Rote Karte gegen “Cluster Bombs” gefordert
In Genf begannen Verhandlungen über die Ächtung besonders grausamer Waffenarten / Nichtregierungsorganisationen für ein Verbot von Streumunition und Anti-Fahrzeugminen
Von Wolfgang Kötter
Im Genfer Palast der Nationen begannen am Montag Verhandlungen über die Ächtung besonders grausamer Waffenarten. Die erzielten Ergebnisse werden dann zur Entscheidung an die Jahreskonferenz der Konvention über inhumane Waffen überwiesen, die kommende Woche an gleicher Stelle tagen wird.
Das Abkommen ist Teil des so genannten humanitären Völkerrechts, das sich dem Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten widmet. Im Unterschied zu Abrüstungsabkommen wie der Ottawa-Konvention, die eine vollständige Beseitigung aller Anti-Personenminen verlangt, geht es hier lediglich um Anwendungsverbote und -regeln. Notwendig wäre vor allem eine Ausweitung der Einsatzbeschränkungen auf Anti-Fahrzeugminen und ein Verbot von Streumunition.
Gerade Anti-Fahrzeugminen, die keinen Unterschied zwischen Panzern und friedlichen Gefährten machen, fordern immer wieder Opfer unter der Zivilbevölkerung. Unfallberichte belegen, dass eine einzige dieser Sprengfallen eine große Anzahl von Menschen töten oder verletzen kann. Untersuchungen zufolge wurden und werden Anti-Fahrzeugminen in 56 Ländern verwendet und verursachen zum Teil ungeheure Probleme. Ihr Einsatz behindert häufig die Lieferung dringend benötigter Hilfsgüter, besonders in verarmten und konfliktträchtigen Ländern wie Sudan, Afghanistan und Angola. Statt auf dem Landweg müssen Hilfsgüter dann zu wesentlich höheren Kosten eingeflogen werden.
“Cluster Bombs” sind ein weiteres hinterhältiges Tötungsinstrument. Die Streubomben werden von Flugzeugen abgeworfen, können aber auch von Granatwerfern oder mit Raketen verschossen werden. Die mit Submunition gefüllten Container öffnen sich noch in der Luft, verbreiten hunderte von Einzelgeschossen und bilden so einen Explosionsteppich von mehreren Hektar Größe. Manche explodieren beim Aufprall auf dem Boden, aber Produktions- und Anwendungsfehler oder dichte Vegetation, Sümpfe oder sandiger Boden können die Explosion verhindern. Die Bomblets verwandeln sich dann praktisch in Landminen, die noch jahrzehntelang unschuldigen Menschen Leben oder Gesundheit rauben. In einer gemeinsamen Studie haben drei Nichtregierungsorganisationen - das
Aktionsbündnis Landmine.de
,
Mines Action Canada
und
Landmine Action UK
- die globalen Auswirkungen von nicht explodierter Munition und Anti-Fahrzeugminen nach der Beendigung militärischer Konflikte geprüft. Darin belegen sie, dass der Einsatz dieser Waffen in den untersuchten Ländern und Regionen - darunter Afghanistan, Albanien, Äthiopien, Irak, Kosovo, Laos, Tschetschenien und Vietnam - ganze Landstriche für lange Zeit in tödliche Minenfelder verwandelt hat.
Das Europaparlament forderte bereits im letzten Jahr die EU-Staaten zu einem Moratorium über Einsatz, Lagerung und Produktion dieser Waffen auf. Belgien ist diesem Aufruf als erstes Land konsequent gefolgt und hat im vergangenen Juli Streubomben verboten. Deutschland setzt sich für ein Verbot nur bestimmter Anti-Fahrzeugminen und Streumunition ein. Ab dem Jahr 2010 sollen fast 90 Prozent aller Anti-Fahrzeugminen der Bundeswehr programmierbar sein und damit über eine befristete Funktionszeit verfügen. Auch die völkerrechtlich umstrittene Streumunition wird teilweise aus den Depots entfernt. Gleichzeitig verspricht die Bundeswehr, die Zuverlässigkeit der zum Einsatz vorgesehenen Munition zu verbessern. So sollen die M77-Bomblets des mobilen Raketenwerfers MARS so modernisiert werden, dass sie zukünftig eine Fehlerquote von nur noch einem Prozent aufweisen, um eine Gefährdung der Zivilbevölkerung nach Ende der Kampfhandlungen zu verringern. Die bisherigen Geschosse erreichten Blindgängerraten von bis zu 40 Prozent. Außer Deutschland besitzen noch rund 70 Länder diese Waffen, darunter China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA.
Die im
Aktionsbündnis Landmine.de
zusammengeschlossenen deutschen Nichtregierungsorganisationen sehen in diesen Maßnahmen jedoch lediglich einen Zwischenschritt, der zum umfassenden Verbot aller Landminentypen und minenähnlich wirkender Waffen führen muss. Nach Einschätzung von Direktor Thomas Küchenmeister korrigiert die Modernisierung den völkerrechtswidrigen Einsatz von Streuwaffen nicht: “Eine zuverlässige Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen - wie von der Genfer Konvention vorgeschrieben - gewährleistet auch die modernisierte Munition nicht.” Denn eine Salve eines MARS-Raketenwerfers verstreue Munition über eine Fläche von bis zu einem Quadratkilometer, und Nachweise über die Zuverlässigkeit der neuen Munition lägen bislang nicht vor.
Selbst wenn von den modernisierten Minen nur wenige Tage lang Gefahr ausgehen sollte, könnte dies verheerende Unfälle mit Zivilfahrzeugen verursachen. Das Aktionsbündnis hat dem Abrüstungsunterausschuss des Bundestages deshalb bereits Anfang des Jahres eine Resolution gegen Streubomben und Streumunition vorgeschlagen. Darin werden unter anderem ein sofortiges Moratorium für die Verwendung, Lagerung, Herstellung, Verbringung und Ausfuhr aller Arten von Streumunition sowie ein verbesserter Schutz der Zivilbevölkerung gefordert. Die humanitäre Hilfsorganisation
Handicap International
hat sich mit 151 anderen gleich Gesinnten zur “Koalition gegen Streubomben” zusammengeschlossen. Ihre Petition gegen Streumunition hatten bis Ende September europaweit rund 115 000 Menschen unterzeichnet. Mit einem Aktionstag startete sie im vergangenen Monat eine neue Medienkampagne in europäischen Städten wie Luxemburg, Paris und Lyon. Auch Hunderte Einwohner Münchens errichteten auf dem Karlsplatz Schuhpyramiden als Mahnmal für die Opfer dieser Waffen.
Vertragswerk
Das Rahmenabkommen über “Verbote und Einsatzbeschränkungen für bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken”, besteht aus fünf Protokollen:
Protokoll I verbietet Splitterwaffen, die mit Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können.
Protokoll II schränkt die Anwendung von Landminen ein und ächtet den Einsatz aller als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand getarnten Sprengkörper.
Protokoll III untersagt die Verwendung von Brandwaffen wie Flammenwerfern und Napalm.
Protokoll IV verbietet Blendlaserwaffen, die die Netzhaut des menschlichen Auges zerstören.
Protokoll V verpflichtet zur Räumung von Blindgängern und zurückgelassener Munition.
Quelle:
ND
vom 15.11.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Kötter.