Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Ist der NPT-Vertrag nur ein Stück Papier?

Von Ulrich Gottstein

Im Mai dieses Jahres wird in New York die 7. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages stattfinden, und nicht nur die Repräsentanten von über 1.000 Anti-Atomwaffenorganisationen, so auch der IPPNW, sondern auch die “Bürgermeister für den Frieden” unter Leitung des Mayors of Hiroshima werden versuchen, unsere gemeinsame Ablehnung der Atomwaffenrüstung deutlich auszusprechen. …

Wenn man, wie z.B. Horst-Eberhard Richter und ich und manche ältere Kollegen/innen, nunmehr seit 25 Jahren mehr oder weniger täglich für die Ziele unserer IPPNW engagiert sind, dann schaut man auch in die Vergangenheit, um die gefährliche Gegenwart sich selbst und vor allem den jüngeren Kollegen/innen und Mitmenschen klar zu machen. Klar zu machen nämlich, dass Sachverstand, Klugheit, positive Visionen und Mitmenschlichkeit in der großen Politik sehr oft fehlen. Zum eigenen Vorteil wird von gewissenlosen Politikern das Elend Tausender oder gar Millionen anderer in Kauf genommen.

Ich war bereits 12 Monate in englischer Kriegsgefangenschaft, als wir im August 1945 von den Atombombenexplosionen über Hiroshima und Nagasaki erfuhren. Hunderttausende von unschuldigen Menschen starben sofort oder im Verlauf von Wochen, Monaten, Jahren. Das nukleare Wettrüsten startete sofort nach dieser “eindrucksvollen Kriegsbeendigung”. Bereits 1949, also nur vier Jahre später, hatten die Sowjetunion Atomwaffen, 1953 Großbritannien, 1964 Frankreich und China, 1967 Israel, 1998 Indien und Pakistan. Südafrika hatte ebenfalls erfolgreich und geheim etwa 4 Atomwaffen gebaut, aber vor Ende des Apartheidregimes Gott sei Dank zerstört.

Was die meisten Menschen heute nicht mehr wissen ist, dass von 1957 bis 1984 jede einzige Woche 1-3 Atombombenexplosionen an verschiedenen Orten der Erde stattfanden, vorwiegend in den USA und der Sowjetunion. All diese Explosionen fanden überirdisch statt, also mit riesiger Wolke und radioaktivem fall-out. Wer war dafür verantwortlich? Die klugen Physiker und Militärs und Politiker, klug, aber ohne Ethik und ohne Gefühle für Mitmenschlichkeit.

1962 gründeten deswegen Prof. Bernard Lown mit mehreren amerikanischen Kollegen die “US-Physicians for Social Responsibility”, um sowohl soziale Missstände anzusprechen, als auch besonders auf die riesigen Gefahren durch die radioaktive Verseuchung hinzuweisen und auf einen Teststop zu drängen. Aber erst nach dem Ausbruch wütender amerikanischer Mütter und der Bevölkerung, nachdem bei einer Sammelaktion kindlicher Milchzähne radioaktives Caesium gefunden worden war, wurde die Politik aktiv. Innerhalb weniger Wochen wurde 1965 zwischen den USA und der UdSSR, zwischen Kennedy und Chruchtschow, ein “partieller Teststop verhandelt und als ” PTBT = Partial Test Ban Treaty” beschlossen.

Sollten nun Vernunft und Ethik obsiegt haben? Leider nein, denn das Testen ging in gleicher Häufigkeit weiter, allerdings nun unterirdisch. Also weiteres nukleares Wettrüsten, obgleich 1970 der 1. internationale Nuklearwaffensperrvertrag erarbeitet und von vielen Nationen unterschrieben worden war, der u.a. die Weitergabe von Atomwaffen und Technologie verbot, und in dem sich die Atomwaffenmächte zur Reduzierung ihres Arsenals verpflichteten. Damals waren ” alle Welt” und besonders auch wir Deutschen froh und glücklich, dass nun das schreckliche nukleare Wettrüsten aufhören und hoffentlich allmählich die Gefahren nachlassen würden. Aber wieder war dies eine Fehlhoffnung. Bis zum Jahr 1989 wurden 1.988 Atomwaffentests durchgeführt, weitere 94 bis zum Jahr 2004.

Dieser 1. Atomwaffensperrvertrag war also kaum sein eigenes Papier wert, denn die Produktion von Atomsprengköpfen ging unverändert weiter. 1985 besaßen die USA und die Sowjetunion je mindestens 30.000 Atomwaffen, bis heute stellten die USA 70.000 Atomsprengköpfe her und gaben dafür über 4.000 Milliarden Dollar aus. Die Sowjetunion -und später auch Russland - stellten 50.000 Atomwaffen her.

Wozu dieser Wahnsinn, der zu mindestens 10-facher Vernichtung der gesamten Erdoberfläche führen konnte! In dieser gefährlichen Zeit, in der sich die USA und die Sowjetunion die gegenseitige Vernichtung androhten und das zynischerweise “Abschreckung” (deterrence) nannten, initiierte 1980/81 Prof.Lown mit Kollegen in Boston und dann mit dem Moskauer Kardiologen Chazow die “internationale Ärztebewegung zur Verhütung eines Atomkriegs- IPPNW”, uns allen bekannt.

Unsere weltweiten blockübergreifenden Aufklärungsveranstaltungen, unsere Forderungen zum sofortigen Teststopp und zur Einstellung der Produktion von weiteren Atomwaffen - wir nannten das “freeze now” - wurde dann 1985 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt, und 1987 ordnete Michael Gorbatschow einen einseitigen Teststopp an, nachdem Lown und eine Gruppe des internationalen IPPNW-Vorstandes in einem zweistündigen Gespräch darum geworben hatten. Wir machten deutlich, dass bei Vorhandensein von mindestens 30.000 Atomsprengköpfen ein weiteres Testen und Neukonstruieren töricht und nicht die eigene Sicherheit und Frieden fördernd sei, und eine Seite doch mit Klugheit vorangehen müsse. Gorbatschow sah das ein und beschrieb unseren Besuch und Einfluss später in seinen Lebenserinnerungen.

Die IPPNW klärte fortlaufend die Öffentlichkeit über die Gefahren eines nuklearen Holocaust auf und forderte die Einhaltung der Verträge zur Reduktion der Atomwaffen. Als 1995 der alle 5 Jahre verlängerte Atomwaffensperrvertrag jetzt erstmalig unbefristet verlängert wurde, feierte unsere Regierung und die Öffentlichkeit dies als einen Durchbruch. Denn im Artikel VI steht eindeutig, dass sich die Atommächte zum Abbau ihres Atomwaffenarsenals verpflichten, sogar mit dem Ziel der endgültigen Abschaffung. In der Tat begann man, veraltete und nicht mehr geeignete Nuklearwaffen abzubauen, aber sowohl die USA als auch Russland behielten ihr Depot, das jetzt in den USA 10.656 und in Russland 10.000, in China 402, in Frankreich 348, in Israel ca. 200, in Großbritannien 185, in Indien und Pakistan je 30-50 Stück beträgt. Ein Teil der US-Atombomben und -raketen wird in NATO-Ländern, so auch in Deutschland, gegen den Protest der Bevölkerung, gelagert und einsatzbereit gehalten. Ist der “Nichtverbreitungsvertrag” mit seinem Artikel VI weiterhin nur ein Stück wertloses Papier?

Die Regierungen der USA und Russlands schlossen im Jahr 2002 das “Moskauer Abkommen” ab, in dem sich beide Seiten verpflichten, bis zum Jahr 2012 ihr strategisches Arsenal auf 1.700 bis 2.200 aktive Atomwaffen zu reduzieren. Das betrügerische an diesen “schönen Zahlen” ist, dass die dann abgebauten Atomsprengköpfe nicht verschrottet werden müssen, sondern gelagert werden dürfen und “bei Bedarf” wieder montiert werden können, und keine Überprüfungsvereinbarungen festgelegt sind.

Aber es kommt noch schlimmer: Noch im gleichen Jahr 2002, also nur ein Jahr nach Amtsantritt von Präsident George W.Bush, wurde eine “Überprüfung der amerikanischen Atomwaffendoktrin” bekannt, der sogen. “nuclear posture review”. Darin empfiehlt die Bush-Regierung die Entwicklung neuer und flexibler Atomwaffen für den Gefechtsfeldeinsatz, die sogen. “mini-nukes” und außerdem Atomwaffen zur Sprengung tiefer Bunker, die sogen. “bunker buster”. Ferner wird empfohlen, den Artikel VI im “Non Proliferation Treaty”, also dem Atomwaffensperrvertrag, aufzuheben und damit auch die Verpflichtung nicht mehr einhalten zu müssen, keine Atomwaffen gegen Nicht-Atomwaffenmächte einzusetzen. Außerdem ordnete die US-Administration den Ausstieg aus dem ABM-Vertrag (Anti_Ballistic Missiles) an, damit die USA ein Raketenabwehrsystem aufbauen können, um selber “unverwundbar” zu werden, aber andere Nationen weiterhin mit Raketen bedrohen zu können. Desgleichen bestätigte die US-Administration, dass die USA den vor Jahren unterschriebenen Atomteststoppvertrag, also den “Comprehensive Test Ban Treaty” nicht ratifizieren werde, so dass neue Atomwaffentests durchgeführt werden können, was am 26.Mai 2004 bereits in den USA und dann am 11.August 2004 in Russland geschah.

Die großen Gefahren der neu begonnenen Gegenwart sind, dass aus den jährlich etwa 25 wütenden sogen. konventionellen Kriegen ein Atomkrieg eskalieren kann, da nach der neuen Atomwaffendoktrin der USA und damit dann auch der anderen Atommächte, nun die Schwelle zwischen atomaren und nicht-atomaren Waffen übertreten worden ist. Atomwaffen sind nicht weiterhin, wie man uns immer hatte vormachen wollen, nur Abschreckungswaffen, also Mittel der Politik, sondern sie sind wieder zu Waffen der geplanten Kriegsführung geworden, sei es zur Verteidigung, sei es zum Angriff, wie in den Zeiten des Kalten Krieges.

Wie hieß es doch in der amerikanischen Heeresdienstvorschrift 1987: “Die US-Armee muss sich vielfältigen Situationen und Herausforderungen stellen. In den achtziger Jahren kann damit gerechnet werden, dass sie sich auf einem oder gar zwei Kriegsschauplätzen engagieren muss… In Gebieten größter strategischer Bedeutung muss sie mit Gefechten rechnen, die von Umfang und Intensität alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Sie hat Gefechte zu erwarten, in denen Atomwaffen und chemische Kampfstoffe eingesetzt werden…..Sind Nuklearwaffen verfügbar, ist die umgekehrte Reihenfolge vorzuziehen, d.h. zuerst die Planung des nuklearen Feuers, dann die Ausarbeitung des Operationsplanes unter Berücksichtigung der Wirkung dieses Feuers….”

Auch die sogen. “deutsche Teilhabe” fand sich 1987 in der deutschen “Heeresdienstvorschrift 100/100”, wo es hieß: “Ist einem Truppenführer der Einsatz von Atomsprengkörpern gegen den Feind freigegeben, so ist das Vorbereiten und Führen des atomaren Feuerkampfes seine wichtigste Aufgabe. Die persönliche Verantwortung für den Einsatz von Atomsprengkörpern bindet ihn in starkem Maße an seinen Gefechtsstand.” Im Absatz 1120 hieß es: “…Die Wirkung von Atomsprengkörpern kann auch dazu genutzt werden, Geländeteile durch Verwüstung und Verstrahlung, Verkehrsanlagen durch Zerstörungen nachhaltig zu sperren. Hierfür sind Atomsprengladungen besonders geeignet….”

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Texte aus der Vergangenheit, nur 17 Jahre alt, müssen wir ernstnehmen, um unsere Gegenwart und Zukunft zu beurteilen. Ich weiß nicht, was heute in den neuen amerikanischen Heeresdienstvorschriften steht, nachdem Präsident Bush die strikte Grenze zwischen sogen. konventionellen und nuklearen Waffen mit dem “nuclear posture review” wieder aufgehoben hat. Man muss annehmen, dass die Ausführungen dort jetzt nicht wesentlich anders lauten werden, als vor Beendigung des Kalten Kriegs, die wir der Klugheit von Präsident Gorbatschow verdankten.

Die neue Atomwaffendoktrin der USA und das Festhalten der Atomwaffenmächte an ihrem Bedrohungspotential sowie die Vertragsbrüche durch die Bush-Administration führen dazu, dass immer mehr Regierungen nach Atomwaffen streben. Wir kennen ja die Beispiele. Und viele der gewissenlosen Kriegführer und Terroristen und Banditen in aller Welt würden nur zu gern in den Besitz von Atomwaffen kommen, um sie dann auch zu zünden, wenn sie ihr menschenverachtendes Ziel erreichen wollen.

Für uns gibt es nach diesem Rückblick und den Erfahrungen aus der Vergangenheit sowie den offensichtlichen Gefahren für Gegenwart und Zukunft nur eine Devise:

Wir müssen alles für uns mögliche tun, um den Ausbruch von Kriegen zu verhüten, aus denen eines Tages ein Atomkrieg eskalieren wird, wenn es nicht gelingt, Atomwaffen abzuschaffen. Und wir müssen den Ursachen von gefährlichen Konflikten und Kriegen größtmögliche Aufmerksamkeit schenken und helfen sowie gewaltlos intervenieren, wenn immer das notwendig ist. Unsere Regierungen müssen für Kriegsverhütung mindestens so viel Geld und Sachverstand zur Verfügung stellen, wie sie mit leichter Hand Milliarden Dollar, Euro und andere Währungen für den Militarismus ausgeben. Wir brauchen nicht nur ein sogen. Verteidigungsministerium, sondern noch viel dringlicher ein mit Fachleuten besetztes Friedensministerium, ein Ministerium für zivile Kriegsprävention.

Und nun stehen wir wieder vor einer Überprüfungskonferenz des NPT im Mai in New York. Wird etwas Positives aus den Beratungen der “Decisionmaker” herauskommen, oder werden wir nur wieder getäuscht und hingehalten werden, oder wird es sogar neue schlechte Resultate geben? Wird der Atomwaffensperrvertrag etwas Wert erhalten, oder bleibt er nicht mehr als ein Stück Papier, an das sich die Atomwaffenmächte zu ihrem eigenen “Vorteil” weiter klammern werden?

Einleitungsvortrag von Prof. Dr.med. Ulrich Gottstein vom 13.03.2005 beim IPPNW-Jahrestreffen in Berlin.

Quelle: IPPNW

Veröffentlicht am

30. März 2005

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