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Taube Ohren öffnen

Weimarer Menschenrechtspreis 2005: Die Tschetschenin Libkan Basajewa baut unsichtbare Brücken aus Wörtern

Von Andrea Strunk

Durch das Leben der Libkan Basajewa zieht sich ein Bruch, breit wie ein Graben, tief wie ein Abgrund. Mutlosere als sie stünden davor und verzweifelten. Schwächeren als ihr fehlte die Kraft für einen beherzten Sprung. Libkan Basajewa ist mehr als einmal gesprungen. Mehr als ein Dutzend Mal vielleicht. Von einer Seite zur anderen. Drüben die zerstörte tschetschenische Hauptstadt Grozny, das Elend eines langen, unmenschlichen Krieges. Hüben die Sicherheit eines zivilisierten Landes, die mal bereitwillige, mal lediglich höfliche Aufmerksamkeit demokratischer Gremien.

In Grozny lehrte Libkan Basajewa russische Literatur und Linguistik. Als die Stadt im Oktober 1999 von der russischen Luftwaffe angegriffen wurde, floh sie mit ihrer Familie durch einen zuvor ausgehandelten humanitären Korridor ins Nachbarland Inguschetien. Trotz gegenteiliger Abmachungen wurden die Flüchtlinge aus der Luft angegriffen, Dutzende starben. Basajewa und die ihren verloren alles, was sie besaßen. Mit weiteren sechs Opfern dieses Angriffs verklagte sie Russland im Februar 2005 vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg. Zwar erhielten die Kläger Recht, doch politische Konsequenzen für Russland ergaben sich daraus nicht.

Basajewas unsichtbare Brücke über den Abgrund und von einer in die andere Welt ist das Wort. Das sachliche, schnörkellose, klare. Krieg ist Krieg, Vernichtung ist Vernichtung. In Basajewas Ausführungen ist kein Platz für Pathos oder politische Philosophie. Ihre Geschichten erzählen von Menschen, die so handeln, wie Menschen es eben tun, wenn der Menschlichkeit kein Recht mehr eingeräumt wird. Töten, getötet werden, Leid zufügen, leiden. Verantwortung übernehmen, Verantwortung von sich weisen. Die ersteren Dinge geschehen in Basajewas Heimatland Tschetschenien. Die zweiten geschehen überall, auch in ihrer Exilheimat Deutschland.

Für ihr Engagement als Menschenrechtlerin und die vielen Zeugnisse, die sie nach ihren Besuchen in Tschetschenien wieder und wieder in der Öffentlichkeit, vor dem Europarat, der UN-Menschenrechtskommission, amnesty international und anderen humanitären Organisationen ablegte, wird Basajewa am 10. Dezember der alljährlich verliehene Menschenrechtspreis der Stadt Weimar übereicht.

Eine Ehre, gewiss. Aber das ist nebensächlich. Für Basajewa bedeutet diese Ehre zunächst Aufmerksamkeit für ihr Land, Mitleid, das offizielle Zugeständnis, dass dort nichts so ist, wie es die russische Regierung darstellt. Erst Ende November hatte der russische Präsident Putin anlässlich der tschetschenischen Parlamentswahlen von einer Normalisierung der Lage gesprochen.

Libkan Basajewa weiß es besser. Nichts ist gut in Tschetschenien. Ihre Erzählungen sind beklemmende Zeugnisse von Verstümmelungen, Vergewaltigungen, seelischer und körperlicher Folter, Mord und Verschleppung. Die Frauen jedenfalls, die in das von Basajewa gegründete Zentrum Frauenwürde kommen und dort um finanzielle, psychologische oder medizinische Unterstützung bitten, kennen keine Normalität. Entweder sind ihre Männer, Brüder oder Söhne tot, verschwunden oder ihre Kinder verletzt, sie kämpfen um Witwenrente und Kindergeld.

Auch Basajewas Dokumentationen für die russische Menschenrechtsorganisation Memorial oder die Vereinigung der Frauen des Kaukasus sind alles andere als Geschichten aus einem friedlichen Land. Von einstmals einer Million Tschetschenen sind bereits 400.000 tot. Ein Verlust von 40 Prozent - Zahlen und Fakten, die nichts darüber aussagen, wie viele Lebensentwürfe und Hoffnungen gescheitert und wie viele Familien zerbrochen sind. Basajewa kennt die Geschichten hinter diesen Zahlen, und sie kennt die Gewalt, die von den Konflikten im Kaukasus ausgeht und weite Kreise zieht. Bei allem Mut fürchtet sie sich bei jedem ihrer Besuche in der Region davor, verhaftet oder verschleppt zu werden. 2004 entkam sie einer Festnahme nur durch Zufall. Freunde fingen ihren Wagen auf der Straße ab und warnten sie.

Basajewa hat in den zwei Jahren, die sie dank eines Stipendiums der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte in der Hansestadt lebt, erfahren, wie sehr solche Geschichten das europäische Verständnis übersteigen. Bestenfalls werden sie als Übertreibung angesehen, schlimmstenfalls als schon viel zu häufig gehörtes Lamento über eine Situation, an der man in Europa meint, nichts ändern zu können. Putins Politik im Kaukasus wird gemeinhin als Russlands Privatsache betrachtet oder als Teil des Kampfes gegen internationalen Terrorismus.

Basajewa hat in den vergangenen Jahren Geduld gelernt. Unter vielen tauben Ohren fand sich immer wieder ein offenes. Dass der Frieden in eigenem Land beginnen muss, sagt sie heute. “Wir müssen den Hass überwinden. Auch Europa hat dafür viele Jahre gebraucht.”

Ob der Preis Libkan Basajewas Stimme mehr Gewicht verleihen wird, ist zu bezweifeln. Mag die Berichterstattung aus Tschetschenien bisweilen quotenträchtig sein und mögen westeuropäische Medien über die Rechtmäßigkeit der dortigen russischen Politik räsonieren - der Effekt gleicht dem eines umfallenden Sacks Reis. An den haarsträubenden Menschenrechtsverletzungen und der Tatsache, dass den Bewohnern von Grozny ein neuer langer Winter ohne vernünftige Heizmöglichkeiten bevorsteht, wird es nichts ändern.

Die Preisträgerin weiß das. Und freut sich trotzdem. Die 2.500 Euro der Weimarer Auszeichnung sind längst verplant. Im vergangenen Jahr begann Basajewa Spenden zu sammeln, um in dem abgelegenen Bergdorf Nachoi-Kaloi eine durch Bombenangriffe zerstörte Schule wieder aufzubauen. Inzwischen stehen die Wände, ist das Dach eingedeckt. Bislang haben die Bauarbeiter ohne Lohn gearbeitet, diesen will Basajewa ihnen nun endlich auszahlen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 49 vom 09.12.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Andrea Strunk und Verlag.

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Veröffentlicht am

11. Dezember 2005

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