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Geschichte zweier Sümpfe

Von Noam Chomsky und Michael Hastings - Newsweek / ZNet 04.01.2006

Auf welchem Kurs befindet sich der Irak Ihrer Meinung nach im Moment?

Dazu etwas zu sagen, nun, das ist äußerst schwierig. Es gibt diese äußerst rigide Doktrin, die sich in den USA und Großbritannien hartnäckig hält und die uns daran hindert, die Situation realistisch zu sehen. Etwas vereinfacht ausgedrückt will uns diese Doktrin einreden, die USA hätten den Irak auch dann “befreit”, wenn dessen Hauptprodukt aus Essiggurken und Kopfsalat bestanden hätte und (die) wichtigsten globalen Energieressourcen irgendwo in Zentralafrika lägen. Jeder, der nicht bereit ist, dies zu akzeptieren, wird als Verschwörungstheoretiker abgetan, als Verrückter, so etwas in der Art. Aber jeder mit einem funktionierenden Gehirn weiß, dass das nicht stimmt - zum Beispiel alle Irakis. Die USA sind in den Irak einmarschiert, weil dessen wichtigste Ressource das Öl ist. Öl verleiht den USA - um (Zbigniew) Brzezinski zu zitieren -, einen “entscheidenden Vorteil” gegenüber der Konkurrenz Europa und Japan. Dies ist eine Politik, die bis zum Zweiten Weltkrieg zurückreicht. Das war das Hauptmotiv für die Irak-Invasion und sonst nichts.

Wenn wir das akzeptiert haben, können wir beginnen, darüber zu reden, wohin der Irak steuert. Ein Beispiel: Häufig ist davon die Rede, die USA würden einen souveränen, unabhängigen Irak schaffen. Das kann nicht sein. Sie müssen sich nur die Frage stellen, wie die Politik eines mehr oder minder demokratischen Irak aussehen müsste. Wir wissen, wie diese wahrscheinlich aussähe. Ein demokratischer Irak, das hieße, eine Schiitenmehrheit mit engen Verbindungen zum Iran. Hinzu kommt, der Irak liegt an der Grenze zu Saudi-Arabien. In Saudi-Arabien gibt es eine Schiitenbevölkerung, die von einer fundamentalistischen, von den USA unterstützten Tyrannei brutal unterdrückt wird. Falls der schiitische Irak irgendeinen Schritt in Richtung Souveränität unternähme - oder auch nur in Richtung irgendeiner Form von Freiheit - würde sich dies auch jenseits der Grenze auswirken, ausgerechnet dort, wo Saudi-Arabien das meiste Öl hat. Sie sehen also, was für ein absoluter Alptraum - aus Washingtoner Sicht - sich dort entwickelt.

In den 60er Jahren waren Sie in der Antikriegsbewegung aktiv. Was halten Sie von der Analogie Vietnam/Irak?

Ich glaube nicht, dass hier irgendeine Analogie besteht. Die Gleichsetzung basiert auf einem fundamentalen Irrtum - auf einem Missverständnis bezüglich Irak und einem Missverständnis bezüglich Vietnam. Das Irak-Missverständnis habe ich bereits beschrieben. Das Missverständnis hinsichtlich Vietnam hat etwas mit den damaligen Kriegszielen zu tun. Die USA hatten einen wirklich guten Grund, Vietnam zu bekriegen. Sie fürchteten, Vietnam könnte zum erfolgreichen Modell für eigenständige Entwicklung werden - das sich ausbreiten könnte wie ein Virus -, will heißen, andere (Länder) hätten sich infizieren und demselben Kurs folgen können. Das Kriegsziel hieß: zerstört Vietnam. Das haben sie gemacht. Im Prinzip hatten die USA ihre Kriegsziele bis 1967 erreicht. Von einer Niederlage, einem Scheitern, wird deshalb gesprochen, weil das Maximalziel nicht erreicht werden konnte. Das Maximalziel hieß, Vietnam in so etwas wie die Philippinen verwandeln. Das haben sie nicht erreicht, die Hauptziele allerdings schon. Es war (ihnen) möglich, Vietnam zu zerstören und wieder abzuziehen. Das können Sie im Irak nicht machen - zerstören und abziehen - das wäre unvorstellbar.

War die Antikriegsbewegung in den 60er Jahren erfolgreicher als heute?

Meiner Ansicht nach verhält es sich genau umgekehrt. Die USA griffen Vietnam 1962 an, und erst Jahre später hat sich irgendein Protest entwickelt. Irak - das ist das erste Mal in Hunderten von Jahren europäischer beziehungsweise amerikanischer Geschichte, dass gegen einen Krieg massiv protestiert wurde, schon bevor er überhaupt begonnen wurde. Im Februar 2003 ereigneten sich riesige Proteste, etwas, das es in der westlichen Geschichte noch nie zuvor gegeben hat.

Wo würden Sie George W. Bush im Pantheon der amerikanischen Präsidenten einordnen?

Er ist mehr oder weniger ein Symbol. Aber die Menschen um ihn herum bilden meiner Meinung nach die gefährlichste Regierung in der Geschichte Amerikas. Ich denke, sie treiben die Welt auf ihre Zerstörung zu. Die Welt heute sieht sich zwei Hauptbedrohungen gegenüber, die zur Ausrottung der menschlichen Spezies führen könnten - das ist kein Scherz: einerseits ein möglicher Atomkrieg, eine Umweltkatastrophe andererseits. In beiden Feldern ist sie (die US-Regierung) auf Zerstörungskurs. Sie zwingt ihre Konkurrenten - Russland, China und nun auch den Iran - ihre offensiven Militärkapazitäten zu eskalieren, das heißt, ihre Offensiv-Atomraketen auf ‘hair-trigger alert’ zu stellen.

Die Bush-Administration hat es geschafft, die Vereinigten Staaten zu einem der gefürchtetsten und verhasstesten Länder der Welt zu machen. Diese Jungs verfügen über ein unglaubliches Talent. Sie haben es sogar geschafft, uns Kanada zu entfremden. Dazu muss man wirklich genial sein - buchstäblich.

Quelle: ZNet Deutschland vom 06.01.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: A Tale of Two Quagmires

Veröffentlicht am

07. Januar 2006

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