Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Potsdamer Manifest 2005: “We have to learn to think in a new way”

Im Zusammenhang mit internationalen Konferenz “Einstein weiterdenken” vom 14. bis 16.10.2005 in Berlin wurde das “Potsdamer Manifest 2005” präsentiert, das von über 50 internationalen Wissenschaftlern unterstützt wird. Das Dokument versteht sich in direkter Nachfolge des “Russell-Einstein-Manifests” , das vor 50 Jahren erschien. Angesichts der atomaren Aufrüstung mahnte es die Abkehr von bewaffneten Konfliktlösungen an. Die Begründung: Der Einsatz von Wasserstoffbomben bedrohe die Existenz der gesamten Menschheit. Die Forderung: Abbau der Atomwaffen-Bestände. Das Dokument, das er kurz vor seinem Tod unterzeichnete, war der letzte Appell von Albert Einstein. Es wurde gewissermaßen zu seinem Vermächtnis an die Menschheit. Geschrieben hatte den Text der Philosoph Bertrand Russell. Nach einem Briefwechsel mit Einstein wurde das Manifest von Einstein, Russell und neun weiteren renommierten Wissenschaftlern unterzeichnet.

Jetzt hat Prof. Dr. Hans-Peter Dürr zusammen mit Dr. Daniel Dahm und Prof. Dr. Rudolf Prinz zur Lippe eine “Potsdamer Denkschrift 2005” verfasst, die an der Forderung: “We have to learn to think in a new way” des “Russell-Einstein-Manifestes” von 1955 anknüpft. Hauptanliegen dabei ist, sich nicht mit einer Auseinandersetzung der vielfältigen Krisensymptome zu begnügen, sondern sie nach ihren tieferen Ursachen zu hinterfragen und zu deren Bewältigung Neuorientierungen aufzuzeigen. Zusätzlich zu der längeren, erklärenden “Denkschrift” werden deren Inhalte komprimiert in einem provokativen “Potsdamer Manifest 2005” vorgestellt, das wir hier dokumentieren.

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Potsdamer Manifest 2005

“We have to learn to think in a new way”

Angesichts der weltweiten Gefahren nuklearer Kriege forderten Bertrand Russell und Albert Einstein in ihrem Manifest vor fünfzig Jahren, uns, die Menschheit, zu einem neuen Denken auf, das Krieg als Strategie der Konfliktlösung endgültig bannt.

Inzwischen wurde unverkennbar, dass die militärische Machtstrategie mit ihrer vorläufigen Kulmination in Massenvernichtungswaffen nur eine von viel breiter greifenden und tiefer angelegten Machtstrategien ist. Wir erleben eine Eskalation von struktureller Gewalt mit politischen und vor allem wirtschaftlichen Komponenten. Geopolitische, soziokulturell wie ökonomische Machtstrategien, die unbegrenzte Expansion globalisierter Marktwirtschaft und ihrer Produktivitätszwänge bedrohen und zerstören die räumliche und stoffliche Begrenztheit unserer Erde. Die zerstörerischen Auswirkungen einer hemmungslosen und unreflektierten Zivilisation im Zusammenleben der Völker, in den Wechselbeziehungen zwischen Gesellschaft und Natur und, nicht zuletzt, in den einzelnen Menschen sind offenkundig. Jahrhunderte lang wurde die Ausbeutung von Menschen und Völkern und der Raubbau an Natur als Nebenwirkung, schlimmer noch, als hinzunehmendes Übel wahrgenommen. Hoffnungen und Erfolge aus der Entwicklung besserer und großspuriger Voraussetzungen für ein leichteres Leben und die daraus folgende weitgreifende Aneignung der Welt verschleierten, welche unmittelbaren Opfer und schleichenden Verheerungen bereits in den frühen Phasen mit solcher Macht verbunden waren. Heute ist offensichtlich, dass einseitiges Betreiben dieser Erfolge zugunsten der europäisch-nordamerikanischen Initiatoren der neuen Zivilisation und ihrer Nachahmer rund um die Welt auf einen kalten Krieg gegen alle und alles hinaus läuft, was zu Ressourcen für eine Steigerung materieller Bemächtigung gemacht werden kann oder solche Bemächtigung zu behindern scheint. Besonders bedrohlich ist dabei eine beschleunigte Zerstörung der bioökologischen Diversität von ganzen Lebenskomplexen in einem in der Erdgeschichte wohl einmaligen Ausmaß. Aber auch die Vielfalt menschlicher Lebensformen und der Reichtum der Kulturen wird auf ähnliche Weise irreversibel reduziert, und damit die Breite möglicher Strategien, Lebensstile und zukünftiger Entwicklungen. Die Konflikte um die Verteilung von Wohlstand, der Möglichkeiten des Zugangs zu öffentlichen Gütern, der Rechte der Individuen und Gemeinschaften gefährden den Zusammenhalt und die Entwicklungsfähigkeit der Menschheit in ihren Grundstrukturen.

Diese vielfältigen Krisen, mit denen wir heute konfrontiert sind und die uns zu überfordern drohen, sind Ausdruck einer geistigen Krise im Verhältnis von uns Menschen zu unserer lebendigen Welt. Sie sind Symptome tiefer liegenden Ursachen, die wir bisher versäumten zu hinterfragen und aufzudecken. Sie hängen eng mit unserem weltweit favorisierten materialistisch-mechanistischen Weltbild und seiner Vorgeschichte zusammen.

Unsere tiefe Sorge, dass wir, als Angehörige der Species Homo sapiens, die lebendige Vielfalt unserer Erde und unsere kreativen Entfaltungsmöglichkeiten immer weiter reduzieren und unser Überleben in Frieden und gemeinsamen Austausch irreversibel gefährden, gibt uns den Mut zu dieser Schrift, und unsere Erkenntnis, neue Pfade einschlagen zu müssen, den Anlass dazu.

Wir müssen unser Denken erweitern und unser jetziges Verhalten grundlegend korrigieren. Hierbei können, so glauben wir, gerade die revolutionär erweiterten Einsichten der neuen Physik einen hilfreichen Einstieg für eine Entschärfung und Lösung der Problematik liefern, da sie durch ihre Öffnung eine Neuorientierung erlauben. Das wird unser Ansatz sein. Er soll jedoch auch als ein ‘Katalysator’ dienen, Andere zu neuem Denken anzuregen.

Neue Orientierung

Die Einsichten der modernen Physik, der ‘Quantenphysik’, legen eine Weltdeutung nahe, die grundsätzlich aus dem materialistisch-mechanischen Weltbild herausführt. Anstelle der bisher angenommenen Welt, einer mechanistischen, dinglichen (objektivierbaren), zeitlich determinierten ‘Realität’ entpuppt sich die eigentliche Wirklichkeit (eine Welt, die wirkt) im Grunde als ?Potenzialität’, ein nichtauftrennbares, immaterielles, zeitlich wesentlich indeterminiertes und genuin kreatives Beziehungsgefüge, das nur gewichtete Kann-Möglichkeiten, differenziertes Vermögen (Potenzial) für eine materiell-energetische Realisierung festlegt. Die im Grunde offene, kreative, immaterielle Allverbundenheit der Wirklichkeit, erlaubt die unbelebte und auch die belebte Welt als nur verschiedene - nämlich statisch stabile bzw. offene, statisch instabile, aber dynamisch stabilisierte - Artikulationen eines ‘prä-lebendigen’ Kosmos aufzufassen.

Die in der Mikrowelt herrschenden immateriellen, informations-tragenden, prä-lebendigen Verknüpfungen werden nur indirekt auf der Meso-Ebene unserer Erfahrungswelt wirksam. Gewöhnlich werden sie ausgemittelt und führen in dieser ‘verwaschenen’ Form zu dem uns wohl-vertrauten ‘klassischen’ Verhalten des Unbelebten. Instabilität wirkt jedoch wie ein enormer Verstärkungsfaktor, was eine Ausmittelung verhindert: Das Lebendige, wie es uns in unserer Erfahrungswelt begegnet, bezieht seine Fähigkeit zur fortwährenden schöpferischen Differenzierung und kooperativen Integration aus seinem ‘prä-lebendigen’ (mikrophysikalisch erkennbaren) Urgrund; dessen ‘Informationen’ steigen durch Instabilitäten verstärkt in die Mesosphäre auf und entfalten sich dort schöpferisch in intensiver und reicherer Form. Das ‘Prä-lebendige’ organisiert sich so in der komplexen Vielheit unserer ‘höheren’ bioökologischen Lebendigkeit, wie sie uns in unserem täglichen Leben begegnet. Auch die kulturökologische Vielfalt mit ihren Entwicklungsformen, das heißt ihren Wandlungs- und Ausgleichsprozessen, resultiert letztlich aus diesem Zusammenhang.

Eine solch neue Sichtweise öffnet uns auch die Möglichkeit, Kreativität und die Gabe absichtsvollen und gemeinschaftsbezogenen Handelns für uns Menschen als genuin (nicht eingebildet) zu erkennen und daran auch zu glauben. Diese Sichtweise enthält die Basis für unser Streben nach Freiheit und Entfaltung von Individualität und erlaubt uns, anders sein zu können, ohne dabei die zu Grunde liegende Allverbundenheit zu verlieren. Diese äußert sich in einer eingeprägten Neigung, unsere besonders ausgebildeten Fähigkeiten kooperativ mit anderen zu einem höheren Ganzen ?organismisch’ einzubringen.

Neues Denken

“Wir müssen lernen, auf neue Weise zu denken.” Wenn wir diese Forderung radikal ernst nehmen, müssen wir neue oder ungewohnte Wege des Lernens beschreiten. Aus neuer Sicht stellt sich die Welt, die Wirklichkeit, nicht mehr als ein theoretisch geschlossenes System heraus. Dies führt zu einer eingeprägten Unschärfe, die aus der fundamentalen Unauftrennbarkeit resultiert und in einer prinzipiellen Beschränkung des ?Wissbaren’ zum Ausdruck kommt. Wir sind dadurch gezwungen über die Wirklichkeit, streng genommen, nur in Gleichnissen sprechen zu können. Es gibt prinzipiell nicht mehr auf alle Fragen, die wir aus unserer menschlichen Sicht glauben stellen zu können, Antworten, da diese ins Leere stoßen. Der einzelne Mensch, wie alles Andere auch, bleibt prinzipiell nie isoliert. Er wird im allverbundenen Gemeinsamen in seiner nur scheinbaren Kleinheit zugleich unendlich vielfältig einbezogen und bedeutsam. In all unserem Handeln wirkt die Vielzahl von Einflüssen und Impulsen anderer Menschen und unserer Geobiosphäre mit, und nicht nur über die durch unsere Sinne vermittelte Brücke materiell-energetischer Wechselwirkungen, sondern auch direkt über die allen gemeinsame immaterielle potenzielle Verbundenheit. Unser Handeln beeinflusst gleichermaßen auch wieder die gesamte gesellschaftliche Verfasstheit und verändert die sich ständig dynamisch wandelnde Potenzialität der lebendigen Wirklichkeit. So ist die Einzigartigkeit des Einzelnen tragender Bestandteil unseres gemeinschaftlichen kulturellen Evolutionsprozesses.

Wir Menschen und menschliche Gemeinschaften repräsentieren mit unseren kulturellen Ideenwelten, unseren geistigen schöpferischen Prozessen und unserem bewegten Austausch eine besondere, tief verbundene Sphäre der belebten Welt. Prä-Lebendigkeit ist ein Wesenszug von Allem, auch der dinglichen - gewöhnlich als ‘tot’ begriffenen - Wirklichkeit. Wir sind angehalten, in einem grundlegend neuen Denken zu einem umfassenderen Verständnis unserer Wirklichkeit zu gelangen, in der auch wir uns als Faser im Gewebe des Lebens verstehen, ohne dabei etwas von unseren besonderen menschlichen Qualitäten opfern zu müssen. Damit wird es möglich, die Menschen in grundlegender Gemeinsamkeit mit der übrigen Natur zu erkennen, ohne dabei in einen konventionellen Naturalismus zu verfallen oder sich einfach auf Kosmologien zu berufen, die dem Weltbild und den Lebensformen naturnaher Kulturen entsprochen haben mögen.

Das materialistisch-deterministische Weltbild der klassischen Physik wurde mit seinen starren Vorstellungen und reduktiven Denkweisen zur vorgeblich wissenschaftlich legitimierten Ideologie für große Bereiche des wissenschaftlichen und politisch-strategischen Denkens. Die fortschreitende Gleichschaltung aller Wert- und Wohlstandsvorstellungen, Konsumgewohnheiten und Wirtschaftsstrategien nach dem Muster einer westlich-nordamerikanisch-europäischen Wissensgesellschaft wird weiterhin noch über ein Denken legitimiert, welches auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Fundamente für eine rationale ‘Objektivierbarkeit’ der Wirklichkeit argumentiert. Wo Konflikte auftreten, wird ein Mangel an Verfügungswissen konstatiert, das nachgeliefert werden muss. Nach den Grundlagen der Orientierung wird wenig gefragt, obwohl es Anlass genug dazu gibt.

Die modernen Gesellschaften befinden sich in einem kalten Krieg gegen Vielfalt und Wandel, Differenz und Integration, gegen offene Entfaltung und die Ausgleichsbewegungen durch Risiken und Chancen hindurch: also gegen alles, was die lebendige Evolution in der Natur und mit ihr die Menschen bestimmt, bis hinein in den ‘prä-lebendigen’ Grund, der uns und alles Leben trägt. Die vielen Möglichkeiten einer lebendigen Welt werden ignoriert, die in kreativen Prozessen einer fortwährenden Differenzierung und gleichzeitigen oder nachfolgenden kooperativen Integration des Unterschiedlichen (einem Plus- Summen-Spiel) zu organismisch vielfältigeren Lebensformen aufwachsen, wo das Ganze, in einem sehr umfassenden und differenzierten Sinne, mehr ist als die Summe seiner Teile.

Stetiger Wandel ist ein Charakteristikum kultureller Evolution und ebenso ein Kriterium für kulturelle Zukunftsfähigkeit. Wenn dieser fehlt, ist ein Erstarren eines Kulturmodells bis zum Zusammenbruch vorbestimmt. Ist die Wandlungsfähigkeit, die Fähigkeit zum kulturell evolutiven Prozess, über die kulturinternen Strukturen fest an ökonomische Systeme gebunden und sind diese hauptsächlich an materielle Ausgangsvoraussetzungen geknüpft, dann kann eine kulturelle Weiterentwicklung nur in den Grenzen der materiellen Welt stattfinden. Werden diese Grenzen erreicht, führt dies zum kulturell-evolutiven Stillstand und letztlich zu einem Ausstieg aus der dynamischen Evolution des Lebens.

Die Quantenphysik - und nicht nur sie - fordert uns auf, unser Denken in starren Strukturen grundsätzlich so zu emanzipieren, dass flexible Beziehungen an deren Stelle treten können. Auflockerung und sanfte Auflösung monostruktureller, zentralistischer Konstruktionen, die bevorzugte Ausdrucksformen des materialistisch-mechanistischen Weltbildes sind, werden möglich. Die Vernichtung aller anderen Werte durch den Mechanismus der Märkte, wo machtförmige Stärke absoluten Vorrang fordert vor Entfaltung und Gerechtigkeit, verliert endgültig ihre liberale Legitimation. Im neuen Denken verbindet sich die Fülle unserer Wahrnehmungsvermögen und geistigen Bewegungen; bewusste wie unbewusste Motive für menschliches Denken und Handeln werden gleichermaßen anerkannt. Damit zeichnet sich eine neue evolutionäre Ebene ab, in der eine komplexe, nicht fragmentierte Wirklichkeitswahrnehmung, so etwas wie ‘Ahnung’, das Fundament unseres Denkens, Fühlens und Handelns bildet. So können wir unsere Ziele und Strategien in Muster und Bewegungen angepassten Wirkens verwandeln.

Lernen braucht dringend lebende Vorbilder. Aber es sind nicht nur die Lehrenden oder geistigen Führer, die uns Wege weisen. Wir alle sind auch Einsichtige, die einander erinnern können, was in uns an Vermögen angelegt ist, und aus dem heraus seit Urzeiten schon in vielen Leben erfolgreich gelebt wurde. Im gemeinsamen Dialog, in einer Lernkultur der Gegenseitigkeit, können wir als Species daraus schöpfen. Die in Wechselwirkung zum bewegten Lebenskomplex Erde gewachsenen, über Jahrmilliarden dynamisch angepassten und ‘geprüften’ Organisationsmuster und -formen lebendiger Strukturen und Biokomplexe zeigen uns Zugänge und Umgangsformen, um ein dezentral-dynamisches, vielzelliges, nämlich organismisches Zusammenwirken lebendiger Gesamtheit auf der Erde zu organisieren. Wir lernen, dass wir, wie alles Andere, untrennbar mit dieser wundersamen irdischen Geobiosphäre verbundene TeilnehmerInnen und Teilhabende sind.

Neue Anforderungen

Wir müssen verengte und mechanistische Strategiemuster, Reduktionen, Mittelwertsbildungen fallen lassen und sie ersetzen durch Beweglichkeit, Offenheit und Empathie, um neue offen gestaltbare Schöpfungs- und Handlungsräume zu ermöglichen. Das öffnet uns ein Füllhorn echt kreativer Lebendigkeit integriert durch organismische Kooperation. Die prinzipiell genuine Kreativität in einer zeitlich wesentlich offenen Welt ist es, die hier die vermeintlich unlösbaren Fesseln sprengt und eine immense Vielzahl erfolgreicher Lebensstile eröffnet. Ein immer lebendigeres Sein, ein fortdauerndes Werden kann an Stelle eines erstarrten Habens-Wohlstandes treten. Das Individuum gewinnt wachsende Offenheit in seiner intensiven Teilhabe und durch seine Zeit und Raum übergreifende Einbettung in den Lebensverbund der Erde. Erst dieses dynamische Wechselspiel zwischen Menschen und den Menschen und ihrer lebendigen Mitwelt ist wirklich Wohlstand schaffend und fordert und fördert den Menschen in seinem ganzen Wesen.

Es ist dringend notwendig, eine integrative Kooperation der vielfältigen wirtschaftlichen Austauschstrategien zwischen Menschen, Gemeinschaften und ihrer natürlichen Mitwelt, sowie der Verteilungsmuster in Produktion, Verwertung und Versorgung zu ermöglichen, um die Verfügbarkeit von Lebensgütern sowie der strukturellen und institutionellen Vorbedingungen sozialökonomischen Austausches zu gewährleisten. Der Entwicklung neuer dezentraler und polyzentrischer Produktions-, Verteilungs- und Entscheidungsstrukturen kommt besondere Relevanz, ja, Priorität zu.

Ökonomie muss sich an ihren lokalen und regionalen soziokulturellen Bezügen, Strategien, Traditionen und Bedürfnissen messen, um bedarfsgerecht und zukunftsfähig zu sein und nicht in künstliche Homogenisierungen und Erstarrungen zu geraten, entlang derer sich steigende Gefährdungspotenziale entwickeln. Hierzu braucht es ein größtmögliches Maß an dezentraler Leistungsinitiative und -möglichkeit, Versorgungssouveränität und Subsistenz. Dies verlangt zugleich eine globale Vernetzung und Abfederung über die Versorgung mit Gütern globaler Relevanz. Eine optimale wie bewegliche Komplementarität zwischen pluralen Ökonomien von lokaler, regionaler und kontinentaler Bedeutung in Synergie mit interkontinentalen Infrastrukturen für den Austausch von Gütern und Diensten aus globaler Arbeitsteilung bilden hierfür wesentlich mittragende Voraussetzungen.

Die materiellen Rahmenbedingungen und die Verfügbarkeit von begrenzten Quellen und Senken der irdischen Natur, wie deren Regenerationszyklen bestimmen wesentlich die Gemeinschaftsgüter. Deshalb hat die ökologische Grundlage der Erde räumlich wie zeitlich Gemeinschaftscharakter. Sie darf nicht weiter zentralisiert verwaltet und nicht monopolisiert werden, weder privat noch staatlich, noch überstaatlich. Ein jeder hat gleichermaßen Teil an der Gesamtheit der gemeinschaftlichen Lebensgrundlage Erde, und ist dort, wo er lebt und wirkt, den globalen Gemeinschaftsgütern lokal bis interkontinental treuhänderisch verpflichtet. Die Einschränkungen liegen nur in den stofflichen Begrenzungen unseres Lebensortes Erde, der geistig-kulturelle Raum kann mit uns vielfältig wachsen.

Neues Handeln

Es ist dringlichst an der Zeit, neues Denken in neuem Handeln umzusetzen, und darin die Kraft des Differenzierten, Bewegten, des Sich-Wandelnden für uns zu nutzen. Hierfür ist eine Parallelität neuer institutioneller, individueller und gesellschaftlicher Entwicklungen notwendig. In den gegenwärtigen Strategien für das wirtschaftliche, politisch-kulturelle und ökologische Zusammenwirken der Menschen dominieren immer noch zentralisierte Machtstrukturen, die wir ablösen sollten und können.

Der Aufbau polyzentrischer, sich komplementär ergänzender Wirtschaftsstrukturen ist notwendig. Monetär orientierte marktwirtschaftliche Wirtschaftsinstitutionen müssen und lassen sich mit zivilgesellschaftlichen sozialen, kulturellen und subsistenzwirtschaftlichen Initiativen und Institutionen in wechselseitiger Bereicherung verbinden. Parallel sollte Dezentralität und Unterschiedlichkeit ökonomischer, politischer und soziokultureller Institutionen über flache transparente Hierarchien innerhalb ihrer Entscheidungsorgane und -träger gestützt werden. Hierfür ist eine Verringerung monopolistischer Machtstrukturen weniger Unternehmen zugunsten einer Vielfalt von wirtschaftlichen, marktlich wie zivil getragenen Unternehmungen notwendig und möglich. Deren kooperatives Zusammenspiel muss und kann lokal bis interkontinental politisch, rechtlich und infrastrukturell gewährleistet werden.

Com-petition, das heißt kooperatives Wetteifern, kann sich - um eine menschen- und gemeinschaftsgerechte Globalversorgung zu gewährleisten - nur durch Innovation und schöpferische Produktivität, unter Nutzung der dynamischen Triebkräfte eines kooperativ-dialogischen Zusammenwirkens der Kulturen und Menschen der Erde, fördernd und schützend entwickeln. Dialog und Austausch müssen und können besonders in den institutionellen und räumlichen Überschneidungen der Kulturen in allen Lebensschichten installiert werden und einer ständigen dynamischen Anpassung folgen. So können Spannung und Konflikte dynamisch abgefedert, ausgeglichen, und im bewegten Diskurs umgeleitet werden.

Das schöpferisch-erfinderische Potenzial, das sich in der individuellen Besonderheit des eigenen Weges ausdrückt, erhöht den Ideen- und Entwicklungsreichtum für eine Vielzahl von Lebensstilen, für Neu- und Fortentwicklungen von Bestehendem und stellt so einen unersetzbaren Wert dar. So realisiert sich die hohe produktive Potenzialität menschlich-schöpferischen Handelns auch ökonomisch im Sinne eines alle bereichernden Plus-Summen-Spieles.

Die formale Betonung der Wirtschaft auf maximale Effizienz in der Allokation von Ressourcen, ein Grundpfeiler der wirtschaftlichen Globalisierung, führt zu künstlich homogenisierten monokulturell überformten Lebensräumen und einer maximalen Abhängigkeit der Menschen von äußeren, von ihnen nicht beeinflussbaren Faktoren. Diese sind nicht von sich aus fixiert, sondern werden eskalierend negativ provoziert. Wenn wir die eskalierenden Probleme betrachten, welche heute die Menschheit belasten, so sind sie im überwiegenden Maße eine Folge extremer Machtballungen und wirtschaftlicher Ungleichheit, dirigiert und forciert von einem lebensfeindlichen finanziellen Netzwerk, das, anstatt das Beziehungsgefüge zwischen den Menschen zu Gunsten der Menschen zu stärken, zum ‘unersättlichen’ Selbstzweck verkommen ist. Die Entkoppelung des unbegrenzten monetären Kapitalwachstums von der räumlich und stofflich begrenzten Erde treibt diesen Mechanismus mit voran. Die internationale Geldmenge kann und muss dringend stabilisiert und dynamisch in Lebensqualität stärkende und globale Versorgung fördernde Wirtschaftsaktivitäten gelenkt werden. Die Beachtung der vielfältigen Toleranzgrenzen bei der dynamischen Stabilisierung der Geobiosphäre, der Belastbarkeit der natürlichen Lebensgrundlagen und ihrer Regenerationszyklen bildet die Voraussetzung unseres Überlebens und des Friedens zwischen den Menschen. Dem muss ökonomisch die Schaffung von geschlossenen Produktions- und Stoffkreisläufen, ein nachhaltiger Energieumsatz sowie die Internalisierung ökologischer Externalisierungen und eine Minimierung ökologischer Risiken entsprechen.

Dies bedeutet eine strategische Ausrichtung am Paradigma des Lebendigen.

Wir sind Leben

Wenn wir das uns allen gemeinsame Spielfeld des Lebens durch ungezügeltes Machtstreben immer weiter ‘kippen’, so dass die Mehrheit der Menschen und ein Großteil der Kreatur auf ihm keinen Halt mehr finden, werden unsere Probleme sich zu einer Katastrophe auswachsen.

Aber der Boden auf dem eine neue verträgliche organismische Kulturenvielfalt aufwächst, ist gut vorbereitet. Ein neues, doch uns wohl vertrautes Menschenbild wird sichtbar, das von empathischen Menschen ausgeht. Wir sollten uns von den Konfrontationen und Verzerrungen unseres zivilisatorischen Alltages nicht in die Irre führen lassen. Unsere Existenz als Menschen heute zeigt uns, dass auch wir das erfolgreiche Ergebnis einer ähnlichen, schon Milliarden Jahre währenden Entwicklung sind. Unsere Zuversicht ist nicht ohne Basis. Wir müssen neues Wissen schaffen und so handeln, dass Lebendigkeit vermehrt und vielfältig erblüht. Wir können uns darauf verlassen, dass diese Kraft in uns wirkt. Denn die Allverbundenheit, die wir Liebe nennen können und aus der Lebendigkeit sprießt, ist in uns und in allem Anderen von Grund auf angelegt.

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Quelle: Website der Vereinigung deutscher Wissenschaftler

Die deutsche und englische Fassung von “Potsdamer Manifest 2005” ‘We have to learn to think in a new way’ und “Potsdamer Denkschrift 2005” können hier als PDF-Dateien heruntergeladen werden:

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Die Autoren:

  • Hans-Peter Dürr war bis Herbst 1997 Direktor des Werner-Heisenberg-Instituts am Max-Planck- Institut für Physik und Astrophysik in München. Der Phsysiker promovierte 1956 bei Edward Teller und war von 1958 bis 1976 Mitarbeiter von Werner Heisenberg. 1987 gründete er in Starnberg die Initiative “Global Challenges Network” und wurde mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
  • J. Daniel Dahm ist seit 1998 freier Mitarbeiter am “Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie”. Der Geograph lebt als freier Querdenker in Berlin.
  • Rudolf zur Lippe ist seit 1974 Inhaber des Lehrstuhls für Ästhetik an der Universität Oldenburg. 1982 gründete der Philosoph das Institut für praktische Anthropologie e.V., mit dem er eine wissenschaftliche Ausstellung zur “Geometrisierung des Menschen” in verschiedene Länder der Welt bringt.

Veröffentlicht am

16. Oktober 2005

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