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Irak: Terror aller gegen alle

Von Karl Grobe - Kommentar

Achtzig Tote in 24 Stunden - die terroristische Eskalation in Irak lässt sich in diesen ersten wenigen Tagen des Jahre 2006 gar nicht mehr übersehen. Die Opfer scharfer Polizeischüsse in Demonstrationszüge Arbeitsloser sind nicht einmal mitgezählt. Wer da einen kraftvoll sich entfaltenden politischen Prozess zu erkennen glaubt und auf die Marginalisierung seiner Gegner schließt, irrt tragisch und gründlich. Oder will nicht sehen.

George W. Bush und Richard Cheney, Präsident und Vizepräsident der USA, klammern sich aber weiterhin an die falsche Diagnose. Sie werden es noch tun, wenn Terroristen hundert Menschen an einem Tage umbringen. Sie gaukeln der Öffentlichkeit eine heiler werdende Welt an Euphrat und Tigris vor, wie sie derselben Öffentlichkeit vor gerade drei Jahren angebliche Massentötungswaffen vorgegaukelt haben.

Die Herren in Washington brauchen das realitätsfremde Irak-Bild aus innenpolitischen Gründen. Ein Grund, das idyllische Ölgemälde vom sich erfreulich entwickelnden Zweistromland an jede Wand zu hängen, besteht nicht. Die Realität ist nämlich durchaus unerfreulich.

Den politischen Prozess zu stören, aufzuhalten und umzukehren ist das erkennbare Ziel terroristischer Täter. Die hoffen wohl auch darauf, jene demokratischen Kräfte unter den Sunniten auf ihre Seite ziehen zu können, die bitter enttäuscht sind - von der Wiederkehr unappetitlicher Typen wie des Erzopportunisten Achmed Chalabi, dem nun ausgerechnet das Ölministerium unterstellt ist, und von der mit bösem Fleiß geförderten Zerlegung einer Nation in ethno-religiöse Bestandteile, die einander Feind sind.

Freilich, es gibt den politischen Prozess, und zwar hinter den Mauern der so genannten Grünen Zone, dem Hochsicherheitstrakt mitten in Bagdad. Es gibt dort auch ehrliches Bemühen. Meist hat der Vorgang aber leider den Charakter von Rosstäuscherei und Kuhhandel. Es geht um Ämter, Einfluss, Pfründe, nur manchmal auch um Prinzipien. Wer sich ehrlich bemüht, verliert.

Außerhalb der Mauern der Grünen Zone braut sich etwas zusammen, das ärger als Bürgerkrieg ist - Kampf aller gegen alle. Nebenbei wird das Land zur Ausbildungsstätte jener Terroristen, die es unter der Diktatur Saddam Husseins nicht gab, abgesehen von gelegentlich “nützlichen Idioten” der Kategorie Abu Nidal. Es ist paradox, dass angesichts der Unfähigkeit irakischer Kräfte die Besatzungstruppen heute unersetzliche Ordnungskräfte sind - aber das Illusionen anhängende Washington wünscht sie heimzuholen.

Dann dürfte bald der Ruf nach internationaler Mithilfe laut werden, nach einer “größeren Rolle” der UN mit schleichend veränderten Aufgaben. Das afghanische Beispiel warnt: Gegen mit Gewalt wiederkehrende Taliban, Warlords und Drogenmafia soll die “Weltgemeinschaft” die Drecksarbeit erledigen. Wie in Kabul, so demnächst in Bagdad?

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 06.01.2006. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

06. Januar 2006

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