5. Dezember 1955: Beginn des Busboykotts in MontgomeryVon Michael Schmid Am 1. Dezember 1955 hatte sich Rosa Parks in Montgomery, Alabama, geweigert, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen. Sie wurde verhaftet und am 5. Dezember vor Gericht gestellt. Schwarze Bürgerinnen und Bürger der Stadt riefen zu einem Busboykott für diesen Tag auf. Damals, vor genau 50 Jahren, an jenem 5. Dezember 1955, hielten sich fast alle schwarzen Bürgerinnen und Bürger Montgomerys an den Aufruf. Kaum jemand benutzte einen Bus. Am Nachmittag dieses Tages trafen sich die afro-amerikanischen Organisatorinnen und Organisatoren des Boykotts, um einen Bürgerausschuss zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Rassen zu gründen: die Montgomery Improvement Association (MIA). Zum Vorsitzenden von MIA wurde der gerade erst 26 Jahre alte Reverend Martin Luther King jr. gewählt, der erst seit 1954 in Montgomery lebte und damals noch recht unbekannt war. Ebenfalls beschlossen wurde, den Protest so lange fortzuführen, bis gewisse Forderungen erfüllt wären, die ein Komitee unter Vorsitz von Pastor Ralph Abernathy ausarbeiten sollte. Für den Abend war eine Massenveranstaltung geplant. Martin Luther King sollte dabei die Hauptansprache halten. Er hatte gerade zwanzig Minuten Zeit, um sich auf die vielleicht wichtigste Rede seines Lebens vorzubereiten. In und vor der völlig überfüllten Holt Street Baptist Church hatten sich 5.000 Menschen versammelt. Martin Luther King fühlte sich durch die gewaltige Versammlung und deren Gesang inspiriert. Laut Coretta Scott-King soll er später gesagt haben: “An jenem Abend verstand ich, was die alten Prediger meinten, wenn sie sagten: ?Tue deinen Mund auf, und Gott wird für dich sprechen.” Martin Luther King wurde vorgestellt, die Menschenmenge spendete Applaus und die Schweinwerfer des Fernsehens waren auf ihn gerichtet. King hatte sich nur einige Stichworte notiert. Zunächst sprach er über die Diskriminierung von Schwarzen in den Bussen, dass sie häufig nur wegen ihrer Hautfarbe eingeschüchtert, gedemütigt und unterdrückt werden. Dann berichtete er nochmals, was Rosa Parks widerfahren war, als sie sich im Bus weigerte, aufzustehen. Dann fuhr er fort:
King verstand es sehr genau, bei dieser ersten Massenveranstaltung am 5. Dezember 1955 die weiterreichenden Ziele und Ideale zu formulieren:
Dann ermutigte er die Anwesenden nochmals nachdrücklich:
Die Rede Martin Luther Kings wurde immer wieder durch Beifall unterbrochen. Und als er geendet hatte, erhoben sich die Zuhörerinnen und Zuhörer und applaudierten stürmisch. Das Selbstbewusstsein der Schwarzen war gestärkt, die weißen Mitbürger nicht herab gesetzt worden. Ein Weg war sichtbar geworden und ein Ziel. King hatte es geschafft, Mut zu machen, um etwas Unerhörtes zu beginnen. Nach Kings Ansprache nahm die Massenversammlung einstimmig die Forderungen an, die Ralph Abernathy vortrug: 1. Die Busunternehmer garantieren höfliche Behandlung; 2. die Fahrgäste setzen sich in der Reihenfolge, in der sie kommen - die Schwarzen von hinten nach vorn, die Weißen von vorn nach hinten; und 3. auf den Linien, die vornehmlich Schwarze benutzen, werden schwarze Busfahrer eingesetzt. Martin Luther King hatte an jenem 5. Dezember 1955, also an jenem Tag als der Busboykott von Montgomery erst morgens begonnen hatte, einen erstaunlichen Sinn für dessen historische Bedeutung gehabt. Er beendete seine Rede mit den Worten:
In der Tat entwickelte sich aus dem ursprünglich nur für den 5. Dezember 1955 geplanten Boykott der Busse eine gewaltfreie Aktion, die über ein Jahr lang durchgeführt wurde. Tag für Tag liefen die schwarzen Menschen Montgomerys zu Fuß, MIA organisierte die unerlässlichen Transporte, Autobesitzer übernahmen freiwillige Fahrten. Die städtischen Verkehrsbetriebe fuhren immer größere Verluste ein. Hatten die Behörden und Busgesellschaft damit gerechnet, dass der Busstreik spätestens am ersten regnerischen Tag zusammenbrechen würde, so ging der Widerstand der Schwarzen weiter. Alle Drohungen und Einschüchterungsversuche hatten nicht die gewünschte Wirkung. Der neue Geist, von dem die schwarzen Menschen Montgomerys ergriffen waren, ließ sich nicht mehr aufhalten. Währenddessen wurde King und seine Familie zunehmend mehr terrorisiert. Es gab Drohungen über das Telefon: “Hör, Nigger, unsere Geduld ist am Ende. Noch in dieser Woche wirst du es bereuen, dass du je nach Montgomery gekommen bist.” Je länger der Busboykott dauerte, umso heftiger wurden die Reaktionen. Der Hass gegen King wuchs. Und Ende Januar 1956 gab es einen Anschlag auf sein Wohnhaus. Zum Glück wurde durch die Bombenexplosion niemand verletzt. Später sollten weitere Anschläge folgen. Doch solche Gewalt stärkte den inneren Zusammenhalt der Boykott-Bewegung. King gab ab dem Zeitpunkt seiner Rede am 5. Dezember 1955 Ton und Tempo der Bewegung an. Innerhalb weniger Monate war er vom unbekannten Pfarrer zum anerkannten Führer und Symbol der schwarzen Bürgerrechtsbewegung aufgestiegen. Sein gewaltfreier Einsatz setzte die Rassisten ins Unrecht und gab schwarzen Menschen eine neue, bis dahin nicht gekannte Identität. Zur Stärkung der Gewaltfreiheit der Bewegung wurde auch enger Kontakt mit Menschen aufgenommen, die sich schon länger in Sachen gewaltfreiem Widerstand engagiert hatten. So wurden etwa Glenn Smiley, ein weißer Pfarrer der Methodistenkirche in Texas, der Fellowship of Reconciliation angehörte, und Bayard Rustin, afro-amerikanischer Quäker von der War Resister’s League , enge Berater und Mitarbeiter Kings. Nach seinem Verständnis von Gewaltfreiheit ging es King darum, den Gegner nicht mit Gewalt anzugreifen und dennoch dem Bösen Widerstand entgegenzusetzen. Auf einen Schlag soll kein Gegenschlag folgen, auf Angriff nicht Vergeltung, auf Hass nicht Hass sondern Leibe. Es geht nicht darum, selber den ehemaligen Unterdrücker zu unterdrücken und die ehemals Unterdrückten zu Unterdrückern zu machen. Während Gewalt auf Unterwerfung aus ist, ist Gewaltfreiheit auf Versöhnung aus. Später hat King aufgeschrieben, der Busboykott habe ihn mehr über Gewaltfreiheit gelehrt als alle Bücher, die er gelesen habe.
Während des Busboykotts hatte sich seine Methode unter anderem zu folgenden Einsichten konkretisiert:
Der Busboykott in Montgomery ging weiter. Da traf schließlich am 13. November 1956 die Nachricht ein, dass das Oberste Bundesgericht die staatlichen und örtlichen Gesetze des Staates Alabama, welche die Rassentrennung in den Bussen anordnen, für verfassungswidrig erklärte. Es dauerte dann noch bis zum 20. Dezember, bis die Gerichtsentscheidung endlich in Montgomery eintraf. Der Busboykott, der also zum Erfolg geführt hatte, wurde tags darauf beendet. 381 Tage nachdem mit ihm am Tage der Verurteilung von Rosa Parks begonnen worden war. Wie am ersten Abend des Busboykotts war King am besten fähig, die historische Bedeutung dieser gewaltfreien Aktion auch an ihrem Ende zu erfassen. Bei einem Treffen von Aktivistinnen und Aktivisten im Dezember 1957 erklärte er:
Tatsächlich hatte mit dem Busboykott von Montgomery ein neues Kapitel in der Geschichte der USA begonnen, das in aller Welt nachklingen sollte. Bis zu seiner Ermordung im April 1968 führte King eine Bewegung an, die sich zunächst gegen die Rassentrennung wandte, später auch Armut und Krieg überwinden wollte. Möglich war diese Bürgerrechtsbewegung in erster Linie deshalb geworden, indem konsequent der Weg der Gewaltfreiheit beschritten wurde. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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