“Nie wieder Hiroshima und Nagasaki! Nie wieder Hibakusha! Frieden schaffen, ohne Waffen!”60 Jahre Hiroshima und Nagasaki - Atomwaffen abschaffen!Von Michael Schmid - Rede am 8. August 2005 bei einer Mahn- und Gedenkveranstaltung in Gammertingen (Kreis Sigmaringen) Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, ich begrüße Euch bei unserer Gedenk- und Mahnveranstaltung anlässlich der Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki. Wenn wir uns heute hier in kleinem Kreis versammeln, dann können wir wissen, dass wir nicht alleine sind. In den vergangenen und den kommenden Tagen erinnerten und erinnern weltweit Opfer, Hinterbliebene, viele Friedensgruppierungen sowie einzelne Menschen an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und fordern umfassende atomare Abrüstung. Alleine in Deutschland sind es weit über 200 Veranstaltungen in diesen Tagen. Es war vor genau 60 Jahren, am 6. und 9. August 1945, da gab es zwei Riesenblitze über Hiroshima und Nagasaki. Die Menschen wussten nicht, was los war. Aber von einem Moment auf den anderen wurden sie in eine Hölle gestürzt. Die vernichtenden Feuerbälle und die Druckwellen der Atombomben richteten verheerende Zerstörungen an. Die Städte wurden regelrecht verschluckt. Zigtausende Menschen fanden dadurch den sofortigen Tod. Wer sich in der Nähe des Epizentrums aufgehalten, aber die atomare Apokalypse zunächst überlebt hatte, blieb meist schwer verletzt und hilflos zurück, als Opfer von Verbrennungen und Verstrahlungen. Vor allem die radioaktive Strahlung der Atombomben verursachte ein nie gekanntes Leiden unter jenen Menschen, die nicht sofort tot waren. HibakushaDie völlig ungewöhnliche Situation, in der sich die überlebenden Opfer der Atombombenabwürfe befanden und heute noch befinden, hat eine besondere Bezeichnung für sie entstehen lassen: “Hibakusha”. Ich möchte hier eines der überlebenden Opfer zitieren, Kazuo Soda, der vor ein paar Tagen in einer Rede in Dortmund wie folgt berichtete, was er als damals 15jähriger Junge in Nagasaki erlebt hat:
Wieviele Menschen tatsächlich in Hiroshima und Nagasaki durch die Atombombenangriffe sofort getötet oder später an den Folgen starben, lässt sich nicht genau sagen. Es muss jedenfalls von mehreren hunderttausenden Toten ausgegangen werden. Erst gegen Ende der 50er Jahre bekamen übrigens Hibakushas Hilfe durch die japanische Regierung. Allerdings werden nur relativ wenige als Strahlenopfer anerkannt, nämlich 0,8 Prozent der Hibakushas. Betroffen waren übrigens nicht nur Japaner, sondern auch US-amerikanische Kriegsgefangene und koreanische Zwangsarbeiter. Letztere, schätzungsweise 10 % der Bevölkerung in Hiroshima, vermutlich 20.000 bis 30.000 Tote in Hiroshima und Nagasaki, wurden, als Opfer zweiter Klasse marginalisiert und stigmatisiert, erst in den 1990ern offiziell anerkannt. Heute gibt es in Japan noch an die 290.000 Hibakusha, in Korea noch ca. 40.000. Das vor 60 Jahren angerichtete Leiden setzt sich also weiter fort. Warum wurden die Atombomben abgeworfen?Es ist höchst umstritten, warum die Atombomben auf die beiden japanischen Städte abgeworfen wurden. Auch in diesen Tagen wird häufig wieder die Begründung verbreitet, welche sich der amerikanische Präsident Truman zur Rechtfertigung zurecht gelegt hatte: um die japanische Regierung zur raschen Kapitulation zu zwingen und somit bis zu 500.000 amerikanische Soldatenleben zu retten, die bei einer Invasion angeblich ums Leben gekommen wären. Diese Version ist aber nichts anderes als Propaganda. Die japanische Regierung war ohnehin bereits drauf und dran, zu kapitulieren. Ich halte die Hypothese für am Wahrscheinlichsten, dass Truman die Atombomben auf die beiden japanischen Städte werfen ließ, um die Sowjetunion zu beeindrucken und sie von Invasion Japans abzuhalten. Jedenfalls schließe ich mich in der Bewertung dessen, was geschah, dem ehemaligen Oberstleutnant der Bundeswehr, Helmuth Prieß an, der vorgestern in einer Rede in Köln feststellte:
Seit dem 6. August 1945: Leben auf AbrufMit dem Abwurf der Atombomben über Japan ist die ganze Menschheit in einem neuen Zeitalter angekommen. Seit dem 6. August 1945 lebt die Menschheit auf Abruf. Oder wie es der Philosoph Günther Anders ausgedrückt hat: In Hiroshima begann ein neues Zeitalter, “in dem wir in jedem Augenblick jeden Ort, nein, unsere Erde als ganze in ein Hiroshima verwandeln können.” Das also ist das einzigartig Neue an der Atombombe: die Menschheit konnte und kann sich in ihrer eigenen Existenz auslöschen! Daraus wurde bekanntlich nicht die Konsequenz gezogen, diese Massenvernichtungswaffe weltweit zu ächten. Vielmehr wurde ihr Vernichtungspotential zu einem Machtfaktor in der Politik der Staaten gegeneinander entwickelt. Das Atomwaffenmonopol der USA von 1945 bestand nicht lange. Bereits vier Jahre später zog die Sowjetunion gleich. Es bestand die Möglichkeit der gegenseitigen vollständigen Vernichtung, die beschönigend als “atomares Gleichgewicht” bezeichnet wurde. Ein wahnsinniges Wettrüsten führte dazu, dass das weltweite Atomwaffenarsenal zu Hochzeiten des Kalten Krieges ungefähr 60.000 Atomsprengköpfe umfasste. Auch hier mitten auf unserer schönen Schwäbischen Alb, direkt vor unserer Haustüre, gab es solche Massenmordinstrumente: In Großengstingen (Lance) und Inneringen (bis 1983 Pershing IA). Weiter gab es Atomsprengköpfe in Mottschieß bei Pfullendorf und dann natürlich die Pershing II in Mutlangen, Heilbronn und Neu-Ulm. Zum Glück sind diese atomaren Massenvernichtungsmittel wieder weg, glücklicherweise sind sie nie zum Einsatz gekommen. Das mag auch unser subjektives Gefühl beeinflusst haben, dass die Gefahr eines Atomkriegs nicht mehr so groß ist wie bis in die 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein. Aktuelle atomare RisikenDoch dieses Gefühl täuscht. Heute gibt es ca. 28.000 Atomwaffen auf dieser Erde. Auch in Deutschland sind noch ca. 150 amerikanische Atomsprengköpfe stationiert, die teilweise durch die Bundeswehr abgeworfen werden sollen. Die USA und Russland halten ca. 4.000 dieser Atomwaffen in ständiger Alarmbereitschaft, d.h. sie können innerhalb weniger Minuten abgeschossen werden. Nach wie vor existieren also Atomwaffen, bedrohen die Menschheit, könnten diese und sämtliche Lebensformen auf unserem schönen Planeten gleich mehrfach vernichten. Die Atombombe, die Hiroshima zerstörte, war im Vergleich zu modernen Massenvernichtungswaffen fast so etwas wie ein Spielzeug. Die Sprengkraft der Hiroshima-Bombe entsprach etwa 12,5 Kilotonnen (12.500 Tonnen) Trinitrotoluol (TNT). Das ist der stärkste herkömmliche Sprengstoff. So zündeten die USA am 1. März 1954 über dem Bikini-Atoll im Pazifischen Ozean eine 17-Megatonnen-Wasserstoffbombe mit dem Codenamen “Bravo”. “Bravo”, die stärkste amerikanische Waffe, hatte die tausendfache Vernichtungskraft der Bombe von Hiroshima. Die Sprengkraft einer russischen Wasserstoffbombe, die 1961 gezündet wurde, betrug 50 bis 60 Megatonnen TNT-Äquivalent und war damit mehr als 3-4000 mal stärker als die Hiroshima-Bombe. Heutige Wasserstoffbomben, wie sie die USA und Russland besitzen, haben eine Zerstörungswirkung bis zu 750 Kilotonnen TNT - also das 60-fache der Hiroshima-Bombe. Der damalige US-Präsident Eisenhower verkündete übrigens ein paar Tage nach dem “Bravo”-Test öffentlich: “Atombomben können so eingesetzt werden … wie man eine Gewehrkugel einsetzen würde.” Wir können heute nur froh und dankbar sein, dass es nach den Verbrechen von Hiroshima und Nagasaki nie mehr zu einem Atombombeneinsatz gekommen ist! Aber das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. So hat etwa der ehemalige General Lee Butler, in den 90er Jahren immerhin der Oberbefehlshaber des US-Nukleararsenals, am Ende einer jahrzehntelangen Karriere als Militär folgende Wahrheit erkannt: “Am Ende einer drei Jahrzehnte dauernden Reise verstand ich endlich die Wahrheit, die mich jetzt als Außenseiter, als Spielverderber erscheinen lässt. Sie lautet, wir sind im Kalten Krieg dem atomaren Holocaust nur durch eine Mischung von Sachverstand, Glück und göttlicher Fügung entgangen, und ich befürchte, das letztere hatte den größten Anteil daran.” Doch heute sind die atomaren Gefahren nach Ansicht zahlreicher Experten größer als je zuvor. Unter anderem aus folgenden Gründen. Miniaturisierung der AtomsprengköpfeEin Problem mit den ganz großen Atomwaffen ist, dass sie immer auch eine selbstabschreckende Wirkung haben. Wer kann schon diese alles vernichtenden Riesenhämmer einsetzen bzw. deren Einsatz mit Milliarden von Opfern wirklich glaubwürdig androhen? Heute ist die Einsatzschwelle aber viel niedriger. Derzeit ist die Bush-Regierung dabei, so genannte Mini-Nukes zu entwickeln, deren Sprengkraft einige Dutzend Tonnen TNT nicht überschreiten soll. Solche Geschosse könnten sowohl zur Zerstörung verbunkerter Ziele in bewohnten Gebieten, bei der wenig nuklearer Fallout entstehen darf, als auch zur Vernichtung biologischer Waffen eingesetzt werden. Die Miniaturisierung der atomaren Gefechtsköpfe droht die Grenze zwischen herkömmlichen und atomaren Waffen zu verwischen und die Hemmschwelle zum Atomkrieg zu senken. Das heißt also, die Gefahr steigt enorm, dass Atomwaffen eingesetzt werden. Atomkrieg aus VersehenEine atomare Apokalypse droht nicht allein durch die Machtgier von skrupellosen Politikern, sondern vor allem deshalb, weil Warnsysteme versagen oder Irrtümer zu Fehlalarmen in den Atomwaffenstaaten führen. Nur zu oft konnte in den vergangenen Jahrzehnten eine atomare Konfrontation erst in buchstäblich vorletzter Minute abgewendet werden. Erinnert ihr euch, was ihr zum Beispiel am 25. Januar 1995 gemacht habt? Es hätte der letzte Tag des Lebens auf dieser Erde sein können. An diesem Tag hat der russische Präsident Boris Jelzin etwa 4 Minuten Zeit, um auf einen als Angriff auf Russland gedeuteten Flugkörper zu reagieren. Tatsächlich aber haben norwegische und amerikanische Wissenschaftler eine Rakete für die Datensammlung in der Erdatmosphäre gestartet. Die Flugbahn erscheint russischen Radartechnikern der einer US-Trident-Rakete zum Verwechseln ähnlich. Für einige Minuten steht Russland kurz davor, zum nuklearen Gegenschlag auf die USA auszuholen, bevor sich der Irrtum aufklärt. Nach Aufklärung des Irrtums sagt Jelzin später selbst, dass er sich bereits über die Aktivierungscodes der russischen Atomsprengsätze informiert hatte. Das konnte nur wegen technischer Mängel der Russen passieren? Nein, diese Fehler gab es auf beiden Seiten. So ereignet sich z.B. ein gefährlicher Zwischenfall am 9. November 1979 als die Wachhabenden in der Kommandozentrale des Pentagon, in den Cheyenne Mountains, sowie im zweiten Zentrum, in Fort Ritchie (Maryland), eine atomare Attacke der Sowjetunion auf ihren Computern ausmachen. Erste Angriffswarnungen gehen an die Kontrollzentren für die Minuteman-Raketen und die ebenfalls alarmierte Luftwaffe startet unverzüglich zehn atomar bestückte Kampfflugzeuge, um die feindlichen Missiles abzufangen. Gerade noch rechtzeitig stellt sich heraus - der Fehlalarm ist durch ein irrtümlich eingelegtes Trainings-Tonband ausgelöst worden. Die Recherchen von Greenpeace und der norwegische Umweltstiftung Bellona ergeben, dass sich bis 1989 mindestens 1.200 schwere Unglücksfälle ereigneten. In den Einsatzkonzepten einer sofortigen Abschussbereitschaft und eines Abschusses vor Eintreffen möglicher gegnerischer Flugkörper sind inzwischen die fortgeschrittensten Raketentypen innerhalb von 15 Minuten startbereit. Diese kurzen Vorwarnzeiten steigern das Risiko einer irrtümlichen Anwendung ins Unermessliche. Die Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen existiert weiter. Weiterverbreitung von AtomwaffenDie Atomkriegsgefahr steigt auch, weil zu befürchten ist, dass die Zahl der Atomwaffenstaaten zunehmen wird. Heute gibt es acht bis neun Staaten, die über Atombomben verfügen: die USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan und Israel sowie - nach eigenen Angaben - Nordkorea. Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation, Mohamed El Baradei warnt davor, dass wir ohne atomare Abrüstung mit 20 bis 30 Ländern rechnen müssen, die in den kommenden 10 bis 20 Jahren ihre technischen Fähigkeiten so weit vorantreiben, dass sie ihre zivile Atomenergieproduktion in wenigen Wochen auf ein Atomwaffenprogramm umstellen können. Wir befinden uns derzeit genau auf diesem Weg der unbegrenzten Weiterverbreitung von Atomwaffen. Nicht zuletzt ist es die Angst vor einer US-Invasion, die dazu führt, dass immer mehr Staaten eine Gegenwehr durch atomares Drohpotenzial aufzubauen versuchen werden. Durch den Betrieb von weltweit 438 Atomkraftwerken ist der Teufelskreis der Weitergabe atomarer Technologie kaum noch beherrschbar. Dies macht deutlich, dass sowohl ein Ausstieg aus der Erzeugung von Atomenergie notwendig ist, als auch eine völlige Umkehr in der Politik der Atomwaffenstaaten, um künftige Atomkatastrophen zu verhindern. Allerdings hat vor allem die US-Regierung gerade dafür gesorgt, dass die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Mai in New York kläglich gescheitert ist. NuklearterrorismusEine weitere Gefahr besteht im Nuklearterrorismus. Terroristen könnten in den Besitz von hochangereichertem Uran kommen und damit einen einfachen Atomsprengkörper zünden. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch noch festzuhalten: 438 Atomkraftwerke sind 438 potentielle Ziele für Terroristen. Die atomaren Gefahren sind also riesengroß. Nach Ansicht zahlreicher Experten größer als je zuvor. Das sollten wir uns selber bewusst machen und dafür sorgen, dass diese Risiken noch mehr Menschen bewusst werden! Atomaren Schreckensszenarien Vision von “Atomwaffenfrei 2020” entgegensetzenMit einem Weltappell zum 60. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki warnen ihre Bürgermeister sowie internationale Friedensstreiter vor dem Vergessen des “höllischen Endes” der Atombombenabwürfe. Sie stellen darin fest: “Die große Mehrheit der Menschen und Nationen auf dieser Erde wollen Atomwaffen für immer abgeschafft haben. Es ist technisch machbar, diese teuren, ruchlosen und absurd gefährlichen Waffen bis zum Jahr 2020 abzuschaffen. Alles was es braucht ist politischer Wille - und wir sind die Mehrheit. Es ist an der Zeit, uns, unsere Kinder und deren Kinder von der unerträglichen, skrupellosen Gefahr der Vernichtung zu befreien. Bitte teilen Sie ihren Politikern mit, dass Sie nichts Geringeres akzeptieren werden.” Spricht nicht vieles dafür, dass eine atomwaffenfreie Welt sich als weltfremder Traum erweisen könnte? Kann sein. Aber nur wer das Unsichtbare sieht, kann das Unmögliche schaffen. Lasst uns deshalb den atomaren Schreckensszenarien unsere Vision entgegensetzen: Atomwaffenfrei bis 2020. Sehen wir das Unsichtbare, schaffen wir das Unmögliche! Schaffen wir eine Welt ohne Atomwaffen! “Nie wieder Hiroshima und Nagasaki! Nie wieder Hibakusha! Frieden schaffen, ohne Waffen!” Was kann jede und jeder von uns tun?Hier ein paar Anregungen, was unter anderem gemacht werden kann:
Vielen Dank für das aufmerksame Zuhören! Weitere Reden, Berichte, Hinweise zum Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2005
Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|