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Kein Konsens auf der Überprüfungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag - Weiterverbreitung von Nuklearwaffen nicht zu stoppen?

Von Otfried Nassauer

Das Ergebnis der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages ist mehr als dürftig. Es kann nicht einmal die Reisekosten der Delegationen rechtfertigen. Erreicht wurde nämlich nichts - eigentlich müsste man sogar sagen: Weniger als nichts. Denn nicht einmal die Ergebnisse früherer Überprüfungskonferenzen waren noch Konsens. Das gemeinsame Abschluss-Dokument enthält kaum mehr als die Teilnehmerliste, die Tagesordnung, die Titel der Konferenzdokumente und die Aufteilung der Konferenzkosten.

Wäre die Sache nicht so bitter ernst - man könnte sie für ein Theaterstück aus der Welt der Rüstungskontrollverhandlungen des Kalten Krieges halten. Auch damals galt schon oft: “Außer Spesen nichts gewesen.” Doch heute liegen die Dinge anders. Mit dem Atomwaffensperrvertrag ist jetzt - nach der Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen in Genf - bereits das zweite große multilaterale Forum der internationalen Gemeinschaft lahmgelegt, das sich mit Fragen der nuklearen Rüstungskontrolle befasst. Und dies, obwohl in der Kernfrage eigentlich Einigkeit herrschte: Der Atomwaffensperrvertrag ist ein wichtiges Kernelement des rüstungskontrollpolitischen Regelwerks. Allen Teilnehmern war und ist klar, dass die Instrumente zur Umsetzung des Vertrages dringend verbessert werden müssen. Denn seit der Aufdeckung des geheimen Atomprogramms des Iraks und spätestens mit dem Ausscheiden Nordkoreas aus dem Vertrag und den Spekulationen über den Sinn und Zweck der nuklearen Projekte im Iran hat sich gezeigt: Die Janus-Köpfigkeit des Vertrages - hier die Verhinderung der militärischen Nutzung der Atomenergie und dort die legitime Förderung der zivilen Nuklearenergie - stellt ein viel größeres Problem dar als es sich die Väter des Vertrages vor 35 Jahren träumen ließen. Nicht-nukleare Staaten, die sich unbedingt atomare Waffen zulegen wollen, können sich unter dem Deckmantel eines zivilen Atomprogramms im Verborgenen so nahe an die militärische Nuklearoption buchstäblich “heranrobben”, bis es für Gegenmaßnahmen zu spät ist und diese Staaten ihren Austritt aus dem Vertrag erklären. Nordkorea hat es vorgemacht. Die Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft, eine solche Strategie rechtzeitig zu erkennen und zu durchkreuzen, bedürfen einer deutlichen Verbesserung.

Warum aber ist es angesichts dieser allgemeinen Erkenntnis bei der Konferenz zu keinem Ergebnis gekommen? Das hängt mit einem zweiten Streitpunkt zusammen. Der Atomwaffensperrvertrag beruht im Kern auf einem Tauschgeschäft. Die Staaten, die keine Nuklearwaffen haben, verzichten auf Dauer auf atomare Systeme, und die Staaten, die über diese Waffen verfügen, versprechen, ihre atomaren Arsenale abzurüsten. Bei der New Yorker Konferenz hätte es nur dann ein positives Ergebnis geben können, wenn dieses Tauschgeschäft erneut zur Grundlage einer Einigung gemacht worden wäre. Konkret: Bessere Nichtverbreitungsregeln gegen schnellere atomare Abrüstung. Für ein solches Geschäft aber gilt: “It takes two to Tango.” Tangotanzen kann man nur zu zweit. Und Lösungen, bei denen beide Seiten gewinnen, gibt es nur, wenn beide Seiten mitmachen. Das aber war in New York nicht der Fall. Die Vereinigten Staaten - und in deren Windschatten auch andere Atommächte - zeigten kein Interesse an einer solchen Vorgehensweise. Washington führte zwar vehement und lautstark Klage gegen jene Bösewichter, denen es unterstellt, nach Atomwaffen zu streben. Zugleich aber zeigte die US-Delegation keinerlei Bereitschaft, auch über schnellere Forschritte bei der atomaren Abrüstung und eine reduzierte Rolle nuklearer Waffen mit sich reden zu lassen. Mehr noch: Man ließ erkennen, dass die derzeitige US-Regierung die Ergebnisse der beiden letzten Überprüfungskonferenzen nicht mehr als verbindlich betrachtet - darunter der 13-Punkte-Plan zur Stärkung atomarer Abrüstung und Nichtverbreitung aus dem Jahre 2000. Die Begründung dafür: Mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 habe sich die Geschäftsordnung geändert. Der Krieg gegen den Terrorismus erfordere andere Regeln. Diese Begründung aber lässt tief blicken, lässt sie doch erkennen, wie viele andere Vereinbarungen mit diesem Argument ebenfalls aufgekündigt werden könnten.

Eine solche Haltung konnte für die Mehrheit der Vertragsmitglieder nicht akzeptabel sein, weil es die Möglichkeit einer Weiterführung des Tauschgeschäftes, auf dem der Vertrag beruht, gänzlich ausschloss. Die Nichtpaktgebundenen, und bis zu einem gewissen Grad auch die Europäische Union, hofften wohl bis zuletzt, dass Washington hier doch noch Flexibilität zeigen werde. Eine irrige Hoffnung, wie sich zeigte, auch weil sich Ägypten als stehfester Sparringspartner für ausgiebige Debatten über Formalien wie die Tagesordnung erwies. Und - als diese nach mehr als zweieinhalb Wochen der Generaldebatte endlich gefunden war - da war die Zeit für eine substantielle Suche nach Kompromisslinien in den eigentlichen Arbeitsgremien bereits viel zu knapp. Unter den Tisch fielen deshalb auch viele im Prinzip gute Initiativen, mit denen der Vertrag hätte gestärkt werden können. So beispielsweise die Idee, einen Austritt aus dem Vertrag zu erschweren. Oder der Vorschlag, die Sitzungen des Vorbereitungsausschusses zu beschlussfähigen Staatenkonferenzen aufzuwerten, damit die Staatengemeinschaft auf neue Entwicklungen künftig schneller reagieren kann. Fünf Jahre bis zur nächsten Überprüfungskonferenz muss nun mit den vorhandenen Instrumenten weitergelebt werden, die übereinstimmend als zu schwach bewertet werden.

Das Nicht-Ergebnis des New Yorker Verhandlungsmarathons lässt derweil erschrecken. Es birgt die Gefahr, dass der Atomwaffensperrvertrag künftig aufgeweicht wird. Steht der Tauschhandel “Abrüstung gegen Nichtverbreitung” jetzt grundsätzlich infrage? Kann man auf ihn noch einmal zurückkommen? Wenn ja: wann und wie? Wenn nein, was ist die Konsequenz? Wie viele und welche Staaten werden ihr bisheriges Nein zu atomaren Waffen noch einmal überdenken? Der UN-Generalsekretär zeigte sich höchst beunruhigt - Kofi Annan wörtlich: “Die Unfähigkeit, die gemeinsamen Anstrengungen zu verstärken, wird den Vertrag zwangsläufig schwächen.” Das Thema müsse nun Gegenstand des UN-Gipfels im September werden.

Die Regierung Bush dagegen wird mit dem Nicht-Ergebnis von New York gut leben können. Sie hat jede Kritik an ihren Nuklearwaffen und deren geplanter Modernisierung verhindert. Eine Schwächung des Nichtverbreitungsregimes zeigt aus ihrer Sicht nur, dass die internationale Staatengemeinschaft bei so gravierenden Problemen nicht ausreichend handlungsfähig ist. Weitere fünf Jahre bietet sich ihr nun die Möglichkeit, bei Nichtverbreitungsproblemen auf diese Handlungsschwäche zu verweisen und mit dieser Begründung unilateral zu handeln.

Und Deutschland? Die Bundesregierung startete unerwartet furios in die Konferenz. Außenminister Fischer präsentierte in einer engagierten Rede das deutsche Ziel, Abrüstung und Nichtverbreitung gleichermaßen zu stärken. Nach Jahren des Zauderns deutete er sogar an, die Bundesregierung halte den Abzug der nach Ende des Kalten Krieges in Deutschland verbliebenen Atomwaffen für eine vernünftige Idee. Nach Rücksprache mit Verteidigungsminister Struck versprach dieser, das Thema in der NATO zur Sprache zu bringen. Doch passiert ist bislang nichts. Weder nutzte die Bundesregierung die Gelegenheit, den New Yorker Verhandlungen durch eine Ankündigung der Bereitschaft zum Verzicht auf die auch rechtlich umstrittene technisch nukleare Teilhabe einen Anreiz zu verschaffen, noch vertiefte sie bisher ihren Vorstoß, über einen Abzug dieser Waffen in der NATO zu reden.

In der kommenden Woche treffen sich die NATO-Verteidigungsminister nach 18-monatiger Pause erstmals wieder zu einer Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe und Außenminister Fischer besucht seine US-Kollegin Condoleezza Rice. Man darf gespannt sein, ob die Bundesregierung dann auf das Thema zurückkommt. 1 Der Zeitpunkt wäre günstig: Normalerweise lagern die USA in Deutschland 150 taktische Atomwaffen - 130 in Ramstein und 20 in Büchel. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL recherchierte, dass die Waffen aus Ramstein wegen der laufenden, umfassenden Bauarbeiten vorübergehend in die USA ausgelagert wurden. Das wirft die Frage auf, ob der kostenträchtige und riskante Rücktransport dieser Waffen nach Deutschland überhaupt noch begründet werden kann. Denn aus militärischen Gründen - darüber herrscht weitgehend Einigkeit - werden sie nicht mehr benötigt.


Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS

Quelle: BITS . Dieser Artikel erschien in: Streitkräfte und Strategien - NDR info vom 03. Juni 2005. Wir danken Otfried Nassauer für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung des Artikels in der Lebenshaus-Website.

Anmerkung:

1 Die Nato-Verteidigungsminister erklärten am 9. Juni 2005 in Brüssel, dass die Allianz nicht die Absicht habe, ihr strategisches Konzept zu ändern, das einen “fundamentalen politischen Zweck in Nuklearwaffen sieht: den Erhalt des Friedens und die Vermeidung von Gewalt”. Der deutsche Verteidigungsminister Struck sagte, ein Abzug der in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen stehe nicht zur Debatte. Er habe seine Kollegen über die Diskussion in Deutschland unterrichtet, sagte Struck nach einem Treffen der Nuklearen Planungsgruppe der Nato. Bei den Verbündeten werde die Entwicklung “sehr sorgfältig beobachtet”, sagte Struck. “Aber es ist keine allgemein europäische Debatte, da muss man sich keine Illusionen darüber machen.” Sollte Deutschland in dieser Frage eine andere Position einnehmen, dann nur in Gemeinsamkeit mit den anderen europäischen Staaten und den USA.

Veröffentlicht am

14. Juni 2005

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