Mächtigen und Schwachen das gleiche Maß an Verantwortung beimessen. Die Soldaten an den Kontrollstellen wie auch die Passanten, deren Leben von der Willkür der Soldaten abhängt, zu einem “Gewissens- und Sinneswandel” auffordern, noch bevor die Kontrollstelle aufgegeben wird. Mörder und Ermordete dazu anhalten, sie mögen sich in die Arme fallen. Parallelen ziehen, zwischen einer Nation deren wirtschaftliches, kulturelles, gesellschaftliches und emotionales Leben völlig zerstört ist und einer Nation, in der die große Mehrheit der Bevölkerung weiterleben kann, so als ob nichts geschehen sei. Ein Volk, das eingesperrt und erniedrigt wurde, gegen ein freies Volk in seinem eigenen, souveränen Staat. Selbst wenn man die Verluste außer Acht lässt - die auf palästinensischer Seite dreimal so hoch sind - bleibt kein Platz für Vergleiche, weder für das Ausmaß des Leids noch für das Maß an Verantwortung. Erkennen die Schriftsteller denn nicht, dass der entscheidende Teil der Verantwortung auf der Seite der Besatzer liegt, weil sie die Urheber des Unrechts sind, oder konnten sie den Mut nicht aufbringen so viel zuzugeben, um die Leserschaft nicht zu verärgern? Gleich nachdem die Schriftsteller aus ihrem Dornröschenschlaf erwachten, befreite sich auch die Peace Now-Bewegung aus ihrer Ohnmacht. In zwei weiteren Wochen, so wurde behauptet, wird sie wieder auf den Straßen und Plätzen anzutreffen sein. “Die Koalition der Mehrheit”, der Dachverband der Linken und Protestgruppen (widersprüchliche Bezeichnungen, wenn es solche überhaupt je gab), wird eine Massendemonstration zusammenrufen. Warum hat man sich dazu nicht schon eher entschlossen, als es in den düsteren Zeiten der Morde und Zerstörungen mehr denn je von Nöten war? Die Erklärungen und Entschuldigungen hierfür sind lächerlich: Der Wunsch einen größtmöglich gemeinsamen Nenner beizubehalten und die Angst zu Versagen. Das größte Versagen aber liegt im Schweigen. Es ist jetzt unmöglich, die Frage, wo denn Alle waren, als 346 Kinder durch israelische Streitkräfte getötet wurden, nicht zu stellen. Was hielt sie denn vom Demonstrieren ab, als 112 polizeilich gesuchte Männer ohne ordentliche Verhandlung ermordet wurden und weitere 521 unschuldige Passanten dabei umkamen? Die Zerstörung von halb Rafah, Olivenbäume, die im Westjordanland entwurzelt werden, der Bau der Mauer, die an die Apartheid erinnernden Straßen, die ausschließlich Juden vorbehalten sind, die über Jahre andauernde Einkerkerung einer ganzen Nation in einem Gefängnis aus Kontrollstellen - die meisten Künstler oder aber die “Koalition der Mehrheit” rüttelte all dies nicht aus ihrem Schlaf. Sie blieben stumm. Sie hatten Angst und sie haben sich mitschuldig gemacht. Die Stimmen der Andersdenkenden, die Stimmen der Protestbewegungen und der Schriftsteller haben in einer Gesellschaft eine lebenswichtige Aufgabe, die sehr viel weitreichender ist, als bloßer Kommentar. Sie haben die Aufgabe den Weg für den pluralistischen und demokratischen Charakter des Staates zu ebnen und diesen zu schützen. Nach viereinhalb Jahren aber, in denen die Gesellschaft mit einer einheitlichen Stimme sprach, zeigt die schändliche Stille von Seiten der Linken, die Friedensbewegung, die nur unter der Schirmherrschaft des Premierministers erwacht, das sie eine feige und verängstigte Bewegung ist. Quelle: ZNet Deutschland vom 20.02.2005. Übersetzt von: Stefan. Orginalartikel: “Good Morning To The Israeli Left” Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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