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Nach Köhlers Entscheidung: Schröder und Merkel können beide verlieren

Von Michael Jäger

Wenn Horst Köhler den Bundestag auflöst, wird es einen kurzen Wahlkampf geben. Die Kürze schadet nicht, denn die Wähler kennen die Angebote der Parteien. Um das Wesentliche zu erfassen, müssen sie nicht Zeile für Zeile die Wahlmanifeste studieren. Und wenn Köhler den Bundestag nicht auflöst, gilt dasselbe. Aber wie die Wahlen ausgehen, ist so klar noch nicht. Überraschungen sind möglich. Am Ende des kurzen oder langen Wahlkampfs gibt es vielleicht lange Gesichter.

Wir überschauen die Ausgangslage, seit auch die Unionsparteien ihr Programm vorgestellt haben. Es ist im ökonomischen Teil bezeichnend zweideutig. Einerseits wird die Union ihrem Ruf sozialer Kälte gerecht. Wie sie sich, um Schröders SPD zu überbieten, als pure Unternehmerpartei präsentiert, ist schon fast komisch. Die Tarifautonomie soll per Gesetz abgeschafft werden, und den Unternehmern wird aufs Wort geglaubt, dass mehr Arbeitsplätze entstünden, würde nur der Kündigungsschutz weiter gelockert. Steuersubventionen will die Union nur da abbauen, wo sie Arbeitnehmern zugute kommen. Unternehmer hingegen haben weitere Steuergeschenke zu erwarten.

Andererseits will man die Mehrwertsteuer erhöhen. Es muss ja regiert werden, und dazu braucht der Staat nun einmal Geld. Dass es hier gesucht wird, passt zum Vorigen, denn die Mehrwertsteuer wird stets auf die Endverbraucher abgewälzt; alle, die seit Hartz IV weniger Geld haben, sind dann auch noch mit höheren Preisen zum Beispiel für Kleidung konfrontiert. Aber es ist doch gleichzeitig ein Armutszeugnis, das die neoliberale Ideologie der Herausforderin schwächt. Nach der Ideologie zahlen alle weniger Steuern, nicht nur die Unternehmer. Sonst könnte man auch nur sehr wenige Wähler beeindrucken. Nun sieht man jedoch, es ist anders gemeint. Ein Armutszeugnis ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer aber auch deshalb, weil ihr jede Originalität fehlt. Auf diese Ausflucht sind schon etliche Regierungen der Bundesrepublik verfallen. Hat dafür jemand auf Angela Merkel gewartet? Wo bleibt da die mit großem Getöse angekündigte Rundumerneuerung?

Man ahnt nach dieser Selbstdarstellung schon heute, dass die SPD, die jetzt noch hoffnungslos abgeschlagen scheint, in den kommenden Wochen ein paar Prozentpunkte in der Wählergunst aufholen kann. Denn es wird Wähler geben, die den gemäßigten Neoliberalismus, den Schröder suggeriert, spätestens dann dem konsequenten Neoliberalismus vorziehen, wenn sie erkennen, Konsequenz steht gar nicht ernsthaft zur Wahl. Wenn selbst die Union Steuern erhöht, warum dann nicht bei der SPD bleiben? Vor allem ist zu erwarten, dass Schröder im Fernsehduell mit der Herausforderin die bessere Figur macht. Den immanenten Widerspruch in Merkels Politikangebot zu zeigen, wird er sich nicht nehmen lassen.

Außerdem kann er sich wieder als Friedenskanzler präsentieren. Die Terroranschläge auf London machen es möglich. Die Union hat kaum eine Chance, mit dem Hinweis auf Terroristen einen Angstwahlkampf zu führen, da die Bundesbürger von dieser Angst trotz London noch nicht sehr erfasst sind. Und selbst wenn sie es wären, würden sie Hilfe eher von Schröder erwarten. Der wird ihnen nämlich erklären, dass Terror vor allem den Staaten droht, die im Irak Soldaten stationiert haben, und dass auch Frau Merkel, wäre sie Kanzlerin gewesen, eine Stationierung deutscher Soldaten veranlasst hätte.

Der Abstand der SPD zur Union laut Umfragen ist sicher viel zu groß, als dass er in der kurzen Zeit noch aufgeholt werden könnte. Aber wenn er nur ein wenig verkleinert wird, kann das die Union schon den Sieg kosten. Denn sie wird auch noch von einer anderen Seite bedroht - der Linkspartei. Jedenfalls wäre es gut, wenn diese sich nicht nur auf die SPD einschießen, sondern ebenso um sozial frustrierte CDU- und CSU-Wähler werben würde. Da kann die neue Kraft Erfolg haben, denn es rumort sogar in den Parteigliederungen der Union - schließlich hat auch sie ihren Arbeitnehmerverband -, wie viel mehr dann unter ihren Wählern. An der Seite der SPD wird die Linkspartei nicht kämpfen, im Gegenteil. Aber wenn nicht nur die SPD, sondern auch sie der Union ein paar Prozentpunkte abnimmt, ist die Kanzlerschaft Frau Merkels vielleicht schon verhindert.

Dies allein für sich genommen wäre noch kein lohnendes Wahlziel. Noch mal vier Jahre Schröder, der Merkels Politik mit dieser oder jener Verzögerung durchführt - um Gottes willen! Aber nicht nur Merkel, auch Schröder hätte dann verloren. Keiner der drei Parteiblöcke im Parlament hätte eine Mehrheit: nicht Rotgrün, nicht Union-FDP und natürlich am wenigsten die Linkspartei, zu der sich WASG und PDS zusammenschließen. Franz Müntefering stellt das schon jetzt in Rechnung und kündigt für einen solchen Fall die Große Koalition an. Eine Große Koalition im Wahlkampf gegen die Linkspartei gibt es übrigens schon jetzt. Sie wird dieser mehr nützen als schaden, denn das Gerede vom “Populismus” Gysis und Lafontaines ist allzu dumm. Was ist populistisch an dem Hinweis, dass Deutschlands westeuropäische Nachbarn weniger Steuergeschenke an Unternehmer verteilen als wir?

Eine Regierung der Großen Koalition wäre sogar ein kleiner Fortschritt, denn dann hätten wir wieder eine richtige parlamentarische Demokratie mit Regierung und Opposition, die den Namen verdienen. Im Widerstand gegen diese Regierung wären starke Gewinne für die Linkspartei in den nächsten Jahren zu erwarten. Das könnte dazu führen, dass die SPD endlich erwacht und sich aus der neoliberalen Umklammerung löst. Auch der Erneuerungsprozess der Grünen könnte sich beschleunigen, und es bestünde Hoffnung, dass er doch eher nach links als nach rechts tendiert. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 29 vom 22.07.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und des Verlags.

Veröffentlicht am

24. Juli 2005

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