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Singhs nuklearer Ausverkauf

Indien vor dem Besuch von George Bush: Der Atomvertrag mit den USA bleibt umstritten. Für viele kommt er einer Unterwerfung gleich

Von Ursula Dunckern

US-Botschafter David Mulford gilt als Elefant im Porzellanladen. Am 26. Januar - dem Tag der Republik Indien - drohte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur PTI, es würde “verheerende Auswirkungen” auf die Bereitschaft des US-Kongresses haben, grünes Licht für das indisch-amerikanische Atomabkommen zu geben, sollte sich Indien am 2. Februar bei der Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien entschließen, gegen die Verweisung des Falles Iran an den UN-Sicherheitsrat zu stimmen. Delhi reagierte mit einem scharfen Protest auf die diplomatische Rüpelei, entsprach jedoch bei besagter Abstimmung prompt den Wünschen der Amerikaner. Der innenpolitische Preis dieses Wohlverhaltens war recht beachtlich. Besonders die linke Parteienallianz, auf deren Tolerierung im Unterhaus die Regierung von Premier Manmohan Singh angewiesen bleibt, spuckte Feuer. Die Führer der beiden kommunistischen Parteien - der CPI (M) und CPI - verlangten die sofortige Abberufung Mulfords und drohten mit massiven Anti-Bush-Demonstrationen während der Anfang März anstehenden Visite des US-Präsidenten.

So berechtigt das Veto der Linksparteien sein mochte, ihr Aufstand hatte den vom US-Botschafter beabsichtigten Effekt - die schrillen Drohungen ihrer Juniorpartner hinderten die Kongress-Regierung, dem Widerstand nachzugeben. Andernfalls hätte sie auf internationalem Parkett an Gesicht verloren. Des US-Botschafters allseits verdammter Ausrutscher erwies sich als wohlkalkulierter Stoss im politischen Billard. Dem Agent Provocateur kam noch der Umstand zugute, dass die Linke wegen der bevorstehenden Regionalwahlen in ihren Hochburgen Kerala und Westbengalen keinen Zweifel lassen will, dass sie der Kongresspartei konsequent Paroli zu bieten weiß. Ohnehin ist sie bei aller Vehemenz ihrer Kritik nicht zum Kern des indisch-amerikanischen Atomvertrages - der Aufgabe nationaler Souveränität - vorgedrungen, dessen feierliche Unterzeichnung beim Besuch von George Bush ursprünglich ganz oben auf der Agenda stehen sollte.

Ruinöse Vorleistungen

Botschafter Mulford bejubelt das Abkommen als “fantastisch” und “in jeder Beziehung historisch”. Kritiker - unter ihnen zahlreiche namhafte Atomwissenschaftler Indiens - bezeichnen hingegen das am 18. Juli 2005 zwischen Washington und Delhi gefundene Agreement über die zivile Atomkooperation als nationalen Ausverkauf. Sollte es je umgesetzt werden, sagen sie, kastriert sich die Nuklearmacht Indien, nachdem sie sich 40 Jahre lang und unter neun Premierministern jeder Erdrosselung tapfer widersetzt hat. Nun werde Indiens Souveränität von Regierungschef Nr. 10 den Amerikanern auf dem Silbertablett serviert.

Hoffnung macht blind. Allzu viele Politiker in Delhi hofften sehnlich, das Abkommen - das vom US-Kongress zu beschließende Gesetzesänderungen zur Aufhebung des 30 Jahre lang bestehenden nuklearen Handelsverbotes zwischen beiden Ländern voraussetzt - werde Indien zum ersten Mal einen leichten und freien Zugang zu angereichertem Uran sowie die längst als selbstverständlich erachtete, offizielle Anerkennung als Atommacht verschaffen. Eine Erwartung, die durch irreführende Äußerungen von amerikanischer Seite genährt wurde. So übten sich Condoleezza Rice und andere im “Doublespeak” und lobten Indiens Zuverlässigkeit als verantwortungsbewusste Atommacht in den höchsten Tönen. Es wurde der Eindruck erweckt, der ersehnte “nukleare Ritterschlag” sei beschlossene Sache. Das Gegenteil war der Fall, Unterstaatssekretär Nicholas Burns, US-Verhandlungsführer im Atomdeal, gab Ende 2005 im Kongress mehrfach zu verstehen, eine Anerkennung Indiens als Nuklearmacht komme schlechterdings nicht in Frage. Was er vage anbot, war der Status eines Atomstaates zweiter (besser: dritter) Klasse, dem durch ein Zusatzprotokoll des Vertrages mit den USA keineswegs die gleichen Rechte zugesprochen werden wie den fünf vom Atomwaffensperrvertrag anerkannten Kernwaffenmächten: Russland, China, Frankreich, Großbritannien und USA. So könnte Indien auch künftig nicht wie diese fünf selbstständig entscheiden, welche seiner Atomanlagen als zivil klassifiziert und damit Inspektionen zugänglich sein werden. Es bliebe vielmehr den USA im Verbund mit der Internationalen Atombehörde in Wien vorbehalten, darüber zu befinden.

Sind jedoch die nuklearen Kronjuwelen erst einmal den Mächten übergeben, die Indiens Atomprogramm seit 40 Jahren zu blockieren suchen, sagen die Kritiker, können sie weder von Manmohan Singh noch irgendeiner anderen Regierung je wieder zurückgewonnen werden, während es den “richtigen Atommächten” jederzeit freistehe, den Status ihrer Anlagen ohne Erklärung zu ändern. Bereits die Idee, im Falle Indiens eine klare Trennung zwischen zivilen und militärischen Produktionsstätten einzuführen, wäre technisch irreal und ökonomisch ruinös. Das Ganze würde auf die faktische Verdoppelung der normalerweise auf duale Nutzung - für zivile wie für militärische Zwecke - angelegten Forschungskapazitäten und Ausrüstungen hinauslaufen. Aber erst wenn all diese und einige weitere Hürden zur vollen Zufriedenheit der Bush-Regierung genommen sind, werden die USA ihrerseits dem Vertragspartner gegenüber in Leistung treten.

Sturz des Ölministers

War am 18. Juli 2005, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, noch davon die Rede, dass Indien seine zivilen Reaktoren frei auswählen und bis zum Bush-Besuch einen vorläufigen Rahmenplan vorlegen könne, sehen die Dinge ein halbes Jahr später, im Februar 2006, etwas anders aus. Im Verlauf der Verhandlungen stellten die USA immer weiter reichende und härtere Forderungen. Indien solle nun die “große Mehrheit” seiner 22 Nuklearreaktoren in das zivile Programm übernehmen, sagt US-Botschafter Mulford, sonst müsse der US-Kongress annehmen, Delhi “habe eine andere Agenda”. Schließlich hätten die USA ihre eigenen Einsichten in das indische Atomprogramm - was die Regierung in Delhi vorlege, müsse “in transparenter Weise” damit übereinstimmen. Mit anderen Worten: Indiens “freie Auswahl” soll vom US-Geheimdienst gegengezeichnet werden.

Als Washington schließlich noch die Hand nach Indiens Schnellem Brüter ausstreckte, schrie die Indische Atomenergie-Kommission förmlich auf. Anil Kakodkar, der Chef des Gremiums, warnte offen davor, sich auf einen derartigen Atomvertrag einzulassen, und fand beim ehemaligen Premier Vishwanath Pratap Singh ebenso Rückhalt wie bei Präsident Abdul Kalam, der einst höchster Regierungsberater in Atomfragen war. Er gilt als Vater der Pokhran-Tests, mit denen Indien 1994 in die Liga der Atommächte aufstieg. Das Land dürfe sich nicht - so Abdul Kalam - in die Falle einer Abhängigkeit von importiertem Uran locken lassen, sondern müsse mit Nachdruck dem eigenen “Thorium-Plan” folgen. Der zielt darauf, die reichen Thoriumquellen so zu erschließen und zu nutzen, dass man schon in wenigen Jahren bei der Erzeugung von Kernenergie völlig unabhängig sein könne.

Premier Manmohan Singh scheint nicht gewillt, bei der Verteidigung des Atomvertrages mit den USA Konzessionen zu machen. Zum prominentesten Opfer seiner Entschlossenheit wurde Erdölminister Manu Shankar Aiyer, dessen Name ein Synonym für das Projekt einer indisch-pakistanisch-iranischen Gaspipeline ist. Allen Widrigkeiten und Interventionen der Wiener Atombehörde zum Trotz. Die Trasse, mit der sich die von den Amerikanern betriebene Isolation Teherans durchkreuzen ließe, war Präsident Bush ein solcher Dorn im Auge, dass er Condoleezza Rice im vergangenen Jahr mehrfach auf Tour schickte, um das Vorhaben zu stoppen - doch blieb die Ministerin in Delhi so erfolglos wie in Karatschi. Nun aber, mit Aiyers Demission scheint sie erhört worden zu sein. Der mutige und kompromisslose Minister und ehemalige Vertraute Rajiv Gandhis arbeitete vor allem am Aufbau eines riesigen Gasleitungsnetzes, das Indien mit Iran, Pakistan, Turkmenistan, Kasachstan, China, Myanmar (Burma) und Sri Lanka verbinden und eine Energieautonomie für die gesamte asiatische Region bewirken sollte. Aiyar hatte - ohne viel Aufhebens davon zu machen - einen sensationellen Vertrag mit China unterzeichnet, nach dem die staatlichen Ölgesellschaften beider Länder künftig nicht mehr als Konkurrenten auftreten, sondern als Partner Ölfirmen und Ölfelder im Ausland erwerben sollten. Erstmals sollte sich diese Kooperation bei einem Angebot aus Syrien bewähren. Der neue Ölminister Murli Deora hat nun anderes im Blick: Als Amerika-Freund und Regierungs-Lobbyist ist er ein hochdotierter Sammler von Parteispenden, was Spekulationen nährt, die Kongresspartei bereite sich auf Neuwahlen vor.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 08 vom 24.02.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Ursula Dunckern und des Verlags.

Veröffentlicht am

25. Februar 2006

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