Gewaltfrei für das Recht auf ein menschenwürdiges Wohnen und Leben in ParisNachfolgend ein Artikel von Matthias Reichl “Gewaltfrei für das Recht auf ein Gewaltfrei für das Recht auf ein menschenwürdiges Wohnen und Leben in ParisVon Matthias Reichl Bei meinem einwöchigen Paris-Besuch bei politischen Freunden und Künstlern konnte ich am 15.10. auch bei der bisher größten Demonstration von Obdachlosen und Menschen mit Wohnungsproblemen (ca. 10.000 Teilnehmer) mitgehen. Viele von ihnen waren Afrikaner jeden Alters und speziell - bunt gekleidete - Afrikanerinnen mit ihren Kindern, die mit Sprechchören und Samba-Musik ihre dringenden Forderungen öffentlich machten. (Auch der katholische Bischof Gaillot war unter ihnen.) Diese friedliche Demonstration mit seriösen Zielen und Kritik an (staatlichen) Autoritäten machte die überlebenswichtige Arbeit von Initiativen und Netzwerken öffentlich. Darunter waren aber auch Slogans wie “Sarkozy assassin!” (der Innenminister ein “Mörder”), die die aktuellen Anschuldigungen vorwegnahmen. (Siehe “France in Flames!” ) Meine politisch aktiven Freunde (darunter Hausbesetzer) schilderten mir die Konsequenzen der Unterdrückung der Menschenrechte durch brutale Spezialeinheiten der Polizei. Sarkozy ersetzte mit ihnen sozial sensible Polizisten im Kontakten zu den Bewohnern. Engagierte Organisationen warnen davor in ihrem “Gemeinsamen Kommuniqué” (siehe unten die deutsche Übersetzung und das französische Original). Aber die Massenmedien nahmen von dieser gewaltfreien Demonstration nur mit wenigen Zeilen Notiz und provozierten damit indirekt die Gewalt jener - meist Jugendlicher -, die diesen Marsch boykottierten und sich schon auf die gewaltsamen Proteste vorbereiteten. Die Unfähigkeit und fehlende Bereitschaft staatlicher Autoritäten (nicht nur in Frankreich) diesen Gewaltakten mit Investitionen in soziale Gerechtigkeit und deeskalierende Initiativen vorzubeugen, könnte zu einer Lawine ähnlich gewaltsamer Proteste (weit über Frankreich hinaus) führen. Matthias Reichl ist Pressesprecher des Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit in Bad Ischl (Österreich). ———— Non-violent for the right for a human housing and living in ParisMatthias Reichl During my visit in Paris (around Oct. 15th), I had the chance to participate at a large manifestation with about 10.000 “sans logis”-activists (living homeless or in unacceptable homes). Many of them Africans of all ages, especially women and their children, demonstrated - colorfull dressed - with slogans, choirs and samba-music their demands. Among them also the catholic bishop Gaillot - whom I know from serveral meetings. He and many others supports their survival-initiatives and networks. It was impressing to take part in a genuine peaceful manifestation of serious demands and critics towards state authorities. Some slogans like “Sarkozy assassin!” (the minister for interior, “murder”) antizipated the actual accusations. (See “France in Flames!” ) My political active friends (among them squatters) explained me the oppressive consequences for human rights by brutal forces of the special police. They were ordered by Sarkozy to replace more social sensitive local police forces. French organisations are warning in a common declaration about (German and French version see below). But the mass-media noticed this nonviolent manifestation only with a few lines, indirectly provoking the violence of those - mostly young - people who boycotted this manifestation and prepared already the actual violent protests. The inability and unwillingness of state authorities (not only in France) to prevent the violence through investments in social justice and in other deescalating initiatives could lead to an avalanche of similar violent protests. Gemeinsames Communiqué - Paris, den 8. November 2005 “NEIN ZUM AUSNAHMEZUSTAND”Die Regierung hat, in ihrer Konfrontation mit einer Revolte, die aus der Ansammlung von Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten und Diskriminierungen in den “Banlieues” (Vororte von Paris) und in den Armenvierteln entstanden ist, eine weitere, sehr schwerwiegende Schwelle in der Sicherheitseskalation überschritten. Sogar im Mai 1968, als die Situation sehr viel dramatischer war, haben die Ordnungshüter auf keinerlei Sondergesetzgebung zurückgegriffen. Die Erklärung des Ausnahmezustands ist die Antwort auf einen Aufstand, dessen Gründe tief reichen und sogar auf der Ebene ihrer Unterdrückung eigentlich gut bekannt sind. Ganz abgesehen von der entsetzlichen symbolischen Nachricht, die vom Vergleich mit dem Algerienkrieg ausgehen wird, handelt es sich nicht nur um einen “Ausnahmezustand”, was fast schon einer Kriegslogik entspricht. Tatsächlich hat die Regierung wissentlich gelogen was die Ausdehnung ihrer Befugnisse angeht. Das Gesetz vom 3. April 1955 erlaubt Aufenthaltsverbote für “jede Person, die versucht, auf welche Weise auch immer, die Aktion der Obrigkeit zu behindern”, Hausarrest “für jede Person (…), deren Aktivität sich als gefährlich für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung erweist”, das Schließen “jeder Art von Orten, die als Treffpunkte dienen” und das Verbot von “Zusammenkünften, die zur Provokation und zum Anheizen von Unruhen beitragen” könnten. Die Regierung hat selbst Haussuchungen bei Nacht vorgesehen. Sie kann, darüber hinaus, “jede Art Maßnahme ergreifen, um die Kontrolle der Presse und Veröffentlichungen jeder Art sicherzustellen” und den mit zivilen Richtern konkurrierenden Militärgerichtshöfen Kompetenzen übertragen. Die Beendigung der Gewalttaten und die Wiederherstellung der Solidarität in den Banlieues ist eine Notwendigkeit. Bedeutet das, dass man sie einer aus der Kolonialzeit geerbten Sondergesetzgebung unterwerfen muss? Man weiß, wohin der bekannte Zyklus führt, der Provokation mit Gegengewalt verbindet und was für Resultate man damit erreichen kann… und welche nicht. Die Pariser Vororte brauchen nicht einen Ausnahmezustand: sie brauchen, und zwar aufs Dringendste, Gerechtigkeit, Respekt und Gleichheit. Unterzeichner: ———— COMMUNIQUE COMMUN - Paris, le 8 novembre 2005 NON A L’ÉTAT D’EXCEPTIONConfronté à une révolte née de l’accumulation des inégalités et des discriminations dans les banlieues et les quartiers pauvres, le gouvernement vient de franchir une nouvelle étape, d’une extrême gravité, dans l’escalade sécuritaire. Même en mai 1968, alors que la situation était bien plus dramatique, aucune loi d’exception n’avait été utilisée par les pouvoirs publics. La proclamation de l’état d’urgence répond à une révolte dont les causes sont profondes et bien connues sur le seul terrain de la répression. Au-delà du message symbolique désastreux que nourrira la référence à la guerre d’Algérie, il ne s’agit pas seulement de ” couvre-feu “, ce qui est déjà de l’ordre d’une logique de guerre. En fait le gouvernement a sciemment menti. La loi du 3 avril 1955 autorise des interdictions de séjour pour ” toute personne cherchant à entraver, de quelque manière que ce soit, l’action des pouvoirs publics “, des assignations à résidence pour ” toute personne […] dont l’activité s’avère dangereuse pour la sécurité et l’ordre publics “, la fermeture des ” lieux de réunion de toute nature ” et l’interdiction des ” réunions de nature à provoquer ou à entretenir le désordre “. Le gouvernement a même prévu des perquisitions de nuit. Il peut, en outre, faire ” prendre toutes mesures pour assurer le contrôle de la presse et des publications de toute nature “, et donner compétence aux juridictions militaires en concurrence avec les juges ordinaires. Stopper les violences et rétablir les solidarités dans les banlieues est une nécessité. Cela implique-t-il de les soumettre à une législation d’exception héritée de la période coloniale ? On sait où mène le cycle bien connu qui enchaîne provocations et répression, et quels résultats il permet d’obtenir. Les banlieues n’ont pas besoin d’état d’exception : elles ont besoin, désespérément, de justice, de respect et d’égalité. Quelle: Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit - E-Rundbrief - Info 311 vom 10.11.2005. Weblinks:
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