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Einen Weg, den die Welt nicht folgt

Von Gideon Levy - Ha’aretz / ZNet Deutschland 10.07.2005

Die Welt geht mit der Welle der Terrorakte in London um, als sei sie ein deterministisches Ereignis, ein unvermeidliches Produkt des absolut Bösen, ein Akt von Satans Abgesandten. Die Weltmedien wurden unmittelbar danach von zahllosen “Terrorismusexperten” überschwemmt, die selbstsicher erklärten, wie man diese Geisel bekämpfen soll: “Trocknet den Sumpf aus!”, “Zerstört die Infrastruktur!”, “Vermehrt die Wirksamkeit der Geheimdienste” und “Verstärkt die Sicherheitssysteme”. Die Welt wird nun die Qualität ihrer Mittel zur Terrorismusbekämpfung verbessern: Die Sicherheit in den U-Bahnen wird verstärkt werden. Der Viktoria-Bahnhof in London wird wie der Heathrow-Flughafen aussehen, wie Kasernen. Und letztlich wird es einen anderen Krieg geben, um mit den Beschwerden fertig zu werden.

Unser Außenminister, Silvan Shalom, der niemals eine Gelegenheit versäumt, auf dem Bildschirm zu erscheinen, fügte seine eigene Einschätzung hinzu: “Dies ist ein Krieg zwischen den Kindern der Finsternis und den Kindern des Lichts - einer Gruppe von Wahnsinnigen, deren einziges Ziel es ist, die Verbreitung der Werte von Demokratie und Freiheit der Welt zu verhindern,” erklärte die Person, die dafür verantwortlich ist, Freiheit in Palästina zu verbreiten. Schwarz und weiß, böse Kerle und gute Kerle. Alles ist uns, den Kindern des Lichtes und den Suchern von Freiheit und Fortschritt, vollkommen klar.

Trotzdem erheben sich gewisse Zweifel. Vielleicht ist es nicht nur reine Bosheit? Vielleicht sollten wir uns fragen, was die “Kinder der Finsternis” wünschen? Was drängt sie, solch grausame Akte zu tun? Wie ist es möglich, dass so viele Leute solche Taten unterstützen? Ist es wirklich wahr, dass es nur einen Weg gibt, sie zu bekämpfen - nämlich mit Gewalt und immer mehr Gewalt? Nach zwei grausamen und unnötigen Kriegen - in Afghanistan und im Irak - die angeblich dazu bestimmt waren, den Terror zu bekämpfen und nach dem Installieren strengster Sicherheitsmaßnahmen, gibt es die nicht zu leugnende Tatsache, dass die Welt doch kein sicherer Platz geworden ist. Nun sollten sich Zweifel über die Richtigkeit solch ständig wiederholter Mantras erheben.

Jeder redet über die globalen Verbindungen hinter dem Terrorismus und verknüpft die Angriffe in Moskau, Madrid, Istanbul, Mombassa und Jerusalem mit einander. Auf diese Weise kann sich der Westen jeder Verantwortung für diese Terrorangriffe entziehen und sie alle einem großen Plan muslimischer “Kinder der Finsternis” zuweisen, die den “Kindern des Lichtes”, den Verteidigern von Freiheit und Demokratie, den Krieg erklärt haben. Die Wahrheit ist, dass das Bild viel komplizierter ist. Selbst wenn es eine absolute Übereinkunft über die vom globalen Terrorismus angewendete Grausamkeit gibt, müssen wir fragen, was ihn antreibt, und ob der Westen wirklich frei von jeglicher Verantwortung für seinen Ausbruch ist.

Die Angriffe in London geschahen einen Tag, nachdem die Stadt davon informiert worden war, dass sie 2012 Austragungsort der Olympiade sein wird. Einige 12-17 Milliarden Pfund werden in die Spiele in der britischen Hauptstadt investiert werden. Niemand kann sich vorstellen, dass eine solch gigantische Summe in die Dritte-Welt-Länder investiert wird. Die Angriffe ereigneten sich auf dem Hintergrund des großtuerischen Konzerts für Afrika und dem G8-Gipfel, der das Elend des Kontinentes wohl nicht bedeutend verringern wird. Man kann auch unmöglich die Tatsache ignorieren, dass es dem islamischen Terror, der das Banner eines kompromisslosen Religionskrieges trägt, gelungen ist, sein wildes Unkraut auf dem Boden der verarmten, kranken, ausgeraubten und unterdrückten Dritten Welt zu züchten. Seine Soldaten kommen aus dem besetzten Afghanistan, aus Pakistan, das von einem vom Westen unterstützen Führer regiert wird, aus zurückgebliebenen arabischen Ländern und aus armen muslimischen Stadtvierteln in Europa.

George Bush ist nicht weniger verantwortlich für das Blutvergießen als Osama bin Laden. Er erklärte dem Irak einen unnötigen, verruchten Krieg, der nur Tod und Zerstörung mit sich brachte. Es gibt keine maßgeblichen Zahlen über die Anzahl der unschuldigen irakischen Zivilisten, die von der US-Armee getötet wurden, zusätzlich zu den 1700 amerikanischen Soldaten, die für nichts getötet wurden. Aber die Zahl ist sehr groß.

Doch die Kriege, die der Westen führt, werden nicht Terrorismus genannt, und ihre Todesfälle werden nicht Terroropfer genant. Der Westen liefert dem fundamentalistischen Terrorismus ziemlich viele Rechtfertigungen. Deshalb sollte der korrekte Weg, diesen Terrorismus zu bekämpfen, zunächst die Reduzierung solcher Rechtfertigungen sein, um die Unterstützung für diesen zu verringern.

Vielleicht ist es unmöglich diesen Terrorismus vollständig auszulöschen, aber man kann auch nicht leugnen, dass seine Quelle und Unterstützung in verarmten und unterdrückten Schauplätzen gefunden werden. Zweifellos würde z.B. die Beendigung der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete die Motivation für Terror schwächen. So lange wie die schreckliche Kluft zwischen dem reichen Westen und der verarmten, zurückgebliebenen Dritten Welt nicht verringert wird, so lange wie großtuerische Olympische Spiele weiter in London gehalten werden, während Millionen AIDS-Opfer in Afrika sterben, weil sie keine Medizin haben, so lange der Westen fort fährt, überflüssige Krieg unter falschen Vorwänden zu führen, und Muslime sich in aller Welt benachteiligt und verfolgt fühlen, so lange wie wirtschaftliche Ausbeutung und Besatzung in mehreren Ländern der Welt andauert, wird auch der Terrorismus andauern.

Es mag stimmen, dass es Gruppen von Fanatikern auch dann noch in der Welt geben wird, wenn diese Probleme gelöst sind; aber sie werden nicht mehr die breite Unterstützung haben, die sie jetzt haben. Weder ein bewaffneter Wächter für jeden Passagier in Londons U-Bahn, noch ein Krieg in Syrien oder Tschetschenien würde dem Phänomen, das der frühere Chef des israelischen Geheimdienstes (Mossad) Ephraim Halevy, einem berühmten Experten des Terrorismus, einen “Weltkrieg” nannte, ein Ende setzen.

Wenn es einen sicheren Weg gibt, den Terrorismus nicht zu beenden, dann ist es der Weg mit Gewalt und Ausbeutung - und genau dies ist der Weg, den die Welt bisher verfolgt hat.

Quelle: ZNet Deutschland vom 14.07.2005. Übersetzt von: Ellen Rohlfs, bearbeitet von: Michael Schmid.

Veröffentlicht am

14. Juli 2005

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