Themenpark TodVon Robert Fisk - The Independent / ZNet 21.08.2005 Vergangenen Montag pries George Bush jene geldgierigen, sektiererischen Politiker des Irak, die völlig unfähig sind, eine Verfassungs-Deadline einzuhalten. Sie hätten sich heroische Verdienste um die “Demokratie” erworben, so Bush. Zur selben Zeit treffe ich in einem der bekanntesten Bagdader Hotels einen Freund, der hier als stellvertretender Geschäftsführer arbeitet; wir kennen uns seit über drei Jahren. Er macht einen gealterten Eindruck - wirkt, als wäre er doppelt so alt, wie er tatsächlich ist. Er packt mich am Arm, sieht mir ins Gesicht: “Mr. Robert, haben Sie gewusst, dass ich entführt wurde?” Fast jeden Tag erzählen mir Bekannte, die ich im Irak treffe, sie seien Opfer einer Entführung geworden - oder der Cousin eines Freundes oder dessen Vater oder Sohn. Häufig kommen die Entführten wieder frei. Manche werden aber auch ermordet. Dann steht mir, dem Mann aus dem Westen, ein besonders schwerer Gang bevor - ich muss in die Familien und mein Beileid aussprechen. Ich, der Westler, betrete das Heim von Menschen, die dem Westen die Schuld für das Chaos geben, dem ihre Angehörigen zum Opfer fielen, um ihnen mein Beileid auszusprechen. Mein Freund hat überlebt - knapp. Tags darauf besucht mich ein anderer guter Freund zum Kaffee, ein Universitätsprofessor. Ich nenne in diesem Artikel keine Namen - was Ihnen deutlich macht, welcher Terror in Bagdad herrscht. Er erzählt: “Ich hatte die Aufsicht in der Semesterabschlussprüfung im Fachbereich Linguistik und sah, wie ein Student mogelte. Ich ging hin zu ihm und sagte, ich glaube, Sie schreiben ab. Nein, sagte er. Ich sagte, ich werde Ihr Blatt jetzt an mich nehmen. Er beugte sich zu mir rüber und sagte, wenn Sie mich nicht zu Ende schreiben lassen, werden Sie ermordet. Ich ging zum Fachbereichsleiter - in der Annahme, er würde den Mann maßregeln und ihm seine Arbeit wegnehmen. Stattdessen ging er zu ihm und sagte, Sie können Ihre Prüfung zu Ende schreiben. Mein eigener Fachbereichsleiter hat mich komplett im Stich gelassen”. Mein Freund, der Professor, liebt englische Literatur. Aber er hat noch ein Problem. “Viele Studenten sind inzwischen sehr islamisch orientiert. Sie wollen einen Unterricht aus der Perspektive ihrer Religion. Was soll ich machen? Ich kann nicht mehr über Existenzialismus lehren, weil der in den Augen dieser Leute antiislamisch ist - nie mehr Sartre, heißt das. Diese Leute stellen mir zum Beispiel die Frage, welche religiöse Aussage haben die Stücke von Eugene O’Neill? Was soll ich da antworten? Ich kann nicht mehr unterrichten. Verstehst du, ich kann nicht mehr unterrichten”. Seit der “Befreiung” Bagdads im April 2003 wurden im Irak 180 Professoren und Lehrer ermordet. Kurz nach dem Besuch des Professors ruft mich einer seiner Kollegen an. “Vor zwei Tagen wurde der alte Amin Yassin entführt - zusammen mit seinem Sohn.” Anders als viele Kollegen war Amin nie in der Baath-Partei gewesen. Amin ist Emeritus der Linguistik. Er gibt an der Bagdader Universität (Fachbereich Englisch) immer noch Grammatikkurse. Sein 30jähriger Sohn ist Lehrer an einer weiterführenden Schule. Beide wurden im Viertel Khavraha, 7 Meilen außerhalb Bagdads, entführt. Am Donnerstag starben an der Bushaltestelle an-Nahda 43 Menschen - zerrissen von insgesamt zwei Bomben. Fast alle Toten sind Schiiten. Im al-Kindi-Krankenhaus hört man die Schreie der Angehörigen der Vermissten, die die Toten identifizieren. In der Nähe des Krankenhauses explodiert eine weitere Bombe. Ein Problem: Die Mitarbeiter der Leichenhalle schaffen es nicht, die richtigen Glieder an den richtigen Torso zu nähen oder den richtigen Kopf auf den richtigen Körper. Ich eile ins Palestine Hotel, wo eine der größten westlichen Nachrichtenagenturen ihren Sitz hat. Mit dem Aufzug fahre ich ins Obergeschoss. Ein Wächter und eine Stahlwand blockieren den Hotelflur. Der Wärter durchsucht mich, gibt meine Visitenkarte nach drinnen weiter. Nach ein paar Minuten mustert mich ein irakischer Wächter durchs Gitterfensterchen, dann öffnet sich die Stahltür. Ich gehe hinein - nur, um vor einer neuen Stahlwand zu stehen. Die innere Tür öffnet sich erst, nachdem der Wächter die äußere geschlossen hat. Ich stehe im Hotelflur - ein alter, moderiger Korridor. Die Reporter sitzen in einem Raum mit einem kleinen Fenster mit Blick auf den Tigris. Einer aus dem amerikanischen Team gibt zu, “seit Monaten” nicht mehr draußen gewesen zu sein. Die Straßenreportagen erledigt ein arabischer Reporter für sie. Ein anderer Amerikaner reist zwar im Land umher - aber nur “eingebettet” mit den US-Truppen. Kein einziger amerikanischer Journalist dieses Büros begibt sich auf die Straßen Bagdads. Ich habe einmal das Wort “Hoteljournalismus” benutzt. Falsch, das hier ist Gefängnisjournalismus. Einer der Amerikaner kommt auf mich zu - ein guter alter, tapferer Freund von mir aus Beiruter Tagen. “Schau dir das mal an, Fisky”, sagt er, “die Art von Zeugs, geben uns die Amerikaner in letzter Zeit - das sollen wir schreiben”. Er zeigt mir einen Nachrichtentext aus dem Pressebüro der Koalition (von den Spindoktoren der hiesigen Okkupationstruppen also). Auf dem Blatt steht: “Comics bringen Task Force Bagdad sehr zum lachen”. Ich fahre durch Bagdad und gerate in einen großen Verkehrsstau. Die Iraqi National Guard (sprich: Iraker, die von den Amerikanern ausgebildet werden, um Donald Rumsfelds Karriere zu retten bzw. damit die Amerikaner ihre eigene Truppenstärke reduzieren können) errichtet einen Checkpoint. Die meisten der Gardisten sind so ängstlich, dass sie Skimasken über dem Mund tragen. Ich traue der Iraqi National Guard nicht - kein Iraker, den ich getroffen habe, tut das. Die Garde ist sowohl von sunnitischen als auch schiitischen Aufständischen unterwandert. Zudem hat sie die hässliche Angewohnheit, in den Sunnitenvierteln Häuserrazzien durchzuführen, bei denen die männlichen Mitglieder des Haushalts verhaftet und alles Geld, das man im Haus findet, gestohlen wird. “Zuerst haben sie meinen Sohn verhaftet, dann haben sie mir all meinen Schmuck genommen”, beschwert sich eine Frau im Fernsehen. Der arabische Satellitensender, der ihre Aussage ausstrahlt, hatte die Käuflichkeit der Milizen untersucht. Zurückgekehrt schalte ich den Fernseher an. Auf BBC ein Bericht über eine “Elite”-Truppe der Iraker, die in Großbritannien ein Training im Antiterrorkampf absolviert. Man sieht die Jungs mit Laubtarnung am Helm in den Waliser Bergen über Hecken und kühle Bäche hüpfen. Freitagnacht. Im Herzen des riesigen, backofenheißen Bagdad liegt die Grüne Zone: 10 Quadratkilometer abgeriegelte Palastgebäude, Villen, Gärten, umgeben von Wällen und Barrikaden. Hier erhob sich früher das Maharadscha-ähnliche Zentrum des Hussein-Regimes. Heute sind hier die irakische Regierung, das Verfassungskomitee, die amerikanische und britische Botschaft sowie Hunderte von Söldnern untergebracht. Viele haben noch nie einer Iraker getroffen. Frauen in Shorts joggen neben Rosenbeeten. Weibliche und männliche Bewaffnete - sogenannte “Vertragsarbeiter” - sieht man am Pool liegen. Mindestens drei Restaurants gab es hier mal - bis eines von einem Selbstmordattentäter in die Luft gejagt wurde. In einem Laden kann man Telefonzubehör, Zeitungen und DVD-Pornos kaufen. Aus taktischen Gründen sahen sich die Amerikaner gezwungen, auch mehrere Dutzend irakische Mittelklassehaushalte in die Grüne Zone zu integrieren. Viele Bewohner dieser Häuser sind empört. Oft müssen sie stundenlang warten, um die Sicherheitscheckpoints passieren zu können. Aber die größte Ironie: Auch das Grab des Gründers der Baath-Partei (die es nicht nur im Irak sondern auch in Syrien gab), Michel Aflaq, liegt mitten in der Grünen Zone. Wie gesagt, es ist Freitagnacht. Die Kreuzfahrerburg Grüne Zone ist wie üblich in Flutlicht getaucht. Ich betrachte den Sternenhimmel über Bagdad. Plötzlich ein dumpfer Knall und ein Lichtblitz aus der Grünen Zone. Ganz in meiner Nähe hat jemand eine Mörsergranate auf das beleuchtete Aquarium Grüne Zone abgefeuert - für alle Iraker das Symbol der Besatzung schlechthin. Viele fragen sich, was aus der Grünen Zone wird, wenn dieses ganze westliche Konstrukt kollabiert. Einige tippen auf das künftige irakische Parlament, wieder andere gehen davon aus, dass hier das neue Hauptquartier der Aufständischen entsteht. Mein persönlicher Tipp: Sobald die Besatzung kollabiert, entsteht hier ein Themenpark (ganz gleich, wer dann im Irak regiert), vielleicht aber auch lediglich ein Museum. Quelle: ZNet Deutschland vom 23.08.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Theme Park Death Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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