Brief aus Teheran: In den Fängen WashingtonsVon Norman Solomon - ZNet 15.06.2005 Washington fährt fort, die iranische Regierung mit kaum verhüllten Drohungen anzugreifen; gleichzeitig fordern viele Iraner die Herrscher im Land heraus - auf der Straße und an der Wahlurne. Am 17. Juni finden im Iran Präsidentschaftswahlen statt - Wendepunkt oder hohles Spektakel, keiner weiß es so genau. Aber die Bush-Administration drischt leidenschaftlich auf das Thema ein. “Die USA warten nicht einmal den ersten Wahlgang ab und nennen die iranische Präsidentschaftswahl schon jetzt getürkt”, so Agence France Press am letzten Wochenende. Die Wahl im Iran ist keineswegs getürkt. Der Wahlkampf wird mit aller Härte geführt, und es gibt signifikante Unterschiede zwischen den Kandidaten. Gleichzeitig starten mutige iranische Aktivisten eine neue Welle von Aktionen gegen den im Iran herrschenden theokratischen Status quo - wobei ihnen die kriegerischen Äußerungen aus Washington eher hinderlich sein dürften als hilfreich. Am 12. Juni setzten sich fast hundert tapfere Frauen vor die Universität von Teheran, um für mehr Menschenrechte zu demonstrieren, in einer Gesellschaft, die Frauen - im übertragenen wie konkreten Sinne - zwingt, im hinteren Teil des Busses Platz zu nehmen. Ein Plakat, das jemand in der Hand hielt, trug die Aufschrift: “Stoppt die Einseitigkeit gegen Frauen”. Auf anderen Plakaten stand: “Stoppt die Verstöße” oder schlicht “Freiheit”. Auf der breiten, von erstickenden Fahrzeugabgasen überfluteten Straße hatten sich sofort mehrere Hundert iranische Männer und Frauen aller Altersgruppen versammelt und unterstützten die Demonstration - einer der wenigen öffentlichen Proteste in den vergangenen Jahren. “Die politischen Gefangenen sollen freikommen”, riefen sie in Sprechchören. Auf einem Schild stand: “Demokratie zuerst, dann werden wir weiterleben”. Ein Teil derjenigen im Iran, die am vehementesten gegen die theokratische Regierung im Land sind, werden die Wahl wohl boykottieren. Andere jedoch werden wählen gehen. Meist werden sie für Mostafa Moin stimmen. Er ist der populärste Kandidat am Reformerende des Kandidatenspektrums. Moin ist der Gegenspieler von Nochpräsident Muhammad Khatami - der nach acht Amtsjahren ‘nicht mehr zur Wahl steht’. Khatami ist es nicht gelungen, die Macht der extrem konservativen Geistlichkeit zu unterminieren. Dennoch sind viele der Jungen - die die extreme fundamentalistische Strenge auch noch kennen -, der Meinung, in den letzten Jahren sei das Leben im Iran nicht mehr ganz so erstickend. In der Mitte des Spektrums angesiedelt ist Akbar Hashemi Rafsanjani - eine Ikone, die allgemein respektiert wird und als Favorit gilt. Rafsanjani stimmte versöhnliche Töne in Richtung USA an. Er deutet an, dass er dafür ist, den restriktiven Druck auf die Medien zu lockern und persönliche Freiheiten zu stärken. Möglicherweise eine Farce, um die jungen Wähler für sich zu gewinnen, aber jedenfalls hat Rafsanjani klar erkannt, dass die jungen Iraner - die einen Großteil der Bevölkerung stellen -, besonders stark für einen solchen Wandel stehen. Bei mehreren der insgesamt acht Kandidaten für das Präsidentenamt handelt es sich um theokratische Hardliner. Ob sie echte Chancen haben, wird sich am 17. Juni erweisen (beziehungsweise in einem zweiten Wahlgang zwei Wochen später, der nötig wird, falls keiner der Kandidaten in der ersten Runde 50% der Stimmen auf sich vereint). Wird sich zeigen, welchen Weg der Iran nach dieser historischen Wahl einschlägt. Es ist eine Wegscheide. Entweder geht es in Richtung verstärkter fundamentalistischer Repression oder in Richtung Fortschritt (für demokratische Elemente in der Gesellschaft). Je mehr ich darüber lerne, was für das iranische Volk auf dem Spiel steht, desto wütender werde ich, angesichts der irreführenden Rhetorik aus Washington. Wenn Präsident Bush und seine Helfer die Präsidentschaftswahl im Iran bedeutungslos nennen, so ist das ‘wishful thinking’. Einige der Neokonservativen um Bush hegen die Illusion, sie könnten das Regime im Iran mit einer Menge Raketen stürzen. Die beste Methode, die herrschenden Theokraten im Iran auf demokratische Weise loszuwerden, sind Graswurzel-Methoden - Methoden von der Art, wie sie im Iran derzeit Wurzeln schlagen. Offensichtlich würde es der Bush-Regierung jedoch besser gefallen, sollten sich bei der Wahl die reaktionärsten unter den theokratischen Kräften im Lande durchsetzen. Viele Politiker um Bush würden den Iran am liebsten mit militärischen Mitteln verändern - ein vernünftiger neuer iranischer Präsident würde Bushs Kriegsagenda erschweren. Vergessen wir nicht, das Bush-Team hat sehr viel Netteres über ein wesentlich repressiveres Regime gesagt, über die Regierung in Saudi-Arabien nämlich. Und erst vor wenigen Wochen bezeichnete Laura Bush - mit Rückendeckung ihres Gatten - die gefakten Wahl-“Reformen” in Ägypten als Inspiration. Sicher, der iranische Wahlprozess weist viele Mängel auf - nichtsdestotrotz aber auch Aspekte echter Demokratie. Verglichen mit dem Wahlprozedere in Saudi-Arabien oder Ägypten ist der Iran ein Leuchtfeuer der Hoffnung in der Region. Die Offiziellen in Washington, die heute vor den Nuklearambitionen des Iran warnen, vergessen zu erwähnen, dass US-Regierungen seit fünf Jahrzehnten die Proliferation von Atomanlagen unterstützen. Vom ökologischen Standpunkt aus täte der Iran (wie alle anderen Staaten) natürlich gut daran, auf Kernenergie zu verzichten - andererseits gibt es keinerlei Beweise, dass der Iran auch nur annähernd in der Lage ist, Atomwaffen zu produzieren. Die Bush-Administration, die notorisch ein Auge zudrückt, wenn es sich um mehrere hundert israelische Atombomben handelt und zum Thema Massenvernichtungswaffen im Irak log, ist in keiner sehr glaubwürdigen Position, wenn sie uns über die angeblichen Nuklearaktivitäten des Iran belehrt. Die bombastischen Töne der US-Regierung helfen den Hardlinern unter den “Theologen” im Iran, ihren Griff zu verstärken. Für sie wäre ein Raketenschlag gegen den Iran ein wahres Gottesgeschenk. In Washington träumt man den Fiebertraum vom Militärschlag gegen den Iran. Währenddessen träumen die Iraner von der Schaffung einer Gesellschaft, in der die Menschenrechten gelten. Ihre Träume sind grenzenlos. Amerikaner, die diesen Menschen helfen wollen, sollten sich daher gegen eine in den amerikanischen Medien und in der US-Politik vorherrschende Rhetorik wenden, die derzeit die Agenda für einen Krieg gegen den Iran schafft. Norman Solomon ist leitender Direktor am Institute for Public Accuracy. Sein neues Buch erscheint diese Woche: ‘War Made Easy: How Presidents and Pundits Keep Spinning US to Death’ Siehe: www.WarMadeEasy.com Quelle: ZNet Deutschland vom 18.06.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Letter From Tehran Siehe ebenfalls:
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