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Atom-Heuchelei

Weder Bush noch Blair haben das moralische Recht, sich über das iranische Atomprogramm zu beschweren.

Von Tony Benn - ZNet 05.12.2005

Bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm - bei dem die Gefahr besteht, dass es zur Entwicklung einer Atombombe führt -, spielt Großbritannien eine führende Rolle. Gut möglich, dass das Land versuchen wird, die Sache vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen.

Ein wenig glaubwürdiger Standpunkt, zumal Premierminister Blair entschlossen ist, unsere atomaren Trident-Raketen auf den neuesten Stand zu bringen. Und er scheint auch entschlossen, eine Reihe neuer Atomkraftwerke auf den Weg zu bringen. Blair dürfte somit kaum ein glaubwürdiger Verteidiger des Atomwaffensperrvertrags sein. Um zu begreifen, was für ein Heuchler der Westen ist, genügt ein Blick in unsere, bequemer Weise gut verdrängte, Geschichte.

Es war am 7. Januar 1976, also vor dreißig Jahren. Ich war damals britischer Energieminister und hatte eine ausführliche Diskussion mit dem Schah von Persien - in seinem Teheraner Palast. Die meiste Zeit ging es um Pläne des Schahs für ein großangelegtes iranisches Atomenergieprogramm.

Ich war über die Vorschläge des Schah schon zuvor gut unterrichtet gewesen - durch Dr. Akbar Etemad von der Iranischen Atomenergieorganisation. Dr. Etemad hatte mir berichtet, dass bis zum Jahr 1994 eine Kapazität von 24 Megawatt geplant sei - ein größeres Atomprogramm als selbst Großbritannien es hatte. Dr. Etemad zeigte Interesse an Zentrifugen, wie man sie für die Wiederaufbereitung braucht. Er werde größte Sorgfalt walten lassen, um eine Proliferation zu verhindern, so versicherte er mir. Ich habe das Gespräch mit dem Schah in meinem Tagebuch festgehalten. Als es darum ging, woher der Schah seine Nukleartechnologie bezog, sagte er mir, laut Tagebuch: “… von den Franzosen und Deutschen, vielleicht sogar von den Sowjets - warum auch nicht?”

Kaum ein Jahr später eröffnete mir mein eigener Berater, Dr. Walter Marshall von der Atomic Energy Authority, er sei als atompolitischer Berater für den Schah tätig und habe folgenden Plan vorbereitet. Der Schah werde den Westinghouse-Druckwasserreaktor (PWR) ordern - falls Großbritannien ebenso verfahre. In dem Fall würde der Iran das nötige Geld bereitstellen. Ich war fest entschlossen, gegen diesen Plan anzukämpfen. Zu dem Deal gehörte auch der Vorschlag, den Iran zum Fünfzig-Prozent-Eigner unserer britischen Atomindustrie zu machen - für den Bau des PWR.

Offenbar hatte Marshall auch den Vorschlag gemacht - ohne von mir autorisiert zu sein -, Großbritannien solle sich von seinen fortschrittlichen gasgekühlten Reaktoren verabschieden und stattdessen bis zu 20 PWRs in Auftrag geben. Ich gewann den Eindruck, Dr. Marshall denke wie viele Leute aus der Atomindustrie, Proliferation sei etwas, was ohnehin nicht zu verhindern ist, man könne kaum etwas dagegen unternehmen. Er hat das praktisch so gesagt.

Aus diesen Gründen war ich absolut gegen die ganze Idee. Für mich war die Vorstellung am Besorgniserregendsten, das alles werde mit ziemlicher Sicherheit zur Weitergabe von Nuklearwissen bzw. zur Entwicklung von iranischen Atomwaffen führen. Der Plan wurde nie genehmigt. Dabei hatte auch Sir Jack Rampton darauf gedrungen. Rampton war damals mein permanenter Sekretär und schien auf den PWR nicht weniger erpicht als Marshall. Der Premier hatte Rampton direkt konsultiert. Selbst Premierminister Jim Callaghan wollte, dass ich es mache.

Bei einer Kabinettssitzung am 4. Mai 1977 brachte Jim seine Bedenken hinsichtlich der Atom-Proliferation zum Ausdruck, sagte aber gleichzeitig, er werde ein entsprechendes Ansinnen des Iran nicht zurückweisen - sonst würden eben die Deutschen oder die Franzosen einsteigen, so Callaghans Auffassung.

Komplizierend kam hinzu, dass das britische Außenministerium die Ansicht vertrat, die Kernenergie sei Sache der europäischen EURATOM und unterstehe juristisch der Kompetenz der Europäischen Kommission. Die britische Regierung hätte in dieser Sache womöglich nicht das Recht auf eine eigene Meinung.

Am Erstaunlichsten finde ich - vor allem auf dem Hintergrund der aktuellen Debatte -, dass das Problem einer möglichen gigantischen Nuklearkapazität im Iran von den Amerikanern nicht als Problem gesehen wurde. Damals galt der Schah als starker Verbündeter. Die Amerikaner hatten sogar geholfen, ihn auf den Thron zu bringen.

Es kann wohl kaum ein besseres Beispiel für Doppelmoral geben. Dass man nach dem Sturz des Schah Saddam bewaffnete, um den Iran anzugreifen, passt ebenso ins Bild, wie das absolute Schweigen über das riesige Atomwaffenarsenal Israels. Dieses Stillschweigen stellt schon an sich einen Bruch des Atomwaffensperrvertrags dar.

Vor kurzem bekamen die IAEA und deren Chef Mohamed El Baradei den Friedensnobelpreis verliehen - für ihre Antiproliferations-Arbeit. Der Atomwaffensperrvertrag setzt allerdings voraus, dass die Atomwaffenstaaten ihre eigenen Abrüstungsverträge aushandeln. Da dies nicht geschieht, steht fest, dass sie kein Interesse am Atomwaffensperrvertrag haben.

Jetzt liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, den Iran den Vereinten Nationen zu melden. Damit wäre El Baradei in der gleichen Position wie damals Hans Blix, der - als (oberster) Atomwaffeninspekteur des Irak - von Washington für deren eigene Zwecke benutzt wurde. Was die USA wollen, ist eine UN-Resolution zur Verurteilung des Iran. Sollte dies nicht gelingen, werden sie unilateral und mit Gewalt gegen den Iran vorgehen - siehe Irak.

Falls das Problem, über das jetzt debattiert wird, auf praktischem Wege und über die IAEA geklärt werden kann, besteht die reelle Chance auf eine einvernehmliche Lösung. Darum sollte es uns gehen, das sollten wir fordern. Schließlich ist weder Tony Blair noch George Bush in der Lage, sich moralisch in die Brust zu werfen.

Ich bin ein überzeugter Atomwaffengegner und Gegner der zivilen Nutzung der Kernenergie. Mein Kommentar sollte daher nicht als Unterstützung des iranischen Kurses missverstanden werden. Aber die nukleare Vergangenheit Großbritanniens hinsichtlich des Iran sollte uns zu äußerster Vorsicht ermutigen. Wir sollten uns gegen jene stellen, deren Argumente dazu taugen, einen Krieg zu rechtfertigen, der nicht zu rechtfertigen ist.

Tony Benn war zwischen 1975 und 1979 britischer Energieminister. Sie erreichen ihn unter tony@tbenn.fsnet.co.uk

Anmerkung d. Übersetzerin:

  • Tony Benn (Jahrgang 1925) bekleidete im Laufe seiner Karriere mehrere Ministerposten in Großbritannien. Er stand für Old Labour (siehe seine Rolle im ‘Miners Strike’) und engagierte sich aktiv gegen beide Irakkriege. http://de.wikipedia.org/wiki/Tony_Benn

Quelle: ZNet Deutschland vom 07.12.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Neither Bush Nor Blair Is In A Position To Take A High Moral Line On Iran’s Nuclear Programme

Veröffentlicht am

08. Dezember 2005

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