Ein Abschiedsbrief, oder: Auf welcher Seite?
Tief beeindruckt und betroffen waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Tagesseminars “Chancen für den Frieden im Nah-Ost-Konflikt?”, das am 25.06.2005 mit Faten Mukarker, Beit Jala bei Bethlehem, und Hansmartin Volz, im evangelischen Gemeindehaus in Gammertingen stattfand. Besonders die christliche Palästinenserin Faten Mukarker, in Deutschland aufgewachsen, mit 20 Jahren nach Palästina zurückgekehrt, zog mit ihren Berichten über den Alltag unter Besatzungsbedingungen alle Anwesenden in ihren Bann. Hansmartin Volz war zuvor ausführlich auf die wechselnde Geschichte Palästinas von den Anfängen bis zur Gegenwart, auf die Entstehung des Zionismus sowie auf die Gründung des Staates Israel eingegangen. Faten Mukarker machte deutlich, dass es auf das Engagement der vielen einzelnen Menschen in Israel und Palästina ebenso wie hierzulande ankomme, wenn der Frieden in Nahost eine Chance haben soll.
Wir veröffentlichen einen Brief von Faten Mukarker vom 11.07.2005, den sie anlässlich ihres bevorstehenden Abschieds aus Deutschland schrieb.
Ein Abschiedsbrief oder: Auf welcher Seite?
Liebe Freunde in der Ferne,
die letzten Tage in Deutschland liegen vor mir. Seit ungefähr zwei Monaten bin ich hier. Bin dankbar für die Menschen, die zu meinen Vorträgen kamen. Sie haben aufmerksam zugehört und viele wollten auch den Politikern schreiben und sie bitten, in ihren Wahlprogrammen Stellung zu nehmen zum Nahost-Konflikt. Ist nicht endlich die Zeit gekommen, dass man in Deutschland differenzierter denkt?
Wenn der Bundestagspräsident im Bundestag zu Katzav, dem israelischen Staatspräsidenten, angesichts seines Besuches - 40 Jahre diplomatische Beziehungen mit Israel - sagt: “Sie müssen wissen, wir Deutschen sind an Ihrer Seite”, dann frage ich mich als Palästinenserin: Welche Seite ist gemeint, die der Besatzung?
Die Besatzung, die Menschen gezielt tötet - dabei in Kauf nimmt, dass unschuldige Menschen sterben.
Oder gibt es nur in Israel unschuldige Zivilisten? Und auch Schuldige sollten in einer Demokratie, wie Israel sich nennt, das Recht haben, vor einem Gericht zu stehen.
Welche Seite ist gemeint, die der Besatzung?
Die Besatzung, die Häuser zerstört. Begründung: ohne Baugenehmigung gebaut (diese wird nicht erteilt) - das Militär braucht einen Überblick über das Gelände; die Häuser stören dabei - Kollektivstrafe (verboten nach Völkerrecht).
Welche Seite ist gemeint, die der Besatzung?
Die Besatzung, die jahrzehnte- und jahrhunderte alte Olivenbäume zu Hunderttausenden mit ihren Wurzeln ausreißt (Existenzgrundlage in Palästina).
Welche Seite ist gemeint, die der Besatzung?
Die Besatzung, die eine acht bis zehn Meter hohe graue Betonmauer (verurteilt vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag) um unsere Städte baut, wobei uns die Hälfte der Westbank verloren geht.
Diese Mauer hat unseren Traum, in einem FREIEN PALÄSTINA zu leben, begraben!
Für wie viele Generationen wird uns diese Mauer wohl hindern, mit unseren israelischen Nachbarn in Frieden zu leben? Denn wir werden nur voneinander getrennt und daran gehindert, auf Versöhnung hin zu leben.
Und noch mal: Ist nicht die Zeit gekommen, dass man in Deutschland den Unterschied erkennt?
An der Seite des jüdischen Volkes zu sein, darf nicht gleichzeitig bedeuten, an der Seite einer Besatzung zu sein.
Salam
Faten Mukarker - 11.07.2005
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Buchtipp:
Faten Mukarker: Leben zwischen Grenzen.
Eine christliche Palästinenserin berichtet.
Edition Zeitzeugen. Hans Thoma Verlag, Karlsruhe 1999
ISBN 3-87297-136-0, Preis: 15.25 Euro.