Die neue MauerAusschluss: An der Costa del Sol - einige Anmerkungen zu einem Prozess, der Globalisierung genannt wirdVon Raul Zelik I Kultur als ein Motor kapitalistischer Entwicklung, die Neuformierung räumlicher Zusammenhänge - ist es das, was mit Globalisierung gemeint ist? II III Der Kölner Kulturwissenschaftler Mark Terkessidis hat diese Ortschaften einmal als “seelenlos” bezeichnet. Diese Beschreibung trifft die Sache nicht schlecht. Zwar sollte man dem Verlangen nach dem “Beseelten”, “Authentischen” nicht leichtfertig nachgeben. Und auch der Hinweis, es liege kein urbanistischer Plan vor, sondern nur zügelloses Wuchern, kann an sich kein Argument gegen eine Architektur sein. Aber im Fall dieser Küstensiedlung beschreibt das Wort seelenlos die Verhältnisse eben doch ganz gut. Man möchte sich hier nicht aufhalten. Man ist erschlagen von der pittoresk-industriellen Massenhaftigkeit. Die Orte wirken, selbst in der Hochsaison, entleert. Und schließlich wachsen sie auch nicht in einem freien, sich selbst gestaltenden Prozess. Dem Wachsen dieser Orte liegt durchaus eine Ordnung zugrunde: kapitalistischer Markt und Bestechung. Man könnte diese Siedlungen als Ausdruck der Globalisierung in Europa beschreiben: Von einer transnationalen Arbeiterklasse gebaut, von Communities aus zahlreichen Ländern bewohnt - die sich allerdings trotzdem in der Regel national trennen -, in einem Stil gebaut, der sich national nicht zuordnen lässt, unbelastet von Regulierung und trotzdem nicht frei. IV Das Ende des Blockkonflikts ist nicht identisch mit dem Beginn der so genannten Globalisierung. Aber häufig wird der Mauerfall als Metapher hierfür verwendet - für eine Welt, die sich näher gekommen sei. Die entscheidende Frage wird dabei allerdings meistens unterschlagen: Wer ist sich näher gekommen? Viele Lateinamerikaner, Asiaten und Afrikaner werden bestätigen, dass es vor 1989 leichter war als heute, nach Europa zu reisen. Selbst für viele Bürger des ehemaligen Warschauer Pakts sind die Grenzen heute nicht durchlässiger als die Todesstreifen von einst. Ökonomische Marginalisierung und ein ausgefeiltes Grenzregime sorgen dafür, dass die gewachsene Mobilität nur von ausgewählten Teilen der Weltbevölkerung genutzt werden kann. Eine Statistik, die der deutsche Urlauber an der Costa del Sol in der Regel nicht kennt, besagt, dass an der spanischen Außengrenze Europas seit Mitte der neunziger Jahre mehr als 4.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Mit der Fähre gelangt man in 45 Minuten sicher von Tanger nach Tarifa. Doch die europäische Gesetzgebung verhindert, dass viele Menschen die Fähre nehmen können. Die Leute reisen natürlich trotzdem: in Schlauchbooten, die der strömungsreichen Meerenge von Gibraltar häufig nicht gewachsen sind. Seit Mitte der neunziger Jahre starben damit allein an den spanischen Küsten der EU vier Mal so viel Menschen als in 40 Jahren an der innerdeutschen Grenze. V Und trotzdem legt man natürlich Wert darauf, dass die Arbeiter kommen. Sie müssen kommen. Ohne sie wäre das Geschäft nicht profitabel. Damit sie nützlich sind, müssen sie allerdings zunächst ausgeschlossen werden. Als Legale wären sie “überbezahlt”. Ist Globalisierung also das: Ein Einschließungsprozess, der auf Ausschließungen beruht und diese vorantreibt? VI Was die Touristen angeht, dürfte das unumstritten sein. Der durchschnittliche Europäer sucht in Südafrika oder Thailand jene Realität, die sich mit seinem Leben daheim deckt. Zwar wird auch der Wunsch nach Exotik erfüllt, doch das vermeintlich Andere ist eingebettet in eine Struktur des Identischen. Aus den Robinson-Feriendörfern macht man Ausflüge in Naturreservate, die dem Safaripark Hodenhagen ähneln. Und es sind längst nicht nur die TUI-Reisenden, die so unterwegs sind. 2003 waren 17 Künstler und Architekten, der Autor eingeschlossen, auf Einladung der Kulturstiftung des Bundes für ein halbes Jahr in Venezuela. Die Bezugsorte der venezolanischen Gastgeber und der internationalen Stipendiaten hießen New York, Paris, Haifa, Istanbul, Rio. Es war nichts Besonderes, wenn der österreichisch-venezolanische Projektleiter nach Rotterdam zur Biennale oder die italienisch-venezolanische Mitarbeiterin zum Shoppen nach Miami flog. Aber es war etwas sehr Besonderes, wenn sie die Peripherie von Caracas besuchten. Sie bewegten sich dort wie ein Expeditionskorps auf einem feindlichen Planeten. So gesehen befinden sich die Barrios, die armen Vorstädte von Caracas, von den besseren Gegenden der venezolanischen Hauptstadt weiter entfernt als Rotterdam oder Miami. Die Bevölkerung dieser Viertel verwendet andere Codes, pflegt eine andere Kultur, konsumiert andere Waren, und - was in den Globalisierungsdiskursen auffällig oft unterschlagen wird - sie hat auch eine andere Hautfarbe. Interessant war, dass die Bewohner der Armenviertel profundere Kenntnisse über ihre Stadt besaßen als viele Spezialisten. Sie lebten in der Peripherie und arbeiteten - als Wachleute oder Verkaufshilfen - in den Reichenvierteln. Die Wohlhabenden hingegen, darunter auch die meisten Stadtplaner und Architekten, mit denen wir arbeiteten, besaßen von ihrer Stadt nur ein diffuses, fragmentiertes, angstbesetztes Bild. In der Globalisierung, so heißt es, werden Distanzen überwunden und weltweite Szenen geschaffen. Weil es bei dem Prozess, der gemeint ist, jedoch in vieler Hinsicht um die kapitalistische Durchdringung von Räumen geht, hat die Überwindung von Distanzen ihre Grenzen. Räumliche Abstände schrumpfen und nehmen gleichzeitig zu. Dass dabei das allgemeine Wissen um die Welt wächst, wage ich zu bezweifeln. Viele von uns haben heute eine Vorstellung davon, wie es in Südafrika aussieht. Wir sind dort gewesen (oder empfangen zumindest den National Geographic Channel per Kabel zu Hause). Und doch waren wir meistens nur an jenen Orten, die wir vorher schon kannten. VII Dabei wäre eine inhaltliche Differenzierung nicht schwer: Wenn mit Globalisierung zunehmende Migrations- und Kommunikationsströme gemeint sind, führt sie natürlich nicht zu kultureller Verarmung, sondern zum Entstehen von neuem Reichtum und Hybriden - einer Vielheit, vor der sich der Mainstream-Konsens in Deutschland immer noch fürchtet. Wenn mit Globalisierung hingegen die Zunahme transnationaler Kapitalflüsse und die Verflechtung von Unternehmen beschrieben werden, ist es kaum verwunderlich, wenn es zu Vermassungen und Vereinheitlichungen kommt. Der postfordistische Kapitalismus zeichnet sich zwar auch durch die In-Wert-Setzung der Differenz aus, doch das postfordistische Individuum bleibt ein Massensubjekt. Wenn Verkaufsräume ökonomisch organisiert werden sollen, kommt nicht zufällig der Supermarkt dabei heraus. Das Warenangebot mag zwischen deutschen und italienischen Ketten variieren, doch die eigentliche Angleichung der Lebensmodelle dürfte im Supermarkt selbst begründet sein. Und der hat eben keine nationale Identität. Kulturelle Verarmung wird nicht von Transnationalisierung, Kommunikation oder Wanderungsbewegungen erzeugt. Sie ist das Ergebnis der Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Man sollte diese Begriffe endlich wieder voneinander trennen. Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 44 vom 04.11.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Raul Zelik und Verlag. Weblink: Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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