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Was für Menschen sind es, die so etwas ersinnen können?

Brief aus Israel vom 25.12.2005

Liebe FreundInnen,

dass das Fest des Friedens regelmäßig in unser Leben zunächst mal Hektik bringt, wird ebenso regelmäßig bedauert. Nun ist der Heilige Abend vorbei und Ruhe kann (zumindest bei mir) einkehren und ich kann die letzten Posteingange bearbeiten.

Als erstes eine schlimme Nachricht: die Lärmbomben, mit denen Israel seit dem Rückzug die Bevölkerung von Gaza terrorisiert, traumatisieren nicht nur die Kinder, Alte und Kranke, sie haben inzwischen etliche Todesfälle verursacht. Offenbar lösen diese Bomben einen derart lauten Knall aus, dass er zu Gehirnblutungen und -schädigungen führen kann, außerdem gibt es bereits fünf Fälle von Fehlgeburten. Normalerweise werden solche Todesfälle, wie auch Schädigung von nichtmilitärischen Objekten, im unmenschlichen modernen Kriegsjargon als bedauerliche, aber unvermeidliche “Kollateralschäden” abgetan. Nun ist offenbar die Tötung und Schädigung von Unschuldigen - und nur von diesen - das Ziel der Maßnahmen. WAS FÜR MENSCHEN SIND ES, DIE SO ETWAS ERSINNEN KÖNNEN?

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In verschiedenen Dörfern in der Gegend um Nablus versammeln sich PalästinenserInnen mit Israelis und Internationalen, um neue Bäume zu pflanzen, um einen Teil der vielen hunderte zu ersetzen, die radikalen Siedlern zum Opfer fielen. Und das, obwohl sie damit rechnen müssen, dass auch die neuen Bäumchen nicht lange überleben werden. Aber der Wille zum Überleben von Bäumen, Menschen und der Hoffnung auf Frieden und Freiheit bleibt ungebrochen.

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In Bil’in haben Protestler sich ein Blatt von den Siedlern geholt, um nun auch “illegale Außenposten” auf den zum Dorf gehörenden Länder, die nun hinter dem Trennungszaun liegen, zu gründen. Das heißt, formal war dieser Außenposten sogar legal, da er auf Gemeindeland aufgestellt wurde, mit Genehmigung der Gemeinde. Es überrascht nicht, dass die Armee diese allerdings sofort entfernt hat, natürlich nicht ohne Einsatz von Gewalt, sowohl gegen den Wohnwagen, in dem sich vier Aktivisten verbarrikadiert hatten, wie auch gegen diesen, den sie mittels eines Krans einfach in die Luft hoben, damit er nicht wieder besetzt werden konnte. Die (israelische) Ziviladministration (der Westbank) müsste eigentlich ein Problem haben, da sie zugegeben hat, 750 Wohnungen in der Gegend von Bil’in ohne irgendwelche Genehmigung gebaut zu haben, und sich nun auch noch der Diskriminierung schuldig macht, wenn sie den Wohnwagen der “Gegensiedler” entfernt, nicht aber die eigenen, ebenso illegalen. Das hat sie allerdings nicht daran gehindert, mit dem palästinensischen Außenposten kurzen Prozess zu machen.

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Die israelischen Behörde haben offenbar längst selbst erkannt, dass ihre Politik nicht Sicherheit für Israel, sondern ständig erhöhte Gefahr von Terrorangriffen bewirkt. Dies wird zum Beispiel deutlich im Fall von Abu Daoud, ein 40jähriger Palästinenser, der früher in Israel gearbeitet und seit der Intifada am Qalandiya Checkpoint ein mageres Auskommen zusammengekratzt hat, indem er Gepäck und Waren auf einer Karre transportierte für seine Landsleute, die gezwungen wurden, den Checkpoint zu Fuß zu passieren und in einem anderen Fahrzeug auf der anderen Seite weiterzufahren, wie es schon lange für die meisten Palästinenser üblich geworden ist.

Abu Daoud hat einen Sohn, Khaled. 2001 wurde dieser, damals 8, von scharfer Munition in den Kopf getroffen, als er mit anderen Jungen demonstrierte. Er überlebte mit Gehirnschäden und ständigen Schmerzen. Als “good people” 2002 eine medizinische Untersuchung für den Knaben arrangierten, durfte sein Vater aber nicht mitfahren und ihn betreuen. Ihm wurde gesagt, dass er “verhindert” sei, ein Ausdruck für Personen, die der Sicherheitsdienst als Sicherheitsrisiko einstufte. Warum gehört Abu Daoud dieser Gruppe an? Sein Vater wurde 1982 von einer Siedlerin überfahren. Sie hat Fahrerflucht begangen, später behauptet, man hätte mit Steinen auf sie geworfen. 1992 erstickte seine Mutter an Tränengas, als sie rausrannte, um einen jüngeren Bruder von Abu Daoud bei einer Demonstration ins Haus zu holen. Und nun sein Sohn. Den Behörden ist klar, dass ein Mensch, der solch ein Schicksal erlebt, irgendwann einmal selbst zur Gewalt greifen könnte. So musste sein verletzter und behinderter Sohn ohne ihn ins Krankenhaus. Und täglich produziert die Armee weitere Sicherheitsrisiken.

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Am vergangenen Sonntag sind in dem christlich-muslimischen Dorf Aboud tausend Menschen zur Baustelle für die Sicherheitsbarriere gezogen, wo Michael Sabbah, der lateinische Patriarch von Jerusalem, eine kurze Andacht hielt und einen Baum pflanzte. Er rief beide Seiten dazu auf, in ihrem Glauben und ihrer Liebe die Orientierung für die Politik zu finden. “Liebe ist möglich, trotz allem Übel, das wir erleben, wir werden es möglich machen!”

Nachdem der Patriarch gegangen war, blieben etwa hundert Leute vor den Soldaten und sangen gegen die Mauer. Ein Israeli wurde festgenommen, als er versuchte, einen Olivenbaum zu pflanzen.

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In Jayyous hat die Regierung begonnen, eine neue Siedlung zu bauen auf palästinensischem Land, das durch den Bau der Barriere konfisziert wurde. Außerdem wurde der Bürgermeister des Ortes, Issam Muhammad Shbaita, inhaftiert. Er hatte sich dafür eingesetzt, dass die Widerstandsgruppen gegen die Mauer einen starken gemeinsamen Aufruf für die Befreiung der in Irak gekidnappten CPT-Mitglieder lancieren. Er hat bereits früher immer wieder mit internationalen Organisationen den Widerstand gegen die Besetzung koordiniert. Die BewohnerInnen von Jayyous lassen sich auch dadurch nicht einschüchtern in ihrem Widerstand.

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Ein kurzer Film über die Mauer, der im November 2002 gedreht wurde, kann unter www.archive.org gefunden werden.

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Immer mehr Dörfer greifen zu gewaltfreien Aktionen gegen die Mauer. In Rantis hat am Donnerstag eine Demo stattgefunden gegen die Weiterführung des Zaunes, der bereits zur Hälfte das Dorf umzingelt. Wenn er fertig gestellt ist, wird das Dorf nur durch den Zaun erreichbar oder zu verlassen sein. wie es bereits für den Geburtsort Jesu der Fall ist.

Und dennoch ist Weihnachten …

Gruß, Anka

Quelle: Brief-aus-Israel vom 25.12.2005.

Veröffentlicht am

25. Dezember 2005

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