PRO ASYL fordert ein Ende der Bagatellisierung geschlechtsspezifischer Verfolgung
Internationaler Frauentag am 08. März 2005
Asyl für Frau N.!
Von Marei Pelzer
Mit dem Zuwanderungsgesetz ist die Möglichkeit eines effektiveren Schutzes von Frauen vor nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung geschaffen worden. Anlässlich des internationalen Frauentages fordert PRO ASYL nun das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Politik auf, die gesetzlichen Vorgaben praktisch wirksam werden zu lassen. Denn die bisherige Umsetzung der neuen Rechtslage ist unzureichend.
Dazu gehört es, dass die Bedrohungen und drakonischen Strafen, denen sich Frauen in manchen Staaten bei Nichtbeachtung von Kleidungsvorschriften oder Moralvorstellungen ausgesetzt sehen, nicht länger bagatellisiert werden. Frauen, die sich dem Sittenkodex bestimmter islamischer Staaten nicht beugen, wird von Bundesamt und Gerichten bescheinigt, es sei zumutbar, sich der zur bloßen “Beeinträchtigung” erklärten Bedrohung zu unterwerfen.
Im Fall einer geschiedenen alleinerziehenden Iranerin hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf in einem Urteil vom 10. November 2004 (Az. 5K4551/04.A) gezeigt, was sich alles hinter dem Begriff der hinzunehmenden “Beeinträchtigungen” verbirgt, mit dem Frauen jeder Schutz verweigert wird. Frau N. hatte 1997 ihren ersten Asylantrag gestellt. Nach ihren Angaben hatte sie sich für die Monarchisten und für die Frauenrechte engagiert und war deshalb ins Visier der Sicherheitskräfte geraten. Nachdem sie zunächst ihre damals sechs Jahre alte Tochter ins Ausland gebracht hatte, floh sie selber. Im Erstasylverfahren wegen eines Fristversäumnisses gescheitert, wurde ihr vom Bundesamt Ende 2001 der Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugestanden. Nachdem der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Anfechtungsklage eingelegt hatte, blieb Frau N. im weiteren Verfahren chancenlos.
Frau N. hat in vielfältiger Weise gegen iranische Normen verstoßen. Weder sie noch ihre Tochter tragen das Kopftuch. Frau N. hatte eine uneheliche Beziehung. Im Iran drohen ihr deswegen bis zu 100 Peitschenhiebe. Frau N. muss bei einer Rückkehr zudem damit rechnen, dass sie das Sorgerecht für ihre Tochter an ihren geschiedenen Ehemann oder dessen Verwandte verliert. Heiratet sie wieder, verliert sie das Sorgerecht auf jeden Fall. Die 14-jährige Tochter hat die persische Schriftsprache nicht erlernt. Sie ist in Deutschland herangewachsen, gewohnt, ihre eigene Meinung zu vertreten und aus eigenem Entschluss - anders als ihre Mutter - zum katholischen Glauben übergetreten.
Das VG Düsseldorf mutet ihr und ihrer Mutter einiges zu. Im Urteil heißt es: “Auf besonders strengen (islamischen) Moralvorstellungen fußende Verbote (und entsprechend drakonische Strafen) sind - jedenfalls nach derzeitigen Verhältnissen im Iran und zur Religionsfreiheit als Rechtsgut ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - als Ordnungs- bzw. strafrechtliche Phänomene ‘sowohl von den Betroffenen als auch von der Bundesrepublik Deutschland’ unter asylrechtlichen Aspekten ‘hinzunehmen’, solange nicht die unverhältnismäßig harte Strafe in Verbindung mit ‘weiteren Indiztatsachen’ den Schluss gestattet, mit der Strafe sei mehr beabsichtigt als (‘nur’) die Ahndung eines Verstoßes gegen die öffentliche Moral.”
Im Klartext: Dass der Iran Verstöße gegen Moralvorstellungen und Bekleidungsvorschriften mit brutalen Strafen bedroht und Frauenrechte missachtet, genügt allein nicht. Weiter heißt es im Urteil: “Es ist der Klägerin im übrigen zuzumuten, sich nach Rückkehr in den Iran zur Vermeidung von Repressalien den dort geltenden Bekleidungsvorschriften zu unterwerfen.” Deutsche Verwaltungsgerichte verlangen die bedingungslose Unterwerfung unter den Moralkodex eines Staates, der sich die Unterwerfung von Frauen zum Programm gemacht hat.
Die von einer Gutachterin geschilderten Probleme, die Frau N. als alleinerziehende geschiedene Frau im Iran bei der Rückkehr haben würde, etwa eine Wohnung oder eine Arbeit zu finden, träfen “diese Bevölkerungsgruppe (der alleinerziehenden geschiedenen Frauen, PRO ASYL) allgemein”, so das Gericht. Mit der Hilfe von Verwandten werde dies schon gehen.
Der Umgang des Gerichts mit der Rückkehrgefährdung wegen ihrer außerehelichen Beziehung mit einem Partner in Deutschland ist skandalös. Das Gericht sieht es nicht als beachtlich wahrscheinlich an, dass dies im Iran bekannt werden würde: “Soweit die Klägerin befürchten mag, ihre Tochter möge bei einer gemeinsamen Rückkehr in den Iran von diesen privaten Lebensumständen der Klägerin unbedacht berichten, ist es ihr zuzumuten, die Tochter vor den Gefahren zu warnen, die der Mutter eventuell drohen könnten, falls ihr hiesiger privater Lebenswandel dort bekannt würde.” Mit dieser gewaltigen Bürde des Schweigens soll die 14-Jährige in den Iran zurück geschickt werden.
Eingehend auf den drohenden Sorgerechtsverlust bagatellisiert das Gericht den patriarchalischen Charakter der entsprechenden Bestimmungen des iranischen Rechts. Die behördlichen Regelungen des Sorgerechts für minderjährige Kinder für den Fall der Trennung der Eltern lägen im Interesse des Kindeswohls. Nach iranischem Familienrecht sei es vorgesehen, die Sorgerechtsfrage “unter Beachtung der durch das islamisch-patriarchalische Herkommen geprägten - das Kindeswohl nach den gegebenen kulturellen Verhältnissen im Herkunftsstaat mitbestimmenden - Grundregeln nach den Verhältnissen des Einzelfalls gem. dem Kindeswohl zu regeln.” Da das Kindeswohl also theoretisch berücksichtigungsfähig sei, dürfe man nicht einfach davon ausgehen, dass eine Sorgerechtsentscheidung das Recht auf Achtung des Familienlebens, verbrieft in Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, außer Acht lassen werde. Statt Schutz des Kindeswohls eine Theorie des Schutzes.
Vor wenigen Wochen erst konnte in letzter Minute die Abschiebung einer zum evangelischen Glauben konvertierten Iranerin verhindert werden, der im Iran wegen Ehebruchs die Steinigung droht. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Wieder ist eine emanzipierte und politisch aktive Frau in Gefahr, mit deutscher Hilfe in die Unterwerfung abgeschoben zu werden. Selbst wenn Frau N. Glück hätte und ihr schwere Körperstrafen erspart blieben: Wie soll ein 14-jähriges Mädchen, das mehr als die Hälfte seines Lebens in Deutschland verbracht und sich integriert hat, sich im Iran zurechtfinden?
Die kaum verhohlene Solidarisierung deutscher Richter mit Moralkodizes patriarchalisch-fundamentalistischer Staaten muss ein Ende haben. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss sich vor dem Hintergrund des neuen Zuwanderungsgesetzes mit der Frage befassen, wo in Sachen Anpassung und Unterwerfung die Grenze des Zumutbaren verläuft.
Ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 27.12.2004 veröffentlichtes “Prüfungsschema zur geschlechtsspezifischen Verfolgung” lässt wenig Optimismus aufkommen, dass sich künftig viel verändern könnte. Auch hier steht an erster Stelle bei der Feststellung, ob eine geschlechtsspezifische Verfolgung vorliegt, die Prüfung der Frage, ob es zumutbar sei, sich “Beeinträchtigungen” zu unterwerfen.
Quelle:
PRO ASYL e.V.
vom 08.03.2005.