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Gedenken an Oscar Romero und Rachel Corrie

Von Mark Chmiel - ZNet 24.03.2005

Der 24. März war der 25. Todestag des salvadorianischen Erzbischofs Oscar Romero. Er wurde ermordet, während er die Messe las. Einen Monat zuvor sandte er einen Brief an den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, in dem er ihn beschwor, die US-Militärhilfe für El Salvador einzustellen. Diese Militärhilfe führe zu Massakern an Hunderten Unschuldigen. Carter ignorierte den Brief. In dieser Zeit kursierten in El Salvador Botschaften wie diese: ‘Sei ein Patriot und töte einen Priester’.

In einer seiner letzten Ansprachen richtete Romero einen flammenden Appell an das salvadorianische Militär - an die Leute, die Verbrechen an ihren Landsleute begingen: “Im Namen Gottes und im Namen der leidenden Menschen, deren Klagen mit jedem Tag drängender zum Himmel aufsteigen, flehe ich Sie an, ich beschwöre Sie und befehle Ihnen im Namen Gottes: Stoppen Sie die Repression!”

Romero war zum Erzbischof gekürt worden, weil man ihn für einen Leisetreter hielt. Aber nachdem mehrere Priester seiner Diözese ermordet wurden, fiel es Romero buchstäblich wie Schuppen von den Augen. Weil er für das Volk aufgestanden ist, sehen viele Katholiken in ganz Lateinamerika in ihm einen Heiligen. Romero nutzte seinen Status und seine Befähigung, um das Leben von Campesinos, Arbeitern und Menschenrechtlern zu schützen. Er sprach sich offen gegen die Politiker, gegen Folterer und Massenmörder aus. Zudem wandte er sich gegen institutionalisierte Habgier und den Status quo der Gewalt, der darin besteht, dass einige Wenige die Mehrheit des Volkes um die Mittel für ein anständiges Leben bringen.

Es stimmt nachdenklich, dass seit jenem Schicksalstag in El Salvador schon 25 Jahre vergangen sind. Drei Jahre nach seinem Tod kam ich mit dem El Salvador des Oscar Romero persönlich in Berührung. Damals brachte der amerikanische Priester der katholischen Innenstadtgemeinde von Louisville, Kentucky, ein paar verhüllte Salvadorianer mit. Der Priester und die Verhüllten erzählten uns von dem großen Unrecht, das in El Salvador vor sich ging und über ihre Fluchtgründe. Die amerikanische Einwanderungsbehörde sah in ihnen illegale Ausländer. Die Leute liefen Gefahr, in die blutige Heimat zurückgeschickt zu werden. Die Sankt-Williams-Kirche gewährte einer salvadorianischen Familie Asyl. US-Bürger wie wir waren nicht in der Lage, die Finanzierung der Repression in El Salvador zu stoppen, zumindest aber konnten wir dieser einen Familie aus El Salvador Sicherheit und unsere Gastfreundschaft anbieten.

Vor einer Woche jährte sich auch der Todestag Rachel Carries - zum zweitenmal. Die amerikanische Universitätsstudentin wurde vom Bulldozer eines israelischen Soldaten getötet, als sie für die Internationale Solidaritätsbewegung (ISM) im Gazastreifen arbeitete. Sie hatte versucht, die illegale Zerstörung eines Hauses zu verhindern - des Hauses einer palästinensischen Arztfamilie. Rachel hatte nicht lange gebraucht, um den Horror zu begreifen, dem sich die Palästinenser unter der brutalen Militärbesatzung ausgesetzt sehen.

So wie vor 25 Jahren die Regierung El Salvadors wird auch die brutale (israelische) Militärbesatzung von Amerika unterstützt. In einer E-mail an ihre Familie - kurz vor ihrem Tod - beschreibt Rachel die empörende Gleichgültigkeit der Israelis gegenüber palästinensischem Leben: “Es muss aufhören. Meiner Ansicht nach täten wir alle gut daran, alles stehen und liegen zu lassen und unser Leben dafür einzusetzen, dass es aufhört. Ich glaube nicht mehr, dass das extremistisch ist. Ich tanze zwar immer noch gerne herum (zur Musik von) Pat Benatar, ich mag Jungs und entwerfe gern Comics für Kollegen, gleichzeitig will ich aber, dass es aufhört. Ich kann es einfach nicht glauben, fühle Horror - und Enttäuschung. Ich bin so enttäuscht, dass dies die miese Realität unserer Welt ist und wir daran beteiligt sind”.

Einige haben versucht, Rachel Corrie zu verteufeln. Viele Menschen auf der ganzen Welt aber sehen in ihr ein Licht in der Dunkelheit - so, wie viele Lateinamerikaner in Oscar Romero. Im Herbst 2003 war ich für die ISM in Rafah. Damals erfuhr ich, dass einige arabische Familien ihre neugeborenen Töchter “Rachel” getauft haben - zum Gedenken an eine amerikanische Studentin, die für die Palästinenser einstand.

Romero war Anfang 60, als er starb. Er hätte vernünftig sein können und den Weg des Schweigens gehen - siehe Papst Pius XII im Zweiten Weltkrieg. Er entschied sich für einen anderen Weg. Romero hatte erkannt, was die historische Krise seines Landes von ihm erforderte: “Es ist meine Arbeit, die Niedergetrampelten und die Toten aufzusammeln, alle, die bei dieser Verfolgung der Kirche auf der Strecke bleiben”.

Rachel Corrie war 23, als sie getötet wurde. Sehr viel früher als Romero hatte sie in ihrem Leben erkannt, zu welch üblen Taten Menschen und Nationen fähig sind. In einer Mail an ihre Familie schrieb sie: “Wenn ich mit palästinensischen Freunden zusammen bin, fühle ich den Horror in geringerem Maße, als dann, wenn ich versuche, meiner Rolle als Menschenrechtsbeobachterin und Dokumentatorin gerecht zu werden oder wenn ich mittels direkter Aktion Widerstand leiste. Sie (die palästinensischen Freunde) sind ein Vorbild, denn es gelingt ihnen, langfristig durchzuhalten. Mir ist klar, dass diese Situation sie auf jeder Ebenen betrifft - letztendlich wird sie sie vielleicht fertig machen - dennoch, ihre Stärke ist beeindruckend, wie sie es schaffen, soviel von ihrer Menschlichkeit zu bewahren, sie lachen, sind großzügig, verbringen viel Zeit mit der Familie, und das auf dem Hintergrund dieses unglaublichen Horrors in ihrem Leben und der konstanten Todesgegenwart… Was ich zumindest erwähnen sollte, ich habe herausgefunden, dass Menschen selbst unter widrigsten Bedingungen in der Lage sind, sich ein gewisses Maß an Stärke und einen Rest Menschlichkeit zu bewahren - auch das habe ich nie zuvor gesehen. Das Wort dafür ist, denke ich, Würde”.

Bei der letzten US-Wahl war viel von republikanischer Religiosität die Rede, von Wählern, die moralischen Werten den Vorrang geben. Oscar Romero und Rachel Corrie haben sehr unterschiedlich gelebt. Es gibt keine religiöse Verbindung zwischen ihnen (im Sinne von Ritualen, Gruppenidentität oder Dogmen). Was beide verbindet, ist ein gemeinsamer moralischer Wertekanon, eine Art soziale Spiritualität (Solidarität mit den Opfern) und der Mut, den Tätern entgegenzutreten.

Inzwischen befinden wir uns schon im dritten Jahr des Irakkriegs: Lasst uns Grenzen und Zäune überwinden, betreten wir Neuland, das wir nicht betreten sollen. Hören wir auf die gequälten Schreie der Verstümmelten und Ermordeten - in diesem schmutzigen, verrotteten Krieg. Lasst uns menschlich bleiben in den schlimmen Situationen, die uns noch bevorstehen. Und hoffen wir, dass noch mehr Menschen - so wie Bischof Romero - ihr Schweigen brechen und rufen: “Stoppt die Repression!” Hoffen wir, dass sie wie Rachel Corrie beharren: “Es muss aufhören!”

Mark Chmiel ist Dozent an der Universität von St Louis und Autor des Buchs: ‘Elie Wiesel and the Politics of Moral Leadership’ (Temple University Press, 2001)

Quelle: ZNet Deutschland vom 23.03.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Remembering Oscar Romero and Rachel Corrie

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Veröffentlicht am

28. März 2005

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