100. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises an Bertha von Suttner
Von Hildegard Goss-Mayr Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Festgäste! Es ist für mich eine besondere Ehre und Freude der großen österreichischen, ja, europäischen Friedenspionierin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner an diesem Ort zu gedenken. Vor uns steht das Bild einer Frau, die, aus der Tradition des österreichischen Hochadels stammend, fähig war, ihren Blick und ihre Einsicht auf Leid und Wohl der gesamten Menschheit zu richten. Als Frau, die ihre journalistische und schriftstellerische Begabung erkannte und - allen Widerständen zum Trotz in der männer-dominierten Welt des 19. Jahrhunderts durchsetzte - war sie tief betroffen von von der Wirklichkeit, von dem Grauen, dem Gemetzel, dem Leid, den psychischen und moralischen Verletzungen, die der Krieg über alle Beteiligten bringt. Doch tiefer schürfend demaskierte sie auch die Wurzeln und Zusammenhänge der Kriegsbereitschaft und Kriegslust, des Vertrauens in die Macht der Waffen: überzogenen Patriotismus, Vergötzung der Nation, Glorifizierung von “Heroismus”, aber auch die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen an Rüstung, Waffenhandel und Wiederaufbau. In ihrem aus tiefem Humanismus stammendem Vertrauen in den Menschen, unter dem Leitsatz “du sollst nicht töten”, baute sie auf die Fähigkeit, durch Aufklärung zu einem Umdenken, zur Abkehr von der Kriegsmentalität zu gelangen. Dem Aufruf “Die Waffen nieder” folgte konsequent, in Zusammenwirken mit bereits aktiven europäischen Friedensgesellschaften, auf hoher diplomatischer Ebene das Ringen um den Aufbau von Alternativen zum Krieg durch internationale Institutionen, vor allem die Errichtung eines internationalen Schiedsgerichtes (Haager Tribunal), um der zwischenstaatlichen Anarchie ein Ende zu bereiten. Sie begründete selbst Friedensgesellschaften in Österreich, Deutschland und Ungarn. Hoch geachtet, aber auch verspottet wie die meisten Pioniere, leistete Bertha von Suttner einen wesentlichen Beitrag zur Errichtung eines unzerstörbaren Grundsteines für das Ringen um Frieden in Österreich und Europa. Gedenken bedeutet Verpflichtung. Es verpflichtet uns dazu, als Bürger unseres neutralen Staates hundert Jahre später, nach zwei opferreichen Weltkriegen und dem Holocaust nach unserer Friedensverantwortung heute zu fragen. Dies im Blick auf die Situation der Globalisierung unserer Welt, die zwischen Arm und Reich geteilt ist, und durch Atomwaffen, Ökologische Katastrophen, Flüchtlingselend, Arbeitslosigkeit, kulturelle und religiöse Konflikte wie von Terrorismus bedroht wird. Du sollst nicht töten - Die Waffen niederDiese Grundsätze einten die Pioniere der europäischen Friedensbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts von England bis Russland. Sie erkannten die Notwendigkeit eines tiefgreifenden Gesinnungswandels, um das Vertrauen in die Macht der Waffen zu überwinden, wie auch die ungerechten wirtschaftlichen und dramatischen sozialen Strukturen. Sie kämpften um die Errichtung von internationalem Recht, Schiedsgerichten und Abkommen. Doch es fehlte weitgehend der politische Wille. Millionen wurden in der Folge Opfer der Kriege. 100 Jahre später verfügen wir über wohl unvollkommene, doch hochqualifizierte internationale Instrumente der Konfliktbearbeitung in den Vereinten Nationen, der EU, im Völkerrecht, um Kriege zu verhindern und Leben in größerer Gerechtigkeit und Frieden für alle Menschen zu sichern. Das ist eine große Errungenschaft. Doch wie vor 100 Jahren mangelt es auch jetzt immer wieder am politischen Willen zur Durchsetzung friedlicher, gerechter Lösungen. In diesen 100 Jahren hat die Welt die opferreichsten Kriege und Völkermorde erlebt. Doch vergessen wir nicht die ermutigenden, positiven Seiten: es gelang, internationales Recht, Menschen- und Sozialrechte verpflichtend festzuschreiben. Vor allem aber wurde eine neue, allen Menschen und Völkern innewohnende Kraft für soziale und politische Umgestaltung und befreiendes Friedenswirken entdeckt und zur Anwendung gebracht: die Kraft der Gewaltfreiheit. Vom gewaltlosen kolonialen Befreiungskampf Gandhis, über die Überwindung von Rassismus in Südafrika (Nelson Mandela, Bischof Tutu) und die Bürgerrechtsbewegung in den USA (M.L. King) bis zum Kampf um die Überwindung von Diktaturen in Polen (Solidarnosc), in den Philippinen (People Power) und der DDR zum Niedergang des kommunistischen Regimes wirkte diese von breiten Schichten der Bevölkerung getragene Kraft erfolgreich und vermochte es, den Lauf der Geschichte auf mehr Humanität und Demokratie auszurichten. Heute ist Gewaltfreiheit wirksam z. B. im Ringen um eine Globalisierung, die auf das Wohl der Menschen, auf gerechte Mitbeteiligung aller Nationen statt auf Profit und Domination ausgerichtet ist, oder bei der dringend notwendigen Friedenserziehung von Pädagogen, Kindern und Jugendlichen, wie bei der Aufarbeitung unserer eigenen persönlichen Gewalt. Gewaltfreiheit erweist sich als jeden Menschen achtende, demokratische, soziale, politisch verantwortliche aber auch vermittelnde, versöhnende, heilende Kraft. Sie wurzelt im europäischen Humanismus, in der Bergpredigt, wie in allen Weltreligionen. Gewaltfreiheit aufrüsten für Leben in Gerechtigkeit und Frieden für alleSo stellt sich uns die Frage, wo die Schwerpunkte der Friedensarbeit, zu der wir uns als Erben des Engagements von Bertha von Suttner verpflichtet wissen, heute in unserem neutralen Österreich liegen. Suttners Leitmotiv würde heute wohl lauten: Gewaltfreiheit aufrüsten für Leben in Gerechtigkeit und Frieden für alle. Zu diesen Schwerpunkten zählt u.a.
Hildegard Goss-Mayr, gebürtige Wienerin und Ehrenpräsidentin des Internationalen Weblinks:
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