Fragiler FriedenDer israelisch-palästinensische Konflikt wird einseitig dargestelltVon John Petrovato - ZNet 11.05.2005 TV-Nachrichtenprogramme und Zeitungen in aller Welt berichteten gestern erstaunlich einmütig über die Bedrohung des “fragilen Friedens”, den Israelis und Palästinenser angeblich in den letzten Monaten genossen. Wodurch bedroht? Durch die Tötung dreier palästinensischer Jugendlicher im Gazastreifen. Die Teenager waren erschossen worden. Zunächst wurde berichtet, die Drei seien - nahe der “Sicherheitszone” zwischen Gaza und der ägyptischen Grenze - einem Fußball hinterher gerannt. Daraufhin hätten israelische Soldaten das Feuer auf sie eröffnet. Danach gab Israel ein offizielles Statement zum Vorfall heraus. Anschließend wurde (plötzlich) berichtet, die Drei seien Mitglieder einer Widerstandsgruppe. Vielleicht hätten sie versucht, irgendwelche Waffeln zu schmuggeln. Der Vorfall war nicht nur deshalb so nachrichtentauglich, weil es auf palästinensischer Seite Todesopfer gab, sondern auch, weil die Hamas mit Raketen auf eine benachbarte jüdische Siedlung antwortete (keine Verletzten). In vielerlei Hinsicht ein besorgniserregender Vorfall. Da ist zum einen die israelische Politik: Zuerst schießen dann fragen. Internationale Menschenrechtsorganisationen, wie Amnesty International, haben schon öfter berichtet, dass solche Vorfälle normal sind. Die Täter sind israelische Soldaten - sie sind als Besatzer auf fremdem Territorium. Davon abgesehen erstaunt, dass weder Zeitungen noch Journalisten das Muster, das dem Verhalten des israelischen Militärs zugrunde liegt - wenn es darum geht, wie mit Palästinensern umgesprungen wird, aber auch mit internationalen Menschenrechtlern und selbst Journalisten -, kritisch hinterfragen. Besorgniserregend auch die Tatsache, dass Journalisten nicht kritisch hinterfragen, dass die sogenannte “Sicherheitszone” auf palästinensischem Gebiet liegt bzw. dass diese Zone zwischen dem palästinensischen Gaza und Ägypten immer weiter ausgedehnt wird. Monat für Monat lässt Israel hier Häuser palästinensischer Familien zerstören, um Sicherheitszonen zu erweitern - was (gemäß internationalem Recht) illegal ist. Hunderte Wohnhäuser in Gaza wurden zu diesem angeblichen Zweck schon zerstört, Tausende Menschen so fast aller ihrer Chancen beraubt - in diesem armen, dichtbesiedelten Gebiet. Palästinensische Familien, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, deren einzige Schuld darin bestand, ein Haus nahe der Grenze zu haben, werden für den erlittenen Verlust nicht entschädigt. Jenseits solcher Fragen und besorgniserregenden Aspekte finde ich an oben genanntem Vorfall vor allem eines interessant: mit welch geradezu einhelligem Konsens die internationalen Konzernmedien darüber berichtet haben: A) Der in jüngster Zeit erreichte “fragile Frieden” sei durch die Schießerei bedroht. B) Monatelang habe Ruhe geherrscht. Der jetzige Vorfall sei mit Abstand der tödlichste - “gestern wurde die fragile Feuerpause zwischen Palästinensern und Israelis erschüttert”, so die New York Post. Der britische Independent schreibt, nachdem mehr als einen Monat lang “Ruhe” geherrscht habe, “töteten am gestrigen Tag israelische Soldaten drei palästinensische Jugendliche in Gaza, es war der schlimmste und tödlichste Zwischenfall, seit Ariel Scharon und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas im Februar eine Waffenruhe erklärten”. Dass durch diesen seit Monaten “mit Abstand tödlichsten Vorfall” der “fragile Frieden” bedroht sei, darüber wird nicht nur in ganz Amerika auf fast identische Weise berichtet sondern auch in Indien, Australien, Frankreich, Deutschland, Neuseeland, China, usw.. Kann sein, es liegt daran, dass die Medien der Welt auf einige wenige Journalisten und Blätter, die tatsächlich in den Palästinensergebieten arbeiten, angewiesen sind. Erstaunlich, wie viel Macht eine Hand voll Journalisten besitzt, wenn es darum geht, die Debatte in den Weltmedien zu formen - das heißt, wie diese Hand voll die Wahrnehmung der Welt über Vorfälle wie den vorliegenden steuert. Was den sogenannten Frieden der letzten Monate angeht, sollte darauf hingewiesen werden, dass dieser “fragile Frieden” täglich hundertfach bedroht wird (durch hundertfache Akte der Gewalt, der Demütigung und der Angst in den besetzten Gebieten). Wenn Menschen getötet werden, ist dies natürlich eine Bedrohung für den “fragilen Frieden”. Er wird aber auch durch Gewalt bedroht - durch die Androhung von Gewalt und die Anwendung von Gewalt. Jedes Mal, wenn israelische Militärfahrzeuge in eine (palästinensische) Stadt oder Kleinstadt einrücken, wenn die Menschen deswegen nicht mehr aus ihren Häusern können, ist der fragile Frieden bedroht (das passiert in der Westbank täglich irgendwo). Jedes Mal, wenn ein Familienmitglied an einem israelischen Checkpoint willkürlich aus der Schlange gezogen wird (auf palästinensischem Gebiet, wohlgemerkt) und vor den Augen seiner Familie, vor den Augen Außenstehender verprügelt und gedemütigt wird, ist dies eine Bedrohung für den Frieden. Wenn eine Schwangere oder ihr ungeborenes Kind stirbt, nur, weil das israelische Militär den Krankenwagen nicht zum Hospital durchlässt, ist der Frieden bedroht. Jedes Mal, wenn einer palästinensischen Familie Land geraubt wird - für den Bau des sogenannten “Schutzwalls” oder einfach zum Nutzen jüdischer Bürger des Staates Israel - stellt dies eine Bedrohung für den Frieden dar. Jedes Mal, wenn illegal in den Besetzten Gebieten lebende israelische Siedler Palästinenser körperlich attackieren bzw. sich an deren Besitz vergreifen und straflos davonkommen, bedroht dies den Frieden (erst letzte Woche haben maskierte israelische Siedler an mehreren Orten in der Westbank Menschen und Wohnhäuser angegriffen; am 7. April kam es im Dorf Deir Ballut zu einem Vorfall, bei dem private Sicherheitsleute der israelischen Siedler 4 Mitglieder einer Palästinenserfamilie niederschossen - die einfach nur auf ihren Feldern arbeiteten). Jedes Mal, wenn Eltern erfahren müssen, dass ihr Kind von israelischem Militär misshandelt wurde, ist der Frieden bedroht (wie gestern in Hebron, als israelische Soldaten in einen Kindergarten eindrangen und 80 Kinder anderthalb Stunden lang in einen Raum festhielten). Jedes Mal, wenn das israelische Militär gewaltsam gegen eine gewaltfreie Demonstration vorgeht, wenn Demonstranten verprügelt, mit Gummigeschossen traktiert und verhaftet werden, ist der Frieden bedroht (am 8. April wurden in einem Dorf westlich von Ramallah 5 gewaltlose Demonstranten mit Tränengas, Lärmgranaten und Gummigeschossen attackiert und verletzt). Immer, wenn ein Palästinenser ohne Prozess, ohne Anwaltszugang oder Besuch von Angehörigen in einem israelischen Gefängnis gefangengehalten und gefoltert wird, ist der Frieden bedroht. Immer, wenn die Medien sich zwar über israelisches Leid empören, vor dem Leid der Palästinenser aber die Augen verschließen, ist der Frieden bedroht. In Wahrheit ist der Frieden fragil und Tag für Tag bedroht. Täglich kommt es zu Dutzenden, wenn nicht Hunderten Zwischenfällen - Demütigungen, Landraub, Gewalt - begangen durch das brutale israelische Militär bzw. (jüdische) Siedler. Die Opfer sind ganz normale Palästinenser, keine Kämpfer. Frappierend die Tatsache, dass es niemand für eine Bedrohung des Friedens hält, wenn ein ganzes Volk gezwungen wird, unter fremder Militärbesatzung zu leben. Und es ist eine traurige Tatsache, dass Israel einfach nicht wahrhaben will, dass es ohne eine gerechte Lösung für die Situation der Palästinenser keinen Frieden geben kann. Quelle: ZNet Deutschland vom 11.04.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Fragile Peace Veröffentlicht amArtikel ausdrucken |
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